Demokratiegeschichten

„Wir, das Volk …“ – die Verfassung der Vereinigten Staaten von Amerika I

Für viele US-Amerikaner:innen ist ihre Verfassung, die United States Constitution, nicht weniger als das absolut Großartigste, was ihr Land zu bieten hat. Sie verstehen sie als Geschenk an die gesamte Menschheit. Ihr Inhalt ist manchen heilig und in sehr vielen Lebensentscheidungen berufen sie sich auf sie. So erscheint das Vertrauen in die Weisheit und Weitsicht der Väter der Verfassung bisweilen grenzenlos.

Diese Leidenschaft und gar Liebe für ein Stück Papier mag manchmal für Außenstehende etwas befremdlich wirken. Dies sollte aber nicht davon ablenken, dass es sich bei der US-Verfassung tatsächlich um einen entscheidenden Meilenstein der Demokratiegeschichte handelt.

Was für eine Union wollen sie sein?

Es waren Zeiten des Umbruchs, als sich eine Gruppe von ehrwürdig auftretenden Männern im Mai 1787 in Philadelphia zusammenfand. Die dreizehn nordamerikanischen Kolonien hatten wenige Jahre zuvor ihre Unabhängigkeit vom englischen Mutterland erklärt und dann in einem revolutionären Krieg verteidigt. Nun war es an der Zeit festzulegen, was für eine Art Nation die Vereinigten Staaten sein wollten. Deshalb tagten diese Männer als Verfassungskonvent bis September 1787, um eine Konstitution zu erarbeiten.

Unter General George Washington erringen die nordamerikanischen Kolonien zwischen 1775 und 1783 ihre Unabhängigkeit von England (Gemälde von Emanuel Leutze, 1851). Quelle: Metropolitan Museum of Art, gemeinfrei

Die Verhandlungen waren geprägt vom Gegensatz zwischen denjenigen Delegierten, die sich für eine starke Zentralgewalt einsetzten, und denjenigen, die so wenig Souveränität der Einzelstaaten wie möglich abgeben wollten. Schließlich schaffen sie es, einen (nicht ganz perfekten) Kompromiss zwischen beiden Extrempositionen zu erarbeiten. Nichtsdestotrotz sollte im Laufe der US-Geschichte das Verhältnis von Bundesregierung und Einzelstaaten immer wieder zu Konflikten führen. Dies führte nicht zuletzt zu einem blutigen Bürgerkrieg (1861–1865), der die USA beinahe zerstörte.

Im Namen des Volkes

Die Delegierten verstanden sich in ihrer Tätigkeit ganz als die Vertreter des amerikanischen Volkes. Daran herrschte für sie überhaupt kein Zweifel So heißt es konkret am Anfang der Verfassung:

„Wir, das Volk der Vereinigten Staaten, von der Absicht geleitet, unseren Bund zu vervollkommnen, die Gerechtigkeit zu verwirklichen, die Ruhe im Innern zu sichern, für die Landesverteidigung zu sorgen, das allgemeine Wohl zu fördern und das Glück der Freiheit uns selbst und unseren Nachkommen zu bewahren, setzen und begründen diese Verfassung für die Vereinigten Staaten von Amerika.“

Präambel der US-Verfassung
Die erste Seite der US-Verfassung im Original mit Präambel und dem ersten Artikel. Quelle: U.S. National Archives and Records Administration, gemeinfrei

Am 17. September 1787 verabschiedet, trat die Verfassung schließlich knapp eineinhalb Jahre später nach der Ratifizierung durch die Teilstaaten in Kraft. Im Grundsatz gilt sie bis heute und macht die Vereinigten Staaten zur am längsten noch bestehenden Demokratie der Welt. Sie löste als Gesetzeswerk die sogenannten Konföderationsartikel ab, die bis dahin die eher lose Zusammenarbeit der Einzelstaaten regelten.

Teilung der Macht

Im Kern legt die US-Verfassung eine föderale Republik mit starker Zentralgewalt und einem Präsidenten als Regierungschef und Staatsoberhaupt fest. Nicht zuletzt die Angst, einen weiteren potenziellen Krieg als loses Bündnis von Einzelstaaten nicht zu überstehen, war es, die die Teilstaaten überzeugte, einen nicht unerheblichen Teil ihrer Souveränität in einem solchen präsidialen System abzugeben.

Die Verfassung der Vereinigten Staaten schrieb erstmals in der Geschichte die Gewaltenteilung (ckecks and balances) fest. Dies meint die Trennung von Legislative (Kongress), Exekutive (Präsident) und Judikative (Oberster Gerichtshof) sowie deren gegenseitige Kontrolle. Ihre Verfasser waren sich einig, dass zu viel Macht für eine Institution oder gar eine Person unweigerlich in Tyrannei und Unfreiheit führen würde. Fairerweise muss man sagen, dass sie damit nicht ganz unrecht hatten, wie die Geschichte der Menschheit zeigt.

Das Prinzip der Gewaltenteilung. Quelle: Treck08, CC BY-SA 4.0 DEED

Außerdem enthält die Verfassung der Vereinigten Staaten die Bill of Rights (Zusatzartikel 1 bis 10) mit den Grundrechten (z.B. Religions-, Meinungs- und Presse- sowie Versammlungsfreiheit), die bereits 1791 ergänzt wurden. Die Verfasser der Konstitution verstanden diese Rechte als unveräußerlich, sie stehen Menschen („Menschen“ meint hier weiße Männer mit entsprechend gefülltem Geldbeutel) von Natur aus zu und können ihnen nicht genommen werden. Beide Elemente, Gewaltenteilung und Schutz der Individualrechte, machen die US-Verfassung zum Vorbild für unzählige weitere Verfassungen, die in den kommenden Jahrzehnten und Jahrhunderten erarbeitet werden sollten.

Teil II dieses Beitrags erscheint am 12. Februar.

Dieser Beitrag ist Teil der Blog-Reihe „In guter Verfassung“. Mit ihr möchten wir verschiedene gegenwärtige und historische Verfassungen vorstellen und dabei zeigen, wie sie Staaten und Menschen beeinflusst haben – und von diesen beeinflusst wurden.

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Über uns 
Ulli E. arbeitet bei Gegen Vergessen - Für Demokratie e.V. als Projektkoordinator im Bereich Demokratiegeschichte.

2 Kommentare

  1. Klaus Karl Otto

    13. Februar 2024 - 11:09
    Antworten

    Sehr geehrter Herr Engst,

    Dieser Artikel hat mir nicht nur wegen des flüssigen Schreibstils sehr gefallen, sondern er erklärt nach meinem Wissen auch den Inhalt der amerikanischen Verfassung für Jeden klar verständlich.

    Besonders wichtig erscheint mir noch Ihr Hinweis in Klammern, dass im Text der Verfassung unter dem Wort MENSCHEN nur Weiße gemeint waren.

    • Ulli E.

      13. Februar 2024 - 11:14
      Antworten

      Sehr geehrter Herr Otto, vielen Dank für Ihren tollen Kommentar, über den ich mich sehr freue!

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