Das 16. Weimarer Rendez-vous mit der Geschichte (1. bis 3. November 2024) hatte in diesem Jahr eine neue Kooperationspartnerin und Co-Veranstalterin an seiner Seite: die Stiftung Orte der deutschen Demokratiegeschichte. Über 1.000 Besucherinnen und Besucher genossen die mehr als 30 Einzelveranstaltungen an den drei Festivaltagen.
Doch was ist das eigentlich: Ein Geschichtsfestival?
Mit seinem in Deutschland einzigartigen Format bringt das Weimarer Rendez-vous mit der Geschichte seit 16 Jahren Wissenschaft und Öffentlichkeit zusammen. Anders als beispielsweise der Historikertag versteht es sich nicht als Fachkongress, sondern ausdrücklich als Publikumsveranstaltung. Im Schnittbereich zwischen Wissenschaftskommunikation, historisch-politischer Bildung und Kulturveranstaltung stellt es den Dialog zwischen historisch arbeitenden Wissenschaften und dem breiten Publikum in den Mittelpunkt.
So will es unter dem Slogan „Erleben, Einordnen, Diskutieren“ Räume für fundierte Diskussionen zu relevanten historischen und gegenwärtigen Themen schaffen. Neben Podien und Vorträgen füllen daher auch Führungen, Workshops sowie Theater und Kultur das jährliche Programm. Außerdem bot das Festival Lesungen, Erzählcafés, Kino und manches andere Format.
„Stadt. Beziehungsweise. Land“
Diesen Themenschwerpunkt hatte der wissenschaftliche Beirat für das diesjährige Festival gewählt. Und so drehte sich Anfang November alles um die vielfältigen Beziehungen zwischen Stadt und Land in Geschichte und Gegenwart. Bewusst wurden dabei die „Beziehungen“ ins Zentrum gerückt, nicht die Gegensätze beider Räume. Denn zwischen beiden verlaufen schon längst keine so klaren Grenzen mehr.
Die Themen reichten von den antiken Metropolen bis zur Zukunft der Dörfer im digitalen Zeitalter, vom Bauernkrieg bis zu stadtplanerischen Perspektiven auf die „demokratische Stadt“. Viele der Veranstaltungen stellten so die wechselseitigen Abhängigkeiten und Verflechtungen von Stadt und Land ins Zentrum der Aufmerksamkeit.
Auch ein Fest der Demokratiegeschichte
Und immer wieder dabei: Demokratiegeschichte in Stadt und Land. Sei es auf einem Podium zum politischen Engagement von Frauen im ländlichen Raum seit 1945, zu ländlichen Protestbewegungen in der Demokratiegeschichte oder zur Rolle des Stadt-Land-Gegensatzes in der Entwicklung moderner Demokratien und Wahlen. Denn auch der aktuelle Zustand der westlichen Demokratien zeigt, welch wachsende Bedeutung dem Verhältnis zwischen Stadt und Land heute wieder zukommt – und wie dieses von manchen politischen Akteuren bewusst instrumentalisiert wird.
Die neu gegründete Stiftung Orte der deutschen Demokratiegeschichte nutzte außerdem die Bühne, um ihre Angebote der Öffentlichkeit zu präsentieren und sie untereinander zu vernetzen. Auf dem ersten „Markt der Demokratiegeschichte“ stellten sich zehn von der Stiftung geförderte Projekte aus ganz Deutschland vor. Sie zeigten, wie sie Demokratiegeschichte in ihrem Wirkungsbereich auf unterschiedlichste Art und Weise vermitteln.
Anschließend feierte am Abend des zweiten Festivaltags das Theaterstück „Wir das Grundgesetz“ seine Deutschlandpremiere in seiner knapp 60-minütigen Langfassung. Ein begeistertes Publikum erlebte die Schauspielerin Katja Straub in ihrer amüsanten und leidenschaftlichen Personifizierung des Grundgesetzes. Höhepunkt war eine Telefonkonferenz zwischen ihr, Großmutter Paulskirche, Mutter Weimarer Verfassung und dem etwas autoritär auftretenden Stiefonkel von 1871.
In der anschließenden Diskussion unter der Moderation von Stiftungsdirektor Kai-Michael Sprenger unterhielten sich Katja Straub, der Autor und Regisseur des Stücks, Alexander Maser, Claudia Schmitz vom Deutschen Bühnenverein und der Bundestag-Historiker Michael F. Feldkamp über die Rolle des Theaters in der Demokratie – zwischen Kunstfreiheit und politischer Verantwortung für ihren Schutz.
Vielfalt der Formate
Die Veranstalter des Festivals und seine vielen regionalen und überregionalen Partner bemühen sich jedes Jahr um eine große Bandbreite der Formate. So gehen viele Angebote über das Kernprogramm aus Podien und Vorträgen hinaus. Denn bei den Tagen der Geschichte öffnen Partner aus Weimar ihre Tore zu kleinen Besonderheiten, die es sonst nicht immer zu sehen gibt. Für Begeisterung sorgte zudem eine virtuelle Stadtführung durch das antike Athen. Der Tagesworkshop „Histodrama“ wiederum lud zu einem historischen Rollenspiel in den Anfangsjahren der Weimarer Republik.
Nach einem Podium zur Transformation im ländlichen Raum nach 1989/90 konnten sich Zeitzeug:innen außerdem in einem Erzählcafé über ihre Erfahrungen und Erinnerungen austauschen. Das Stadtmuseum Weimar organisierte eine Objekte-Schau bei Kaffee und Kuchen, die sich Weimar und seinen umgebenden Dörfern widmete. Heimlicher Höhepunkt war schließlich ein Kneipenquiz, das erstmals im Angebot war und für ein volles Pub, rauchende Köpfe und ausgelassene Stimmung sorgte.
Abschluss im Geiste Stéphane Hessels
Der Festivalabschluss am Sonntagabend widmete sich schließlich einer herausragenden Gestalt der europäischen Demokratiegeschichte. Noch im hohen Alter hatte es sich der Buchenwald-Überlebende Stéphane Hessel zur Aufgabe gemacht, mit den Streitschriften „Empört Euch!“ und „Engagiert Euch!“ die europäische Jugend zu mehr politischem und sozialem Engagement aufzurütteln. Möglicherweise sogar mit Erfolg.
Die Tochter Stéphane Hessels, die Autorin Anne Hessel, sprach mit Markus Meckel, dem einstigen Außenminister der freien DDR-Regierung von 1990, über die Menschenrechte damals und heute. Damals, als Stéphane Hessel als französischer Diplomat an der Erarbeitung der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte von 1948 mitgewirkt hatte. Damals, als der Aufruf zur Gründung der SDP in der DDR am 200. Jahrestag der Erklärung der Menschenrechte von 1789 publik gemacht wurde. Und heute, da die Menschrechte durch Migration und Krieg unter schwerem Druck stehen.
Beim kulturellen Abschluss des Festivals rückte die Schauspielerin Sarah Lecarpentier dann die Rolle der Poesie im Leben ihres Großvaters in den Mittelpunkt des Stückes „Ô ma mémoire, portrait de Stéphane Hessel“. Für die Macher des Festivals war es eine Ehre und ein Herzensanliegen, diesen Abend mit der Familie Hessels angeboten zu haben.
Ausblick 2025: „Fremde (und) Heimat“
Nach dem Festival ist vor dem Festival – und so laufen schon die ersten Vorbereitungen für die Ausgabe im November 2025. Mit starken und engagierten Partnern an seiner Seite plant das Weimarer Rendez-vous mit der Geschichte wieder zu einem Fest der (Demokratie-)Geschichte einzuladen. Das Motto jedenfalls steht schon mal fest: „Fremde (und) Heimat“. Einmal mehr ein hochaktuelles Thema mit vielfältiger historischer Tiefe …
Die Autoren
Dr. Andreas Braune ist Politikwissenschaftler, wissenschaftlicher Leiter des Weimarer Rendez-vous mit der Geschichte und freiberuflich als Autor und Referent in der politischen und historischen Vermittlungsarbeit tätig.
Markus Lang ist Programmreferent bei der Stiftung Orte der deutschen Demokratiegeschichte. Dort koordiniert er unter anderem die Auftritte des Theaterstücks „Wir das Grundgesetz“. Seit vielen Jahren ist er in der politischen Bildung und Erwachsenenbildung tätig.
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