Anfang der 1990er Jahre zerfällt die Sozialistische Föderative Republik Jugoslawien. Es folgen mehrere brutale Kriege und Hunderttausende Menschen müssen ihre Heimat verlassen. Viele fliehen ganz aus der Region, zum Beispiel nach Deutschland. Ein ruhiges Leben finden aber die wenigsten von ihnen, denn ein dauerhaftes Aufenthaltsrecht bekommen sie erst einmal nicht.
Krieg und Flucht kehren nach Europa zurück …
Infolge von nationalen Unabhängigkeitsbewegungen entstehen ab 1991 auf dem Gebiet Jugoslawiens die Staaten Bosnien-Herzegowina, Kroatien, Montenegro, das heutige Nordmazedonien, Serbien, Slowenien und der bis heute umstrittene Kosovo. Die kriegerischen Konflikte sind geprägt von Opferzahlen und Vertreibungs- sowie Fluchtbewegungen, wie man sie seit Ende des Zweiten Weltkriegs nicht mehr gesehen hat.
Mitte der 1990er Jahre sind nach Angaben des UN-Flüchtlingshochkommissariats (UNHCR) 3,7 Millionen Menschen auf der Flucht; viele innerhalb der Region, Tausende suchen aber auch Schutz in Mittel- und Westeuropa. Ihre Zahl steigt vor allem im Laufe des Krieges um Bosnien-Herzegowina 1992-1995 besonders an. Von rund 600.000 Geflüchteten dieses einen Konflikts, die in der EU Schutz suchen, kommen etwa 350.000 nach Deutschland.
… sind aber kein Grund für Asyl
Zunächst versuchen viele der Geflüchteten, in Deutschland Asyl zu beantragen, meist aber ohne Erfolg. Die deutsche Regierung macht schnell klar, dass sie den Flüchtlingsstatus und damit eine dauerhafte Aufenthaltserlaubnis nur in Ausnahmefällen vergeben würden. Denn Kriege bzw. Bürgerkriege zählen laut Genfer Flüchtlingskonvention eigentlich nicht als Asylgrund.
Deutschland argumentiert darüber hinaus, der Konflikt in Südosteuropa sei voraussichtlich nur von kurzer Dauer und anschließend müssten die Menschen zurück in ihre Heimat. Einerseits um diese wieder aufzubauen, andererseits um Deutschland zu entlasten. 1993 stellt das zuständige Bundesamt für die Anerkennung ausländischer Flüchtlinge sogar die Anträge zunächst zurück. Erst nach dem Abkommen von Dayton im Dezember 1995, welches den Konflikt in Bosnien-Herzegowina beendet, nimmt das Bundesamt die Bearbeitung wieder auf.
Nach den Änderungen des Asylrechts (1. Juli 1993) gäbe es allerdings Möglichkeiten, Schutzsuchende, die vor Krieg oder Bürgerkrieg fliehen, einen Aufenthaltsstatus zu verleihen. Dieser träte ohne asylrechtliche Prüfung und beschränkt auf zwei Jahre in Kraft. Eine Verlängerung, sofern der Konflikt weiterhin besteht, ist möglich. Weil sich Bund und Länder aber nicht auf eine Kostenverteilung einigen können, wird diese Regelung schlicht nicht angewendet.
Das Problem mit der Duldung
In der Folge bleibt die überwiegende Mehrheit der Geflüchteten aus Jugoslawien ohne Aufenthaltsstatus, sie sind nur „geduldet“. Für die Menschen bedeutet dies in erster Linie eines: quälende Unsicherheit. Sollte der Abschiebestopp in die Länder des ehemaligen Jugoslawiens nicht mehr verlängert werden, droht vielen der Schutzsuchenden die erzwungene Rückkehr in ein zerstörtes Land. Diesen Schwebezustand beschreiben die Geflüchteten als „Mischung aus Abwarten und Angst“.
Zu dieser drückenden psychischen Belastung kommt noch hinzu, dass Geduldete zwar theoretisch arbeiten dürfen. Dies ist aber verbunden mit komplizierten organisatorischen und bürokratischen Hürden. Außerdem sind die wenigsten Arbeitgeber bereit, Menschen anzustellen, die im Zweifel in drei Monaten schon wieder weg sind. Perspektivlosigkeit macht sich bei vielen Geduldeten aus Bosnien-Herzegowina breit.
Friede oder nur die Abwesenheit von Krieg?
Nach dem Vertrag von Dayton macht sich die Bundesregierung emsig daran, die in Deutschland lebenden Schutzsuchenden aus Bosnien-Herzegowina zurückzuführen. Eine entscheidende Maßnahme dabei ist das befürchtete Ende des Abschiebestopps zum 31. März 1996. Anschließend müssen die Geflüchteten gruppen- und phasenweise in die alte Heimat zurückkehren.
Dort herrscht zwar nicht mehr Krieg, aber von Frieden kann auch nicht wirklich die Rede sein. Es gibt weiterhin ethnische und religiöse Auseinandersetzungen. Der Aufbau der zerstörten Infrastruktur geht nur schleppend voran. Das Leben ist geprägt von Arbeitslosigkeit und mangelhafter medizinischer Versorgung. Außerdem können nur wenige in ihre tatsächlichen Heimatorte zurückkehren, was das Dayton-Abkommen eigentlich vorsieht.
Dies führt dann doch zu öffentlicher Kritik in Deutschland. Deswegen beschließt die Regierung Anfang 2001 doch noch spezifische Bleiberegelungen. Allerdings sind diese sehr restriktiv. Deshalb kann niemand genau beziffern, wie vielen der zu diesem Zeitpunkt noch 20.000 Geflüchteten aus Bosnien-Herzegowina in Deutschland sie letztlich nützen.
1 Kommentar
LifeinBiH
19. Mai 2024 - 19:08Dieser Artikel beleuchtet eindrucksvoll die Herausforderungen, denen sich bosnische Geflüchtete gegenüber sahen, und regt zum Nachdenken über die menschlichen Aspekte politischer Entscheidungen an. Es erinnert uns daran, wie wichtig es ist, auch in schwierigen Zeiten Mitgefühl und Unterstützung zu zeigen. Danke für diesen tiefgreifenden Einblick in ein so bedeutendes Kapitel der europäischen Geschichte.