Als Spurensuche bezeichnet man eine Methode, um Geschichte vor Ort zu erforschen. Die Namen von Straßen und Plätzen werfen als Anknüpfungspunkte von Demokratiegeschichte Fragen auf: An wen erinnern all die öffentlichen Straßen und Plätze? Und wer hat festgelegt, an wen erinnert wird – und an wen nicht? Namen im öffentlichen Raum werden zum Gegenstand von Politik. Benennungen von Straßen/Plätzen und auch Umbenennungen werden zum Anknüpfungspunkt für Demokratiegeschichte. Besonders da, wo öffentliche Diskurse stattfanden und Anwohnerinnen und Anwohner in den (Um-) Benennungsprozess einbezogen werden.
Der Wunsch nach Änderung eines Namens kann damit zusammenhängen, dass mit dem alten Namen etwas Negatives verbunden wird. Aber dies muss nicht der Fall sein. Die Motivation, an etwas zu erinnern, das bis dahin keine Aufmerksamkeit erfuhr, kann ebenfalls zu Umbenennungen von Straßen und Plätzen führen.
Eine Herangehensweise an diese Thematik bietet der Entwurf eines alternativen Stadtplans: Wie würden Straßen in meiner Stadt heißen, wenn ich sie benennen dürfte? An diese Frage schließt die Methode „Städtebau“ an.
Material:
- Metapapier
- Eddings
Ablauf (circa 1-2 Stunden)
Phase 1:
- In Gruppen von 3-4 Leuten zusammenfinden
- 10 Namen von Straßen und Plätzen, die man kennt, aufschreiben
- 3 von den Namen aussuchen und in der Gruppe gemeinsam einen Stadtplan mit den Straßen und Plätzen erstellen
- Diskussion im Plenum
Phase 2:
- Bei der nächsten Runde darf jeder 1 oder 2 Namen auf einem der anderen Pläne ändern
- Diskussion im Plenum
Phase 3:
- Bei der nächsten Runde können Namen in andere Sprachen übertragen werden
- Diskussion im Plenum
Abschlussdiskussion
(Wer Zeit sparen will, kann die Diskussionen nach Phase 2 und 3 in die Abschlussdiskussion dazu packen. Auch Phase 1 miteinzubeziehen, kann problematisch werden.)
Fragen für die Diskussion:
- Nach dem Erstellen der Stadtpläne: War es schwer, von der ursprünglichen Liste auf 3 herunter zu kommen?
- Gab es Diskussionen oder Probleme bei der Erstellung der Stadtpläne? Wie hat die Gruppe den Prozess gestaltet? Diskussionspunkte (Bsp.): Kompromiss
- Für Phase 2: Warum habe ich einen Namen geändert? Wie hat es sich angefühlt, wenn jemand einen meiner ausgewählten Namen geändert hat? Diskussionspunkte (Bsp.): Macht, Gefühl vs. Rational
- Für Phase 3: Ändert sich etwas dadurch, dass andere Sprachen benutzt wurden? Führen die Änderungen zu mehr Offenheit oder verschließen sich Möglichkeiten? Diskussionspunkte (Bsp.): Repräsentanz, Gewohnheiten
- Für die Abschlussdiskussion: In welcher Stadt würde ich leben wollen? + Anschließend Reflektion der Methode
Idee/Ziel:
- Wann/Wo habe ich Diskussionen über Straßennamen erlebt? Welche Argumente wurden vorgebracht? Waren diese stets sachlich oder auch emotional?
- Wie gingen die Teilnehmer*innen miteinander um? Inwiefern wurden die einzelnen Phasen demokratisch gestaltet?
Spurensuche: Was machen mit den Ergebnissen?
- Die entstandenen Pläne weiter ausarbeiten und/oder öffentlich aushängen
- Einen Blick in den Stadtplan werfen: Welche Straßen kenne ich? Über welche möchte ich mehr Informationen? Welcher Name stört mich, nachdem ich mehr darüber erfahren habe?
2 Kommentare
Peter Blechschmidt
14. Mai 2021 - 7:03Liebe Annalena B., mein Kommentar kommt reichlich spät aber nicht zu spät. Ich befasse mich seit ca. drei Jahren mit Erinnerungskultur in unserer Stadt Chemnitz. Dies hat auch konkrete Gestalt angenommen z.B. mit der Installierung von „Erinnerungsbänken“ in einem geschichtsträchtigen Stadtteil der Stadt – auf dem Kassberg. Die erste Bank ist in Arbeit und wird ihren Platz in einer Parkaue am Falkeplatz erhalten. Eine Zweite kämpft noch um Anerkennung des Jury der Kulturhauptstadtbewerbung und ist bereits drei Mal abgelehnt worden. Dieses Projekt entstand aus einem ehrenamtlich geführten Rundgang „Was uns Straßen erzählen“. Dabei möchte ich gern viel mögliche „Schnittstellen“ vor allem für junge Menschen anbieten. Diesen Rundgang konnte ich mit Schülern bereits einmal im Rahmen eines „Bildungsmarktes“ unter dem Gesichtspunkt der Nachhaltigkeit (das geht tatsächlich!) durchführen, natürlich auch mehrmals mit Älteren. Ich arbeite ständig daran. Auf Ihre Website und Ihre Botschaft stieß ich so eben, da ich einen Kommentar zu einer Diskussion im Stadt verfasst habe. ( https://www.freiepresse.de/chemnitz/arthur-weiner-platz-vergesst-die-frauen-nicht-artikel11494524). Meine Entgegnung: Ist das Wecken von Aufmerksamkeit für Demokratiegeschichte nicht viel wichtiger, als das Aufrechnen der Namensvergabe diesen Inhalts und für diesen Ort?
In unserer Stadt entstehen neue Schulen. Unsere Kinder und spätere Erwachsene erhalten über Name ihrer Schule Angebote zur Identifizierung. Um solche Namen an solchen Plätzen sollten wir uns mehr kümmern und die Schulkonferenzen dazu ermuntern. In diesem Zusammenhang habe ich auf einer Facebook Seite einer Gruppe der Kulturhauptstadtbewerbung Ihre Methode der Spurensuche angeregt. Ich werde sie in meinen nächsten Rundgang mit Schülern mit verwenden.
Spurensuche und Bewahrung von Erinnerungserbe scheinen in Sachsen eine schwierige und eigentlich strittige Angelegenheit zu sein.
Anlass meiner eigenen Spurensuche „Was Straßen uns erzählen“ waren über 14 Jahre Nachforschungen zu einem jüdischen Verwandten, einem Theresienstadt Überlebenden. Über eine Antwort würde ich mich freuen.
Annalena B.
14. Mai 2021 - 10:11Lieber Peter Blechschmidt,
vielen Dank für Ihren Kommentar, der überhaupt nicht spät ist, sondern zeigt, dass das Thema aktuell bleibt. Ihren verlinkten Artikel zur Diskussion um den Arthur-Weiner-Platz konnte ich leider nicht öffnen, da kam mir eine Pawall dazwischen. Aber den Rundgang „Was Straßen uns erzählen“ und Ihr Projekt der Erinnerungsbänke konnte ich finden. Falls Sie dazu Materialien haben, wäre es möglich, diese online einzusehen oder zugeschickt zu bekommen? Der Projektstand und -verlauf würden mich sehr interessieren.
Spurensuche und Bewahrung von Erinnerungserbe sind auf jeden Fall eine strittige Angelegenheit, da haben Sie Recht! Insbesondere, weil/wenn ihnen ein demokratischer Prozess zugrunde liegt. Um Erinnerungskultur offen und inklusiv zu gestalten, müssen möglichst viele Menschen und Meinungen in die Gestaltung einbezogen werden, was Zeit, Geduld – und manchmal auch Nerven – kostet, aber sich lohnt. Daher freut es mich zu lesen, dass Sie Schulklassen durch die Methode Spurensuche miteinbeziehen wollen; ich wünsche gutes Gelingen und wäre gespannt zu hören, was Sie für Erfahrungen machen. (Ich vermute, dass Sie aufgrund ihrer jahrelangen Erfahrung keine Unterstützung bei Ihrem Vorhaben brauchen, aber falls doch, melden Sie sich gerne bei uns.)
Zuletzt noch mein Danke dafür, dass Sie auch Ihren persönlichen Zugang zur Spurensuche geteilt haben. Vielen Dank für Ihren Beitrag!