Demokratiegeschichten

Senbazuru – Tausend Kraniche

Während des Lockdowns probierten viele Menschen neue Hobbies aus. Auch ich gehöre dazu: Irgendwann kam ich darauf, dass ich doch Origami falten könnte. Das hatte mir ein paar Jahre zuvor eine japanische Freundin gezeigt. Die Figuren, die sie faltete, gefielen mir gut und Papier war auch problemlos zu bekommen.

Ich machte mich also im Internet auf die Suche nach Anleitungen – Empfehlung: Youtube – und wurde schnell fündig. Schiffe, Käfer, Blumen – eine papierne Vielfalt breitete sich vor mir aus. Dabei tauchte ein Motiv in den Anleitungen immer wieder auf: der Kranich.

Den Kranich hatte ich schon an anderer Stelle gesehen, wobei mir nicht gleich einfiel, wo. Ich begann zu recherchieren und stieß schnell auf Seiten der internationalen Friedensbewegung. Dort gilt der Kranich – neben der Taube – als ein Symbol der Bewegung. Und als Zeichen gegen Atomwaffen. Die Geschichte dahinter hängt mit dem Atombombenabwurf auf Hiroshima zusammen. Und mit einem zwölfjährigen Mädchen.

Hibakusha – Überlebende des Atombombenabwurfs

Der Atompilz über Hiroshima, 2 Minuten nach dem Abwurf der Bombe; Foto: Mitsuo Matsushige/ CC BY-SA 4.0 DEED.

Hibakusha, das ist japanisch (被爆者) und bedeutet auf deutsch so viel wie Explosionsopfer. Diese Bezeichnung setzte sich in Japan für die Überlebenden des Atombombenabwurfs auf Hiroshima und Nagasaki im August 1945 durch. Hibakusha überlebten zwar den unmittelbaren Abwurf und die Monate danach. Doch viele Menschen nahmen Strahlung auf und erkrankten Jahre später daran, vor allem an Krebs. Erkrankungen an der Schilddrüse sind besonders häufig.

Von der japanischen Regierung sind 650.000 Menschen als Hibakusha anerkannt, 535.000 von ihnen sind Stand August 2023 verstorben. Demnach leben noch etwa 150.000 Überlebende, tatsächlich ist es gut möglich, dass die Zahl höher ist. Denn damals wie heute erleben Hibakusha Diskriminierung: Viele Menschen denken, dass die Strahlenkrankheit vererbbar oder sogar ansteckend ist. Um Diskriminierung zu entgehen, verschwiegen oder verschweigen einige Überlebende daher ihre Geschichte.

Barfuß durch Hiroshima 1
Cover der deutschen Auflage von „Barfuss durch Hiroshima“

Dennoch gibt es ein paar Überlebende, die mit ihren Erfahrungen an die Öffentlichkeit getreten sind. Zu ihnen gehört beispielsweise der Manga-Zeichner Keiji Nakazawa. Als Schüler überlebte er den Bombenabwurf auf Hiroshima, aber verlor einen Großteil seiner Familie bei dem oder als Folge des Abwurfs. Von 1973 bis 1985 veröffentlichte er den Manga Hadashi no Gen, deutsch barfüßiger Gen, der in Deutschland unter dem Titel Barfuß durch Hiroshima erschien. Die Serie hat stark autobiografische Zügen und thematisiert das Überleben des sechsjährigen Gen Nakaoka nach dem Atombombenabwurf auf Hiroshima.

Sadako Sasaki

Doch zurück zu den Kranichen und ihrer Geschichte.

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Sadako Sasaki im März 1955. Foto: unbekannt.

Eine der Überlebenden des Atombombenabwurfs war die zu dem Zeitpunkt 2 1/2 Jahre alte Sadako Sasaki. Sie wuchs in Folge des Abwurfs als scheinbar gesundes Mädchen auf und war unter anderem im Laufteam ihrer Schule aktiv. Doch mit 15 Jahren erkrankte Sadako an Leukämie, ihre Zustand verschlechterte sich schnell.

Im Krankenhaus erzählte ihr eine Freundin, dass Menschen, die 1.000 Origami-Kraniche falteten, von den Göttern einen Wunsch erhalten – Senbazuru. Obwohl sie Schmerzen hatte und das Falten zunehmend Probleme bereitete, faltete Sadako innerhalb weniger Monate 1.000 Kraniche. Sie erhoffte sich, so vielleicht doch noch ihre Gesundheit zurückzuerhalten. Papier erhielt sie von ihren Schulfreund:innen und bat im Krankenhaus nach allen Resten, die sie kriegen konnte.

Sadakos Wunsch erfüllte sich nicht: Am 25. Oktober 1955 starb sie in Hiroshima. Nach ihrem Tod entschieden sich ihre Freunde, ihr und den anderen Kindern, die durch den Atombombenabwurf gestorben waren, ein Denkmal zu setzen. Sie schrieben Briefe und sammelten Geld für ein Denkmal. So verbreitete sich Sadakos Geschichte zunächst über Japan und gelangte dann in die ganze Welt.

Ein Kranich für den Frieden

Das Friedensdenkmal der Kinder im Friedenspark in Hiroshima. CC BY-SA 2.0 DEED

Drei Jahre später wurde das Friedensdenkmal der Kinder eingeweiht. Oben auf dem Denkmal steht eine Statue Sadakos, die einen Kranich über sich hält. An einer Stelle des Denkmals sind die Worte eingraviert: „Das ist unser Schrei, das ist unser Gebet, für eine Welt des Friedens.“

Immer wieder legen Kinder Kraniche am Denkmal ab oder schicken diese aus aller Welt per Post an den Friedenspark. So kommen jährlich etwa 10 Millionen Kraniche zusammen. Jeder von ihnen ist ein Papier gewordener Wunsch für mehr Frieden.


Wer selbst oder mit Kindern einen Origami-Kranich falten möchte, findet hier ein Video auf Youtube oder eine Anleitung auf Wikihow.

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Über uns 
Annalena B. arbeitet bei Gegen Vergessen - Für Demokratie e.V. als Projektkoordinatorin im Bereich Demokratiegeschichte.

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