Am 10. Juli 2021 verstarb die bekannte Antifaschistin und Aktivistin Esther Bejarano, geborene Loewy, in ihrer Heimatstadt Hamburg. Die 96-Jährige blickte auf ein bewegtes politisches Leben zurück. Schon früh hatte sie beschlossen, nicht mehr über ihre Vergangenheit zu schweigen. Sie wollte vor dem warnen, was ihr als Jugendliche widerfahren war: Bejarano überlebte den Holocaust.
Dieses Ziel verfolgte sie singend und schreibend. Sie wollte Menschen mit ihrer Kunst bewegen und informieren: „[…| nicht nur Gleichgesinnte, sondern auch die Menschen, die nicht so genau Bescheid wissen.“ Dieses Versprechen hielt Esther Bejarano.
Mit diesem Artikel möchten wir ihre politische Arbeit und die Leidenschaft, mit der sie für ihre Ziele diskutierte und stritt, würdigen.
Die Familie Loewy
Esther Loewy wurde am 15. Dezember 1924 in einem jüdischen Haushalt in Saarlouis geboren. Sie war die jüngste Tochter von Rudolf Loewy, der als Kantor und Lehrer arbeitete, und Margarethe (geb. Heymann), die ebenfalls als Lehrerin tätig war. Als Esther geboren wurde hatte die Familie bereits drei Kinder: Gerhard, Tosca und Ruth.
Unbeschwert und behütet sei ihre Kindheit gewesen, berichtete Loewy später. Schon früh war sie musikalisch interessiert, was ihre Eltern förderten. Besonders das Klavierspiel hatte es dem Mädchen angetan.
Ihr Vater hatte für seine Dienste im Ersten Weltkrieg das „Eiserne Kreuz Erster Klasse“ erhalten und verstand sich als Patriot. Das Judentum habe im Alltag der Familie bis 1933 keine besonders große Rolle gespielt. Esther Loewy beschrieb ihr Elternhaus als „liberal„: Eine progressive Strömung im Judentum, die zu dieser Zeit in Deutschland nicht ungewöhnlich war.
Machtergreifung der Nationalsozialisten
Die Unbeschwertheit der Familie fand ein schleichendes Ende. Mit der Machtergreifung der Nationalsozialisten 1933 kam es zu ersten antisemitischen Vorfällen in ihrer direkten Umgebung – und sie häuften sich schnell. Nichtsdestotrotz glaubte Rudolf Loewy nicht an eine reale Gefahr. Für den Patrioten war der Nationalismus nur eine „Phase“, die vorübergehen würde.
Seine älteren Kinder dachten jedoch anders über die Situation. Esthers Geschwister verließen Deutschland nach und nach. Ihr 21-jähriger Bruder Gerhard begab sich zu einem Onkel in die Vereinigten Staaten. Ihre Schwestern Tosca und Ruth bereiteten sich in einem „Hachschara“ (einem Vorbereitungslager) auf die Emigration nach Palästina vor.
So blieb Esther Loewy allein mit ihren Eltern zurück. Sie war zu jung, um sich selbstständig für oder gegen eine Ausreise zu entscheiden.
Erst die Ereignisse der „Reichsprogomnacht“ am 9. November 1938 brachten Rudolf Loewy zur Besinnung. Als Jude wurde er in Gewahrsam genommen und für mehrere Tage inhaftiert. Einzig die Tatsache, dass Loewy durch seine christliche Mutter als „Halbjude“ galt, rettete ihn vor einer direkten Überstellung an das KZ Dachau.
Nun wollte Rudolf Loewy doch alles daran setzen, seine Familie schnellstmöglich außer Landes zu bringen. Es gab allerdings keine Ersparnisse, von denen eine solche spontane Emigration hätte finanziert können.
So kam nur Esther in ein Vorbereitungslager der „Jewish Agency for Israel“, während ihre Eltern in ihrer Wohnung ausharrten.
Deportation und Arbeitslager
1941 wurden jedoch alle Vorbereitungslager durch die Nationalsozialisten geräumt. Esther Loewy wurde mit vielen anderen an das Zwangsarbeitslager „Neuendorf“ überstellt. Hier musste die junge Frau für einen Fleurop-Blumenladen arbeiten.
Über das Schicksal ihrer Eltern erhielt sie zunächst keine Mitteilung. Erst Jahrzehnte später erfuhr Esther Loewy, dass Rudolf und Margarethe im Jahr 1941 deportiert und erschossen worden waren. Auch ihre Schwester Ruth hatte es nicht ins Ausland geschafft. Sie war gemeinsam mit ihrem Ehemann in einem KZ getötet worden.
Am 20. April 1943 kam Esther Loewy schließlich in das Lager Auschwitz. Dort wurde ihr eine Nummer tätowiert: Die 41948 sollte sie in den nächsten Jahren gegen ihren Willen begleiten. Erst in den 1980ern entschloss Loewy sich dazu, die Zahl professionell entfernen zu lassen.
Das Mädchenorchester von Auschwitz
Aufgrund ihres Könnens am Klavier wurde die junge Musikerin für das „Mädchenorchester“ des Lagers ausgewählt. Hier spielte sie das Akkordeon, dessen Bedienung sie sich aus ihrem musikalischen Wissen herleitete.
Später sprach Esther Loewy über die Zwiespältigkeit, die sie im Orchester erlebte. Es brachte ihr zwar Vorteile, da sie sie vor schwerer Arbeit bewahrte. Gleichzeitig waren die Erfahrungen traumatisierend: Loewy berichtete davon, dass sie bei den grausamen Separationen an den Rampen von Auschwitz spielen musste.
Aufgrund ihrer christlichen Großmutter wurde Loewy 1943 als „viertelarisch“ anerkannt. Sie wurde in das KZ Ravensbrück überstellt, wo sie für „Siemens“ Zwangsarbeit leisten musste.
Die Todesmärsche
Mit dem Heranrücken der Alliierten brach schließlich Panik unter den Nationalsozialisten aus. Frontnahe Konzentrationslager, wie auch das KZ Ravensbrück, wurden aufgegeben. Die völlig ausgezehrten Insass*innen wurden auf die „Todesmärsche“ getrieben. Ein großer Teil kam dabei gewaltsam um.
Auch Esther Loewy befand sich unter den Häftlingen, die vom KZ Ravensbrück durch die Straßen gejagt wurden. Gemeinsam mit Freundinnen konnte sie schließlich fliehen und sich verstecken. Kurze Zeit später erfolgte die Kapitulation Deutschlands – Esther Loewy war endlich frei.
„Displaced Person“
Die junge Frau kam zunächst in ein Lager für „Displaced Persons“, in dem sich diejenigen befanden, die heimatlos geworden waren. Schnell stellte sie allerdings fest, dass sie in Deutschland keine lebenden Verwandten mehr hatte.
Loewy entschloss sich zur Auswanderung nach Palästina, wo ihre ältere Schwester Tosca lebte. Mit gefälschten Papieren kam sie am 15. September 1945 in Haifa an.
Israel
Während ihres Gesangstudiums im 1948 gegründeten Israel lernte Esther Loewy ihren Partner Nissim Bejarano kennen. Das Paar heiratete und bekam zwei Kinder.
Doch die Bejaranos waren nicht glücklich in Israel. Nissim erlebte den Staat als repressiv gegenüber seinen kommunistischen Einstellungen und Esther kritisierte den Umgang mit Palästinenser*innen. Auch später stand Esther Bejarano der umstrittenen „Boykott, Desinvestionen und Sanktionen„-Bewegung nahe.
1960 kehrte die Familie Israel den Rücken zu. Am 1. Juni 1960 kamen die Bejaranos in Hamburg an, wo sie sich niederließen.
Politische Erweckung
Esther Bejarano beteiligte sich zunächst nicht am politischen Leben in Deutschland. Nach eigenen Aussagen änderte sich dies erst nach einem Ereignis im Jahr 1978: Sie habe beobachtet, wie die Polizei gegen Menschen vorging, die gegen einen Stand der NPD protestierten. Diesen Moment beschrieb Bejarano als ihre „politische Erweckung“.
Esther Bejarano begann, ihre eigene Geschichte zu dokumentieren. Gleichzeitig schloss sie sich der „Vereinigung der Verfolgten des Naziregimes – Bund der Antifaschistinnen und Antifaschisten“ an, deren Ehrenvorsitzende sie ab 2008 war. 1986 gründete sie gemeinsam mit anderen Betroffenen das „Auschwitz Komitee“, das sich dem „Schwur von Buchenwald“ verpflichtete:
„Wir stellen den Kampf erst ein, wenn auch der letzte Schuldige vor den Richtern der Völker steht. Die Vernichtung des Nazismus mit seinen Wurzeln ist unsere Losung. Der Aufbau einer neuen Welt des Friedens und der Freiheit ist unser Ziel. Das sind wir unseren gemordeten Kameraden und ihren Angehörigen schuldig“
Kernaussage des Schwurs von Buchenwald.
Gemeinsam organisierte das Komitee Bildungsreisen und Zeitzeugengespräche. Man wollte die Verbrechen des Nationalsozialismus und die Gefahren des Faschismus präsent halten. Besonders die Jugendarbeit stand im Fokus der Bildungsarbeit. Esther Bejaranos Ziel war klar: Sie arbeitete unermüdlich gegen das Vergessen.
Singend gegen den Faschismus
Auch ihr Gesangstalent nutzte Esther Bejarano für ihre Arbeit. Gemeinsam mit ihren Kindern Edna und Joram veröffentlichte sie als Band „Coincidence“ regelmäßig antifaschistische und jüdische Lieder. 1995 traten sie sogar im Bundestag auf.
Ab 2009 betätigte sich die damals schon über 80-Jährige auch im Hip-Hop: Gemeinsam mit der Band „Microphone Mafia“ veröffentlichte sie 2012 das Album „Per La Vita“. 2013 erschien mit „La Vita Continua“ die Fortsetzung des Projektes.
Eine Stimme gegen Rechts
Esther Bejarano kämpfte durch ihre Projekte und Auftritte unermüdlich für unsere Demokratie und ihre Werte. Sie trat regelmäßig zu Gedenktagen auf, schrieb und sang gegen den Faschismus.
Dabei waren ihre Ansichten nicht immer unumstritten: So kandidierte sie beispielsweise 2017 für kurze Zeit für die DKP im Bundestag. Dennoch war sie eine entscheidende Stimme im Kampf gegen den Rechtsextremismus – und sie war laut!
„Nie mehr schweigen, wenn Unrecht geschieht. Seid solidarisch! Helft einander! Achtet auf die Schwächsten! Bleibt mutig! Ich vertraue auf die Jugend, ich vertraue auf euch! Nie wieder Faschismus – nie wieder Krieg!“
Apell Bejaranos, zitiert in der Mitteilung ihrer Familie und des Auschwitz-Komitees zu ihrem Tod.
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