Am 26. November 1976, heute vor 48 Jahren, verurteilte das Kreisgericht Fürstenwalde den DDR-Oppositionellen Robert Havemann zu Hausarrest.
Pädagogische Mottenkiste
Hausarrest klingt für uns heute eher nach einer Methode aus der pädagogischen Mottenkiste, die im Handyzeitalter als Strafmaßnahme gegen Kinder und Jugendliche weder sinnvoll noch zeitgemäß erscheint.
In der DDR
Ein gerichtlich verordneter Hausarrest aber war auch in der DDR eine Ausnahme. Stattdessen inhaftierte das Unrechtsregime politische Gegner häufig und sperrte sie in Gefängnisse. Was hat es also mit Robert Havemann und dem Hausarrest auf sich?
Inhaftiert und zum Tode verurteilt
Klar ist jedoch, dass Strafmaßnahmen für Robert Havemann nichts Neues. waren und Hausarrest auch nicht das Schlimmste, was er in seinem Leben bisher erlebt hatte. Denn der überzeugte Marxist war 1943 von den Nationalsozialisten inhaftiert und zum Tode verurteilt worden.
Eine Widerstandsgruppe
Er hatte die Widerstandsgruppe „Europäische Union“ mitgegründet, die Kontakte zu Zwangsarbeiter:innen im Deutschen Reich pflegte und versuchte, Jüd:innen vor der Deportation zu retten.
Vollstreckung aufgeschoben
Einige aus der Gruppe wurden 1944 hingerichtet, aber im
Fall Robert Havemanns wurde die Vollstreckung immer wieder verschoben. Der Grund dafür liegt vermutlich an Havemanns „Verdiensten“ als Chemiker, denn seine Forschungen u.a. bei der Entwicklung von Giftgas wurden als „kriegswichtig“ eingestuft, so dass er diese Forschungen während seiner Haftzeit in Brandenburg-Görden in einem für ihn eingerichteten Labor fortsetzen konnte. 1945 wurden er durch die einmarschierende Rote Armee befreit.
Karriere nach Kriegsende
Als ehemaliger Widerstandskämpfer gegen den Nationalsozialismus und als begabter Naturwissenschaftler machte Havemann nach Kriegsende schnell Karriere. So wurde er Im Juli 1945 Leiter der Kaiser-Wilhelm-Forschungsinstitute in Berlin-Dahlem und ein Jahr später hielt er erste Vorlesungen an der neu gegründeten Humboldt-Universität im östlichen Teil der Stadt.
Kritik an den Amerikanern
Parallel dazu warb Havemann für den Aufbau eines neuen Staates unter sozialistischen Vorzeichen. Dadurch, dass er die amerikanischen Pläne zur Entwicklung einer Wasserstoffbombe öffentlich kritisiert hatte, wurde er 1950 aus den Kaiser-Wilhelm-Instituten im amerikanischen Sektor Berlins entlassen, . Daraufhin siedelte Havemann in den sowjetischen Sektor Berlins um und wurde hauptamtlicher Professor und Institutsleiter an der Humboldt-Universität.
Politisch ambitioniert
Von 1948 bis 1963 war er außerdem Abgeordneter des deutschen Volks-Kongresses beziehungsweise der späteren Volkskammer der DDR. Auch r in die SED trat er 1951 ein.
Gegen die Junge Gemeinde
1953 beteiligte er sich an einer Kampagne gegen die Junge Gemeinde, in dem er in persönlichen Gesprächen im Sinne der SED massiven Druck auf christliche Studierende ausübte, von denen auch einige exmatrikuliert wurden.
Stasimitarbeiter
Auch seine Kolleginnen und Kollegen gerieten durch Havemann ins Visier des Unrechtstaates. Als informeller Mitarbeiter der Staatssicherheit bespitzelte er Wissenschaftler:innen, die nicht linientreu waren. Auch westdeutsche Forscher:innen sollte er ausspionieren und vom DDR-System überzeugen.
Zweifel am Regime
Aber die eigenen Überzeugungen Havemanns begannen Mitte der 1950er Jahre zu bröckeln. In Vorträgen und Artikeln prangerte er immer wieder die eingeschränkte Freiheit der Wissenschaften in den sowjetisch dominierten Staaten an. Außerdem bewertete er 1956 die Aufstände in Polen und Ungarn gegen sie sowjetische Besatzungsmachtpositiv.
Verdächtig
So wurde aus dem Stasispitzel schließlich selbst ein Verdächtiger. 1963 entließ ihn die Staatssicherheit und überwachte und bespitzelte ihn nun selbst.
Entlassen
1963 verlor Havemann seinen Sitz in der Universitätsleitung. In seiner Vorlesung forderte er weiterhin wortgewaltig eine freiere Gesellschaft. Darauf folgte die fristlose Entlassung aus der Universität 1964. Ein weiteres Jahr später verlor er auch seine Arbeitsstelle an der Akademie der Wissenschaften und im Folgejahr verhängte der SED-Staat ein vollständiges Berufsverbot als Hochschullehrer und Forscher.
Unbeirrt oppositionell
Das Berufsverbot hinderte Havemann nicht daran, sich weiter kritisch und oppositionell zu äußern. Ab Ende der 1960er Jahre trat Havemann im In- und Ausland mit Regime-Kritiker:innen der DDR in Kontakt. 1968 lobte er auch ausdrücklich den Prager Frühling und kritisierte seine Niederschlagung. Zudem bekannte er sich in westdeutschen Medien zu seiner Abkehr vom Stalinismus und innerhalb der DDR freundete sich Havemann weiterhin mit bekannten, oppositionellen Kunst- und Kulturschaffenden wie dem Schriftsteller Jürgen Fuchs und dem Liedermacher Wolf Biermann an.
Biermann wird ausgebürgert
Der Liedermacher war dem SED-Regime ein noch größerer Dorn im Auge als Havemann. Am 16. November 1976 nutzte das Politbüro eine Konzertreise Biermanns in Westdeutschland, um dem Sänger die Wiedereinreise in die DDR zu verweigern und ihn auszubürgern.
Havemann reagiert
Havemann reagierte prompt auf die Ausbürgerung eines seiner besten Freunde und richtete einen Appell an den Staatsratsvorsitzenden Erich Honecker, den das westdeutsche Nachrichtenmagazin „Der Spiegel“ am 22. November 1976 veröffentlichte.
Die rote Linie
Dieser Appell und seine Veröffentlichung im Westen war die rote Linie, die Havemann überschritt. Aber nun reagierte auch das DDR-Regime schnell mit dem Gerichtsbeschluss vom 26. November 1976, dem zu Folge er und seine Familie ihr Haus im brandenburgischen Grünheide nicht mehr verlassen durften und rund um die Uhr von Stasi und Polizei überwacht wurden. Vermutlich traute sich das Regime nicht, den früheren NS-Widerstandskämpfer in der aufgeheizten Stimmung nach der Biermann-Ausbürgerung in ein Gefängnis zu werfen. Aber man wollte ihn endlich mundtot machen und Kontakte mit anderen Oppositionellen verhindern.
Auf Kassetten aufgenommen
Doch dies misslang, da Havemann Statements und politische Kommentare auf Tonkassetten aufnahm, seine Isolation in Grünheide schilderte und die Vision eines demokratischen Sozialismus entwarf. Anschließend schmuggelten Freundinnen und Freunde die Tonkassetten und andere Dokumente heraus, die so in den Westen gelangten und dort veröffentlicht wurden.
Aufgehoben
Erst im Mai 1979 hob das DDR-Regime den Hausarrest wieder auf. Aber der Kampfeswille Robert Havemanns war nicht gebrochen, denn mit Beginn der 1980er Jahre engagierte er sich bereits schwer erkrankt für die polnische Prostest- und Gewerkschaftsbewegung Solidarnosc.
In der Friedensbewegung
Zeitgleich schloss er sich der unabhängigen Friedensbewegung in der DDR an. Neben bekannten Regimegegner:innen wie Gerd Poppe und Bärbel Bohley arbeitete er vor allem mit dem kritischen Pfarrer Rainer Eppelmann zusammen. 1981 schrieben sie Briefe an Honecker und Breschnew in denen sie gegen Aufrüstungen und Kernwaffen protestierten. Auch diese beiden Briefe wurden in Westdeutschland öffentlich herausgegeben. Ein Jahr später veröffentlichten beide den bekannten „Berliner Appell“, den auch Westdeutsche unterzeichneten. Darin plädierten Havemann, Eppelmann und die Unterzeichner:innen für gemeinsame Verhandlungen zwischen der BRD und DDR über den Abzug jeglicher Atomwaffen im geteilten Deutschland. Wenige Monate nach dem Erscheinen des Appells, am 9. April 1982, starb Robert Havemann
Treffpunkt der Opposition
Derweil wurde sein Haus in Grünheide bei Berlin zu einem beliebten Treffpunkt von Regime-Gegner:innen bis zum Ende der DDR. So wurde es noch Jahre nach seinem Tod Gründungsort der Widerstandsgruppe „Neues Forum“, aus der 1990 die Robert-Havemann-Gesellschaft hervorging.
Rehabilitiert
Vor 35 Jahren, am 28. November 1989, rehabilitierte die Zentrale Parteikontrollkommission Robert Havemann und im Jahr 2000 kam es zu einem Prozess in Neuruppin gegen den ehemaligen Kreisstaatsanwalt von Fürstenwalde, der zu einer Freiheitsstrafe von einem Jahr auf Bewährung verurteilt wurde. Ihm wurde nachgewiesen, dass es sich bei der Verhängung des Hausarrests gegen Robert Havemann 1976 um einen angeordneten Scheinprozess gehandelt habe.
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