Mit Unterstützung der Berthold-Leibinger-Stiftung hat die Landesarbeitsgemeinschaft Baden-Württemberg im Jahre 2019 einen Preis ausgelobtt, mit dem Aktivitäten von Gruppen oder Einzelpersönlichkeiten unseres Bundeslandes anerkannt werden, die in der Erinnerungskultur vorbildlich sind. Sehr glücklich waren wir, den Namen des Preises nach einer bedeutenden Frau nennen zu können, die aus Karlsruhe
stammt. Rahel Straus ist in vielfacher Weise aktiv für Ziele eingetreten, die wir in unserem Verein verfolgen, und sie hatte sich zum Ziel gesetzt, die Emanzipation der Frauen zu fördern. Diese Lebensleistung darf auch als ein Beitrag im Sinne der erfolgreichen Demokratiegeschichte gewertet werden.
Um wen handelte es sich bei Rahel Straus?
Rahel Straus wurde 1880 in Karlsruhe als Kind des orthodoxen Rabbiners Gabor Goitein und seiner Frau Ida geboren. Sie besuchte das erste deutsche Gymnasium für Mädchen in Karlsruhe, wo sie 1899 Abitur machte. Sie war es, die die erste Abiturrede einer jungen Frau in Deutschland hielt. Und schon aus dieser Rede konnte man heraushören, welch selbstbewusste und den allgemeinen Menschenrechten verpflichtete Person da auftrat und mit welchem Engagement sie während ihres gesamten Lebens diese Ziele verfolgte.
Mir ist die Ehre zu Teil geworden, bevor wir auf immer aus diesen uns so lieb gewordenen Räumen scheiden, von hier aus einige Worte des Abschiedes sprechen zu dürfen. Ein bedeutungsvoller Moment ist dies; nicht nur für meine Colleginnen und für mich, die wir die Schule verlassen, nein, ich glaube, diesen Augenblick nicht zu überschätzen, wenn ich sage, er ist auch bedeutungsvoll für diese ganze Anstalt, für viel weitere Kreise noch, bedeutungsvoll für ganz Deutschland. Ist es doch das erste Mal, daß Schülerinnen eines regelrechten Gymnasiums in unserem Vaterland das Abiturium machen durften, daß Abiturientinnen hinauszogen aus der Schule, um zu weiterem Studium auf die Hochschule zu gehen. Ja, etwas Neues, etwas noch nie Dagewesenes ist es.
Medizinstudentin in Heidelberg
Sie schrieb sich als erste Medizinstudentin an der Universität Heidelberg ein. Trotz der ablehnenden Haltung einiger Professoren studierte sie als erste Frau an der Medizinischen Fakultät der Universität. 1905 bestand sie das ärztliche Staatsexamen. Im selben Jahr heiratete sie den ebenfalls aus Karlsruhe stammenden Rechtsanwalt und bekannten Zionisten Elias Straus und zog mit ihm nach München. 1907 folgte die Promotion zum Dr. med.
Schon im nächsten Jahr eröffnete sie in München eine gynäkologische Praxis. Damit war sie die erste niedergelassene Ärztin, die an einer deutschen Universität ausgebildet worden war. In München kamen ihre fünf Kinder zur Welt. Ungewöhnlich für diese Zeit war es auch, dass sie es
schaffte, Familien- und Berufsarbeit zu bewältigen.
Wirken in München
1918 beteiligte sie sich in einigen Gremien der Münchner Räterepublik, unter anderem im Frauen und Arbeiterrat sowie dem geistigen Rat. Zusammen mit ihrem Mann gehörte sie in München zur dortigen zionistischen Bewegung. Sie wurde insbesondere im Jüdischen Frauenbund sowie in der Women’s International Zionist Organization aktiv.
Neben ihrer Praxistätigkeit engagierte sie sich ebenfalls in verschiedenen sozialen Bereichen und war Mitglied in mehreren Frauenorganisationen. U. a. war sie führend im „Jüdischen Frauenbund“ tätig. In dessen Zeitschrift „Blätter des Jüdischen Frauenbundes für Frauenfragen und Frauenbewegung“, deren Schriftleiterin sie war, plädierte sie für die Abschaffung des § 218 und gestand der Frau das persönliche Recht zu, über eine Abtreibung zu entscheiden.
In ihrem Haus in der Kobellstraße 13 war Rahel Straus außerdem die Gastgeberin für die geistige Elite der Zeit. So etwa tagte hier das Kuratorium der Universität Jerusalem mit Albert Einstein und Martin Buber.
Diskriminiert im Nationalsozialismus
Das Jahr 1933 brachte neben der wirtschaftlichen und sozialen Ausgrenzung einen weiteren schweren Schicksalsschlag mit sich. Ihr Ehemann Elias, der Vater ihrer fünf Kinder, erkrankte an Krebs und verstarb im Juni desselben Jahres. Zuvor hatte es Dr. Elias Straus, der ein angesehener Jurist und stellvertretender Vorsitzender der Münchner Kultusgemeinde war, erleben müssen, dass er nach dreißigjähriger Praxis als „nichtarischer“ Anwalt das Justizgebäude nicht mehr betreten durfte.
Der zunehmende Boykott ihrer Arztpraxis sowie der Tod des Partners führten zur Entscheidung, Deutschland zu verlassen. „Dass es nur Palästina sein konnte, war für mich keinen Augenblick zweifelhaft. Das einzige Land, das Heimat werden konnte, wenn man die angeborene Heimat verließ, war Erez Israel“, schrieb sie in ihren Erinnerungen. „Wäre ich nicht mein ganzes Leben lang Zionistin gewesen, so wäre ich, wie so viele andere, wohl doch der Verlockung erlegen, mich irgendwo in Europa anzusiedeln. Aber zu viel Schlimmes hatte ich seit Hitlers Machtergreifung schon gesehen, und viel Schlimmes, das wusste ich, würde noch kommen.“ Im Herbst 1933
emigrierten die Witwe und ihre Kinder über die Schweiz und Italien nach Palästina.
Leben in Israel
Dr. Rahel Straus erhielt von den britischen Behörden eine Lizenz und eröffnete nun im Alter von 54 Jahren umgehend eine eigene Arztpraxis in Jerusalem, die sie bis 1940 führte. In diesem Jahr beendete sie ihre medizinische Arbeit und engagierte sich fortan in der Wohlfahrtspflege. Da sie einen Großteil ihres Vermögens aus Deutschland hatte mitnehmen können, richtete sie Kochkurse sowie eine öffentliche Küche ein und initiierte eine Altkleidersammlung für mittellose jüdische Neueinwanderer. Daneben wurde ihr Haus zu einem Treffpunkt für politisch und kulturell Interessierte, die bei Vorträgen und Gesprächsrunden aktuelle Themen diskutierten.
Nach der Proklamation des Staates Israel im Jahre 1948 führte Rahel Straus ihre sozialfürsorgerische Arbeit fort. Dort gehörte sie zu den Gründern von „AKIM -Association for the Habilitation of the Intellectually Disabled“, deren Jerusalemer Sonderschule noch heute ihren Namen trägt: Beit Rahel Straus. Zudem betätigte sie sich politisch in der „Womens International
League for Peace and Freedom“, deren Vorsitz sie übernahm.
Nach einem erfüllten Leben starb Rahel Straus kurz nach ihrem 83. Geburtstag im Mai 1963. Sie hinterließ einen umfassenden autobiografischen Text über ihr Leben in Deutschland sowie ein in
Israel sehr populäres Kinderbuch in hebräischer Sprache.
Quellen und Tipps zum Weiterlesen:
- www.rijo.homepage.t-online.de › pdf › DE_MU_JU_straus
- https://stadtlexikon.karlsruhe.de/index.php/De:Lexikon:bio-0613
- https://geschichte.charite.de/aeik/biografie.php?ID=AEIK00723
- https://www.deutsche-biographie.de/sfz128435.html
Wolfgang Dästner ist Sprecher der RAG Südbaden von Gegen Vergessen – Für Demokratie e.V. Vielen Dank für den Beitrag!
2 Kommentare
Brigitte Diefenbacher
8. Januar 2023 - 18:52die Links funktionieren nicht, schade
Annalena B.
9. Januar 2023 - 14:42Vielen Dank für den Hinweis!
Wir haben die Links nun aktualisiert, sie führen wieder zu den korrekten Seiten (Bei der ersten Quelle unter dem Text muss man unter jüdische Geschichte -> Biografien -> Das Ehepaar Dr. Elias und Dr. Rahel Straus, geb. Goithein schauen).