Demokratiegeschichten

Partei und Protestbewegung I

Die SPD Münster und die Friedensinitiative Münster (FIM) im Konflikt um den Antrag, die Stadt atomwaffenfrei zu erklären (1983) 

In Münster (Westfalen) bildet sich von Beginn an ein breites Bündnis gegen die Stationierung von Cruise Missile und Pershing II in der Bundesrepublik. Auch die dortige SPD versteht sich als damalige Minderheit in ihrer Partei als Partnerin der lokalen Friedensbewegung. Sie sieht sich dabei an der Seite der Friedensinitiative Münster (FIM). Diese Initiative ist ein aktives Bündnis von unterschiedlichen Parteien und Organisationen, gewerkschaftlichen und auch christlichen, das gegen die Stationierung kämpft. Die FIM begreift sich aber nicht als Sprecherin der sie unterstützenden und in ihr aktiven Organisation. Sondern als unabhängig und eigenständig, mit eigenen Forderungen auch z.B. gegenüber den in ihr arbeitenden Parteien.

Dieses Selbstverständnis spielt eine zentrale Rolle im Konflikt um den Antrag Atomwaffenfreies Münster.

Der Konflikt: Wie er mit welchem Ende verläuft

Das Ziel der FIM

Die FIM sieht 1983 das entscheidende Mittel, den Widerstand gegen die Stationierung weiter zu stärken. Und „vor allem noch viele mehr Menschen in unserer Stadt ein(zu)beziehen“, in der Aktion „Münster muß Atomwaffenfreie Zone werden!“

Im Oktober 1983 ruft die FIM in einem vierseitigen Flugblatt die „Bürger“ dazu auf, sich an der öffentlichen Übergabe des Bürgerantrags „Münster – Atomwaffenfreie Zone“ am 21. Oktober vor dem Rathaus zu beteiligen. Es ist der Höhepunkt einer seit langer Zeit betriebenen und intensiven Kampagne von 14 Stadtteilinitiativen unter dem Dach der FIM. Die Aktivitäten der Stadtteilinitiativen bestanden vor allem darin, Unterschriften für den Antrag zu sammeln.  Dieser Antrag ist Bestandteil bundesweiter Aktivitäten vor allem seit Mitte 1982, Kommunen über einen Ratsbeschluss für atomwaffenfrei zu erklären, als „Ausdruck und Instrument eines kommunalen Friedenswillens“.

Er hat folgenden Inhalt:

„Wir schließen uns dem Krefelder Appell an die Bundesregierung an, ‚die Zustimmung zur Stationierung von PERSHING II–Raketen und Marschflugkörpern in Mitteleuropa zurückzuziehen‘.

Wir fordern den Rat der Stadt Münster auf (!)

unsere Stadt symbolisch zur atomwaffenfreien Zone zu erklären und Lagerung, Produktion und Transport von Atomwaffen, biologischen und chemischen Kampfstoffen sowie Neutronenbomben in Münster zu verbieten;

im Rahmen seiner Möglichkeiten sich aktiv dafür einzusetzen, die für 1983 geplante Stationierung neuer Atomraketen zu verhindern.

Die Erklärung unserer Stadt zur atomwaffenfreien Zone soll den Protest der Münsteraner Bevölkerung gegen die geplante Stationierung neuer Atomwaffen in unserem Land zum Ausdruck bringen.“

Die Forderungen sind eindeutig und allgemeinverständlich und zugleich die erste an den Rat symbolischer Natur. Das Wort „symbolisch“ teilt richtigerweise mit, dass der Rat nicht die faktische Macht besitzt, die Stadt atomwaffenfrei zu halten. Und deshalb das Verbot von Lagerung, Produktion und Transport von Atomwaffen, biologischen und chemischen Kampfstoffen sowie Neutronenbomben in Münster zu beschließen, nichts anderes als eine Maßnahme ohne jede tatsächliche Wirkung sein kann.

Die kommunalpolitische Situation

1983 sind die Mehrheitsverhältnisse im Stadtrat eindeutig. CDU und FDP, die den Doppelbeschluss befürworten, verfügen gemeinsam über 40 Sitze (35 und 5). SPD und Grüne, die beide in der Friedensbewegung mitwirken, über 27 (23 und 4). Wenn der Bürgerantrag Chancen auf Erfolg haben soll, braucht er im Rat eine Mehrheit von 34 Ratsfrauen und  -herren. Anders gesprochen: Falls SPD und Grüne geschlossen für ihn stimmen, sind noch 7 Stimmen aus dem bürgerlichen Lager notwendig. Das ist die kommunalpolitische Situation, als die FIM für Freitag, den 21. Oktober, die Münsteraner:innen bittet, sich auf dem Prinzipalmarkt vor dem Rathaus zu versammeln.

Die Einschätzung der FIM angesichts der Situation

Die FIM will die „Friedenspolitik ins Rathaus“ tragen. In ihrer Einschätzung der Erfolgsaussichten für den Bürgerantrag geht sie in ihrem Flugblatt zunächst auf die offensichtlich vorhandene Skepsis gegenüber seiner Realisierung ein.

„Auf eine ‚Beerdigung zweiter Klasse‘ (…) liefe der (…) Bürgerantrag für ein atomwaffenfreies Münster angesichts der Mehrheiten im münsterschen Rat hinaus. Eine ‚Beerdigung‘ deshalb, weil sich keine Mehrheiten für eine Annahme des Antrags finden ließen, ‚zweitklassig‘, weil der Oberbürgermeister – anders als bei einem Parteienantrag – nicht gezwungen werden könne, eine Ratsdebatte über einen Bürgerantrag zu ermöglichen.“

Trotz dieser „Skepsis“, die die FIM als „formal sicher gerechtfertigt(en)“ anerkennt, habe man sich entschieden, den Bürgerantrag einzubringen.

Den Fraktionen von SPD und Grünen hat die Initiative dabei die Funktion des parlamentarischen Arms zugedacht:

„Gleichzeitig wurden jedoch SPD und GAL (Grüne Alternative Liste, der Verf.) aufgefordert, alle parlamentarischen Möglichkeiten zu nutzen, um dem Bürgerantrag doch die Chance einer parlamentarischen Debatte und Abstimmung zu eröffnen.“

Aus Sicht der FIM erschwert die Reaktion der SPD-Fraktion darauf diese Chance. Sie übt deutliche Kritik an einer Entscheidung, die die sozialdemokratischen Ratsmitglieder getroffen haben:

„Beide Parteien (SPD und Grüne, der Verf.) waren anfänglich grundsätzlich bereit, zugunsten eines Bürgerantrags, der aus einer breiten Diskussion innerhalb der Stadtteilinitiativen hervorgegangen war, auf die Einbringung der von ihnen erarbeiteten Ratsanträge zu verzichten. Parteiinterne Diskussionen führten jedoch zu dem Ergebnis, daß die SPD in jedem Fall ihren eigenen Antrag in den Rat einbringen wird, eine Entscheidung, die bei den Stadtteilinitiativen auf herbe Kritik stieß. Gleichzeitig wurde von der SPD jedoch erklärt, daß voraussichtlich eine sehr große Zahl von sozialdemokratischen Ratsvertretern zugleich den Bürgerantrag unterstützen wollen (!).“

Die FIM zieht Konsequenzen

Unter diesen Umständen geht die FIM davon aus, dass eine „Mehrheit im Rat (…) durch dieses unerwartete Verhalten der SPD in noch weitere Ferne gerückt“ ist.

„Es scheint schwerer, eine Mehrheit bei den Bürgervertretern im Rat zu gewinnen, als dies bei den bisherigen Unterschriftensammlungen bei den Bürgern selbst der Fall war“.

Die FIM zieht aus ihrer Bewertung der Situation daher drei Konsequenzen:

„Der CDU-Oberbürgermeister muß den Bürgerantrag am 2. November auf die Tagesordnung setzen! Eine Weigerung könnte nur als Versuch der Behinderung einer inhaltlichen Diskussion verstanden werden.“

Bei der zweiten Schlussfolgerung geht die FIM davon aus, „dass Tausende von Unterschriften und eine große Zahl von Erstunterzeichnern aus allen Kreisen der Bevölkerung (…) auch bei CDU- und FDP-Vertretern ihre Wirkung nicht verfehlen“ dürften. Deshalb fordert sie:

„Die Gewissensentscheidung für oder gegen ein atomwaffenfreies Münster – als symbolischer Schritt in Richtung auf ein atomwaffenfreies Europa – darf in keiner Partei (auch nicht in der CDU) dem Fraktionszwang geopfert werden.“

Als Drittes entwickelt die FIM die Perspektive einer „interfraktionelle(n), also die Parteiengrenzen in dieser für unsere Stadt so bedeutungsvollen Frage überschreitende(n) Initiative von Ratsvertretern für ein ATOMWAFFENFREIES MÜNSTER“. Sie, meint die FIM, „trüge dem Bürgerwillen sicher am ehesten Rechnung“.


Zum Werk und Autor

Klaus-Dieter Franke war Lehrer für Deutsch und Geschichte.


Dieser Beitrag entstand im Seminar Forschendes Lernen zum Thema „Protestgeschichte(n) in Westfalen im 20. Jahrhundert“ an der Universität Münster. Eine Vollversion des Aufsatzes findet sich zudem hier auf dem Publikationsportal der Universität Münster.

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