Demokratiegeschichten

Müllverbrennung in Lüdinghausen-Tetekum? – NEIN! (I)

Eine Müllverbrennungsanlage wie die im benachbarten Hamm (Titelbild) sollte als Ergebnis eines Gutachtens vom Herbst 1993 im Auftrag der Kreise Coesfeld und Borken möglicherweise auch im idyllischen Lüdinghausen am südöstlichen Rand dieser beiden Kreise angesiedelt werden.

In den Monaten zuvor hatte die Presse vereinzelt, aber eher theoretisch, über Müllverbrennung als zukunftsträchtige Alternative zu den bis dahin üblichen Mülldeponien berichtet. In der Bevölkerung führte dies nicht zu nennenswertem Widerspruch. Das Problem wurde, wenn überhaupt, als eines registriert, welches sich in weiter Ferne abspielte. Und damit eher in den Zirkeln von Wissenschaft, Umweltbewegung und Macht behandelt wurde, also für Lüdinghausen nicht so relevant war. Letztlich ging es um die Beseitigung von Restmüll, auch aus Lüdinghausen. Aber warum sollte das gerade hier, vor der eigenen Haustür passieren!

Als Lüdinghausen als möglicher Standort neben den Alternativen Borken und Bocholt publik wurde, war es mit der Gelassenheit vorbei. Die Meldung löste in der Stadt einen Sturm der Entrüstung aus.

Vorgeschichte des Standortvorschlags Lüdinghausen – Tetekum

Hinsichtlich der geordneten Bewältigung des Abfallaufkommens gab es mit dem Abfallbeseitigungsgesetz 1972 die erste bundeseinheitliche Regelung. Darin wurde in § 2 das Ziel der Abfallbeseitigung formuliert: „Abfälle sind so zu beseitigen, da[ß] das Wohl der Gemeinschaft nicht beeinträchtigt wird, …“ (Bundesgesetzblatt, Teil I, Nr. 49, 10. Juni 1972, §2, S. 873).

Die Zielsetzung des Gesetzes war mithin die möglichst konfliktfreie Beseitigung des immer größer werdenden Müllbergs. Auf diese Weise wurde aber das Mengenproblem mit dem wachsenden Landschaftsverbrauch durch Deponien und vor allem die Verschwendung von Ressourcen, die im Müll steckten, ignoriert.

Im Jahre 1988 beschloss der Landtag in NRW das Landesabfallgesetz (LAbfG). Darin modifizierte er in § 1 die Zielsetzung der Abfallwirtschaft gegenüber dem Abfallgesetz von 1972 entscheidend. Oberste Priorität hatte danach die Vermeidung von Abfällen. Darüber hinaus die Wiederverwertung unvermeidbaren Abfalls und schließlich die umweltverträgliche Ablagerung unverwertbarer Abfälle. Als entsorgungspflichtige Körperschaften wurden im Gesetz Kreise und kreisfreie Städte bestimmt. Entsorgungspflichtige konnten nach § 6 des LAbfG zu Entsorgungsverbänden zusammengeschlossen werden. Die Bezirksregierung als obere Abfallwirtschaftsbehörde hatte die gesetzliche Aufgabe, unter Beteiligung der Kreise und unter Anhörung anderer betroffener Körperschaften für alle Entsorgungsräume einen Abfallentsorgungsplan aufzustellen (§17).] Ein Kernelement solcher Pläne sollte die Ausweisung geeigneter Abfallentsorgungsanlagen sein, mit denen sich ein nicht unerheblicher Teil des Gesetzes beschäftigte (§20-27).

Die Rechtsgrundlagen und Bildung von Entsorgungsverbänden

Eine Präzisierung der Rechtsgrundlagen von Abfallbeseitigungs- und Verwertungsanlagen erfolgte durch den Bundesgesetzgeber mittels einer Verwaltungsvorschrift zum Abfallgesetz, der „Technische[n] Anleitung zur Verwertung, Behandlung und sonstigen Entsorgung von Siedlungsabfällen“ (TA Siedlungsabfall).Die Regelungen verfolgten ähnliche Ziele wie das LAbfG, konkretisierte dabei jedoch äußerst detailliert die Behandlungstechniken der verschiedenen Abfallsorten wie auch die technischen Anforderungen an die Entsorgungsanlagen. Eine wichtige Funktion hatten dabei Anlagen für die thermische Behandlung, also die Müllverbrennungsanlagen. Sie hatten die Aufgabe, gefährliche Inhaltsstoffe zu zerstören, das Abfallvolumen zu reduzieren und die verbleibenden Rückstände verwertbar oder ablagerungsfähig zu machen. Die dabei gewonnene Wärmeenergie sollte weitest möglich genutzt werden.

Im gleichen Jahr bildeten sich auf Initiative des Landes NRW bzw. der Bezirksregierungen hin Entsorgungsverbände aus verschiedenen Kreisen, die ein Entsorgungskonzept erstellen mussten. Dazu benötigten sie wiederum aufgrund der Vorgaben der TA Siedlungsabfall eine Müllverbrennungsanlage, die die im Entsorgungsraum anfallenden Restmüllmengen „thermisch verwerten“ konnte. Im Münsterland bildete man dafür zwei Entsorgungsverbände. Einer bestand aus den Kreisen Warendorf und Steinfurt und der kreisfreien Stadt Münster, der andere aus den Kreisen Coesfeld und Borken. Beide Verbände, bzw. die beteiligten Kreise, beauftragten den Projektentwickler Deutsche Projekt Union (DPU) von Reinhard Schulz in Essen. Dieser war bereits als SPD-Politiker in der Region tätig und sollte ein Gutachten über geeignete Standorte in den Entsorgungsräumen erstellen.

Mögliche Stadtorte für eine Müllverbrennungsanlage im Entsorgungsraum Coesfeld-Borken

Geeignete Flächen wurden von der DPU im westlichen Entsorgungsraum des Münsterlandes in Lüdinghausen, Bocholt und Borken gefunden. Ihre Eignung wurde auf einer Pressekonferenz in Altenberge, von der tags darauf am 27. Oktober 1993 die Lüdinghauser Zeitung berichtete, anhand verschiedener Eignungskriterien, wie Abstand zur Wohnbebauung, Verkehrsanbindung und sensible Raumnutzungen in der Umgebung erläutert. Der Landrat und Oberkreisdirektor des Kreises Coesfeld waren von der Ergebnispräsentation angetan. Die Kommunalpolitiker Lüdinghausens zitiert die Lokalzeitung jedoch durchweg mit negativen Kommentaren zur Entscheidung.

Standortvorschlag für eine MVA in Lüdinghausen-Tetekum.
Man erkennt die auf den ersten Blick günstige Lage in einem Gewerbegebiet zwischen dem Dortmund-Ems-Kanal, der B 235 und der Eisenbahnlinie Dortmund – Gronau/Enschede. Die kleinteiliger strukturierte Wohnbebauung befindet sich in einiger Entfernung vom geplanten Standort. Karte: Land NRW, Online-Kartenerstellung mittels TIM-online über die Website: https://www.tim-online.nrw.de/tim-online2/, Internetzugriff am 2.5.2023, Eintrag Standortvorschlag durch Verfasser.

Teil II folgt in Kürze.


Heribert Schwarzenberg (*1951) ist Teilnehmer des „Studium im Alter“ an der WWU Münster. Zuvor war er Lehrer für Mathematik, Wirtschaftswissenschaft, Geographie und Informatik am Kant Gymnasium Münster-Hiltrup.
Dieser Beitrag entstand im Seminar Forschendes Lernen zum Thema „Protestgeschichte(n) in Westfalen im 20. Jahrhundert“ an der Universität Münster. Eine Vollversion des Aufsatzes findet sich zudem hier auf dem Publikationsportal der Universität Münster.

Artikel Drucken
Über uns 

0 Kommentare

Kommentar schreiben

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert