Kindergärten verbieten? Eine Regierung, die heute in Deutschland solch eine Entscheidung träfe, müsste wohl ziemlich schnell abdanken. Doch nicht 1851, als die preußische Regierung eben dieses Verbot erließ. Aber schon damals gab es Protest und Bestrebungen, die Kindergärten doch einzuführen. Eine, die sich gegen das Kindergartenverbot einsetzte, war Lina Morgenstern.
Frühes Engagement
Lina Morgenstern, geborene Bauer, kommt 1830 in Breslau auf die Welt. Sie ist das dritte von sechs Kindern einer jüdischen Familie, ihre Erziehung ist liberal. Neben dem Besuch der privaten „Wernerschen Höheren Töchterschule“ erhält sie Privatunterricht in Sprachen, Musik und Gesang. Im Selbststudium beschäftigt sie sich zudem mit Kunstgeschichte und Literatur.
Bereits im Alter von 18 Jahren beginnt Lina Morgensterns soziales Engagement. Zusammen mit einigen Freundinnen gründet sie 1848 den Breslauer „Pfennigverein zur Unterstützung armer Schulkinder“. Der Verein sammelt u. a. Schulbücher und Schreibmaterial für Kinder armer Familien.
Nach ihrer Hochzeit 1854 siedelt sie mit ihrem Mann Theodor Morgenstern nach Berlin über. Dort gründet Lina Morgenstern den ersten Berliner Kindergarten nach Ideen des Reformpädagogen Friedrich Fröbel. Ein riskanter Schritt. Denn, wie bereits angesprochen, sind Kindergärten seit 1851 im preußischen Staat verboten. Doch warum ist das so?
Kindergärten nach Vorbild Fröbels
Friedrich Fröbels (1782-1852) Ideen zur frühkindlichen Entwicklung und Förderung sind heute Grundlage der Pädagogik. Doch 1840, als er seine Ideen zum Kindergarten erstmals in Bad Blankenburg umsetzte, galten sie als revolutionär. Das Spielen, so Fröbel, sei nicht nur Belohnung für Kinder. Vielmehr würden Kinder dabei wichtige Entwicklungsschritte vollziehen. Beispielsweise würden sie beim Spielen Selbstständigkeit lernen. Deshalb sollte man dem Spielen als pädagogischem Mittel mehr Platz in der Erziehung einräumen. Die dafür gegründeten Kindergärten will Fröbel den Schulen vorschalten und sie so zum Teil des Bildungssystems machen.
Das wiederum betrachtet der preußische Staat mit großer Skepsis. Selbstständigkeit und allgemeine Menschenbildung – ist das nicht liberales Gedankengut, das 1848 die Märzrevolution angestoßen hat? Treue und gehorchende Untertanen braucht der Staat, keine selbstständig Denkenden. Schon bald werden Fröbels Kindergärten mit den Vorwürfen konfrontiert, sie erzögen zur Demagogie und zum Atheismus. Das Kindergartenverbot folgt wenig später. Von da an dürfen in Preußen nur noch die kirchlich orientierten Kinderbewahranstalten bestehen.
Kontra Kindergartenverbot
Einfach hinnehmen kann und will Lina Morgenstern das Preußische Kindergartenverbot aber nicht. Deshalb wird sie 1859 Mitbegründerin des „Berliner Kindergartenvereins“ (zunächst „Berliner Frauen-Verein zur Beförderung der Fröbel’schen Kindergärten“). Nur zwei Jahre später erfüllt sich das Ziel der Vereinsarbeit, als die preußische Regierung das Kindergartenverbot aufhebt.
In Folge gründen sich in Berlin unter Lina Morgensterns Leitung (1861-1866) acht Kindergärten sowie eine Bildungsanstalt für Kindergärtnerinnen. Das von Morgenstern verfasste Handbuch zur Ausbildung, Das Paradies der Kindheit, löst bald eine Debatte um die Erziehung von Kindern in vorschulischen Einrichtungen aus.
Engagement in der Wohlfahrt und für Frauen
Lina Morgenstern verstand ihr Engagement für die Kindergärten auch als eine Möglichkeit, soziale Spannungen abzumildern. In den Einrichtungen wurden Kinder, unabhängig von ihrer familiären Situation, ihren Fähigkeiten und Entwicklungsstand gemäß gefördert.
Morgensterns soziales Engagement scheint kaum Grenzen zu kennen. Als 1866 der Krieg gegen Österreich beginnt, gründet sie die Berliner Volksküche. Ihre Organisation läuft so gut, dass sie bald den Spitznamen „Suppenlina“ erhält. Und sich die Gastwirte über sie beschweren, weil sie ihnen Konkurrenz machen würde.
Auch in der Frauenbewegung ist Lina Morgenstern aktiv. Beispielsweise gründet sie 1868 die Akademie zur Fortbildung junger Damen, 1873 den Berliner Hausfrauenverein. Von 1874 an gibt sie die Deutsche Hausfrauen-Zeitung heraus. Innerhalb der bürgerlichen Frauenbewegung gilt die Zeitschrift, die auch die politische Gleichberechtigung von Frauen fordert, als radikal. Als sich 1894 der Bund deutscher Frauenvereine gründet, setzt sich Morgenstern dafür ein, dass auch Arbeiterinnenvereine aufgenommen werden. Leider vergeblich.
Aber kein Grund zur Aufgabe: 1896 redet Morgenstern auf dem ersten Internationalen Frauenkongress in Berlin vor über 1.800 Delegierten aus aller Welt.
Fazit
Einige Erfolge kann Lina Morgenstern verzeichnen, doch nicht immer läuft in ihrem Engagement alles glatt. Als 1883 der Berliner Hausfrauenverein in Konkurs geht, verlieren die Morgensterns fast ihr gesamtes Vermögen. Auch andere Gründungen gehen nach einer Weile ein. Zum Glück mit weniger dramatischen Effekten.
Als Lina Morgenstern am 16. Dezember 1909, heute vor 110 Jahren, stirbt, blickt sie auf ein bewegtes Leben zurück. Insbesondere ihr soziales Engagement war so vielfältig, wie es die wenigsten in 76 Lebensjahren erleben. Pädagogik, Wohlfahrts- und Frauenarbeit: Sie alle hat Lina Morgenstern entscheidend mitgeprägt.
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