Demokratiegeschichten

Kriegskredite für die Verteidigung Deutschlands?

Seit der Reichstagswahl 1912 ist die Sozialdemokratische Partei Deutschlands die stärkste politische Kraft und damit auch größte Fraktion im Parlament. Dies ist das Ergebnis eines beispiellosen Aufstiegs innerhalb nur weniger Jahrzehnte. Trotzdem regiert die SPD nicht, sondern sitzt in der Opposition. Als im Sommer 1914 der Erste Weltkrieg ausbricht, steht die älteste Partei Deutschlands vor einer für sie existenziellen Frage.

Die entzweite Sozialdemokratie

Französische und deutsche Sozialdemokraten im Juni 1914 in Basel, u.a. Hugo Haase (2. Reihe, stehend), Abbildung: Le Miroir, gemeinfrei

Im Deutschen Kaiserreich erfordert die Bewilligung von finanziellen Mitteln für militärische Zwecke die Zustimmung des Reichstags. Die SPD setzt sich aber wie keine andere Partei in Deutschland für den Frieden und internationale Verständigung ein. Sie sieht sich deshalb mit einer schwierigen Entscheidung konfrontiert: den eigenen Prinzipien treu bleiben oder patriotisch für das eigene Vaterland einstehen.

Der linke Flügel der SPD-Abgeordneten um Karl Liebknecht (1871-1919) spricht sich vehement für internationale Solidarität und zum Boykott des Krieges aus. Die gemäßigteren Sozialdemokraten aber pochen darauf, dass Deutschland der Krieg aufgezwungen worden sei und es sich deshalb um reine Selbstverteidigung handele.

Die Diskussion wird laut und heftig geführt. Obwohl die SPD kurz vorher noch Demonstrationen gegen den Krieg organisierte, an denen sich Hunderttausende beteiligten, votiert die Fraktion am Ende mit 78 zu 14 Stimmen für die Bewilligung der Kriegskredite.

Ein vermeintlich gerechter Weltkrieg

Es sind vor allem zwei Punkte, die die Mehrheit der SPD-Fraktion am Ende zu dieser Entscheidung verleiten. Zum einen wollen sie nicht als „vaterlandslose Gesellen“ gelten, die ihre Heimat im entscheidenden Moment im Stich lassen. Der Vorwurf, keine Patrioten zu sein, hängt den Sozialdemokraten schon mindestens seit der Gründung des Kaiserreiches an. Denn damals sprachen sie sich, in weiser Voraussicht, gegen die Annexion Elsass-Lothringens aus.

Zum anderen entscheiden die Sozialdemokraten aus der Überzeugung heraus, Russland habe Deutschland zuerst angegriffen. Das Zarenreich gilt vor allem bei der Linken schon seit Mitte des 19. Jahrhunderts als die reaktionärste und demokratiefeindlichste Macht Europas. Für sie ist das Riesenreich im Osten eine Metapher für Repression und Unterdrückung. Die deutsche Regierung versteht dies erfolgreich zu nutzen und stellt den gerade ausgebrochenen Konflikt als reinen Verteidigungskrieg dar.

Künstler-Kriegs-Postkarte Nr. 1 von J. C. König & Ebhardt (1914), Abbildung: Heinz Keune, gemeinfrei

In der entscheidenden Sitzung des Reichstags am 4. August 1914 spricht sich die SPD dann tatsächlich einstimmig für die Bewilligung von Kriegskrediten aus. Die Fraktionsdisziplin bringt sogar die entschiedensten Gegner in der Partei dazu, nach außen die intern getroffene Entscheidung zu vertreten. Ganz Deutschland steht nun scheinbar geschlossen hinter dem Krieg. Bereits zuvor hatte Kaiser Wilhelm II. (1859-1941) erklärt: „Ich kenne keine Parteien mehr, ich kenne nur noch Deutsche!“

Geschlossen in den Untergang

Aufruf zum Kauf von Kriegsanleihen von 1917, Abbildung: Sammlung Eybl, Plakatmuseum Wien, gemeinfrei

Die sozialdemokratische Zustimmung zu den Kriegskrediten und damit zum Krieg selbst wird als „Burgfrieden“ mit Kaiser und Reichsregierung bezeichnet. Die bisher als unversöhnlich geltenden Feinde reichen sich im Namen des Patriotismus die Hand. Diese Waffenruhe geht einher mit der Einstellung aller Lohnkämpfe und Streiks. Um die Kriegsbemühungen nicht zu stören, möchten die Gewerkschaften vorerst darauf verzichten.

Es dauert jedoch nicht lange, bis der wahre Charakter des Ersten Weltkriegs deutlich wird. Der vielbeschworene Verteidigungskrieg stellt sich als propagandistische Lüge heraus, ein schnelles und erfolgreiches Ende der Kämpfe ist nicht in Sicht. Bei der zweiten Kriegskreditabstimmung im Dezember 1914 stimmt Liebknecht zwar noch als einziger Sozialdemokrat offen dagegen. Murrende Stimmen, die den Sinn des Krieges hinterfragen, werden aber lauter.

Ein Jahr später, im Dezember 1915, spricht sich dann schon fast die Hälfte der SPD-Abgeordneten im Reichsteig gegen weitere finanzielle Bewilligungen für das Massensterben in den Schützengräben aus. Nichtsdestotrotz kommt Deutschland weiterhin für seine militärischen Ausgaben mit Kriegskrediten auf. So werden bis 1918 knapp 98 Milliarden Mark zusammenkommen.

Liebknecht bleibt neben Rosa Luxemburg (1871-1919) innerhalb der SPD der prominenteste Gegner des Krieges. 1916 bringt ihn seine Agitation als „Kriegsverräter“ sogar ins Gefängnis. Doch auch der Co-Vorsitzende der SPD, Hugo Haase (1863-1919), ist gegen die deutsche Kriegspolitik. Er gründet 1917 die Unabhängige Sozialdemokratische Partei Deutschlands (USPD). Damit ist die geschichtsträchtige Spaltung der deutschen Sozialdemokratie vollzogen. Sie wird die Geschichte Deutschlands das gesamte 20. Jahrhundert über mitprägen.

Karl Liebknecht auf einer Ansprache im Berliner Tiergarten im Dezember 1918, Abbildung:
Bundesarchiv, B 145 Bild-P046271 / Weinrother, Carl / CC-BY-SA 3.0
Artikel Drucken
Markiert in:
Über uns 
Ulli E. arbeitet bei Gegen Vergessen - Für Demokratie e.V. als Projektkoordinator im Bereich Demokratiegeschichte.

0 Kommentare

Kommentar schreiben

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert