Manche Demokratiegeschichten lassen sich locker herunter schreiben. Bei anderen scheint schon der erste Satz eine unüberwindbare Hürde. Diese Demokratiegeschichte gehört eher zu letzteren. Und das nicht, weil ich das Thema langweilig fände. Im Gegenteil! Über das Verhältnis von Kirche und Demokratie wollte ich schon lange etwas schreiben.
Speziell über das Verhältnis der katholischen Kirche zur Demokratie. Damit habe ich, getauft und aufgewachsen im Münsterland, die meisten Erfahrungen gemacht. Unsere Leser*innen verzeihen mir hoffentlich, wenn ich nicht alle Konfessionen und Religionen aufgreife.
Die aktuelle Lage
Zu sagen, die Kirche befinde sich in einer Krise, wäre noch eine nette Formulierung. Seit Jahren steigen in Deutschland die Zahlen der Kirchenaustritte an. Wären aufgrund von Corona nicht zahlreiche Büros geschlossen gewesen, hätte es 2020 vermutlich einen neuen Rekord an Austritten gegeben.
Anlässe zum Austritt gab und gibt es zahlreiche. Missbrauchsskandal, Verweigerung der Segnung gleichgeschlechtlicher Paare („gerechte Diskriminierung„), Resistenz gegenüber Reformen… Wer mit und in der katholischen Kirche lebt, hat es nicht so einfach.
Natürlich gibt es auch hier zahlreiche andere Stimmen. Pfarrer, die sich für Betroffene sexuellen Missbrauchs einsetzen. Gemeinden, die in ihren Kirchen weiter Segnungen durchführen wollen und dies offen zeigen (siehe Titelbild). Aktive, die sich für Reformen stark machen und diese leben.
Maria 2.0
Eine Gruppe, die sich seit Frühjahr 2019 für die Gleichberechtigung von Frauen in der katholischen Kirche einsetzt, ist Maria 2.0. Auf ihrer Website beschreiben die Frauen, warum sie sich gegründet haben. Dass sie sich in Erklärungsnot befänden, „warum man überhaupt noch dabei ist, bei all dem Grauen, das da in den letzten Jahren immer und immer wieder und immer mehr zu Tage getreten ist“.
Ein zentrales Anliegen der Gruppe ist die Gleichstellung von Männern und Frauen in der katholischen Kirche. So sollen Frauen beispielsweise die selben Ämter wie Männer übernehmen, also auch die Priesterweihe empfangen dürfen. Weitere Forderungen sind u.a. die Aufhebung des Zölibats und die Aufklärung der Missbrauchsfälle innerhalb der Kirche.
Zuletzt ging Maria 2.0 im Februar 2021 mit einem Thesenanschlag in die Öffentlichkeit. Angelehnt an Luther, der 1517 seine Thesen zur Reformation an die Wittenberger Schlosskirche schlug, hefteten die Frauen ihre Thesen an Kirchentüren. Unterstützt wurde ihre Aktion auch von der Katholischen Frauengemeinschafts Deutschlands, der zu den größten deutschen Frauenverbänden Deutschlands zählt.
Ignorant, diskriminierend, unglaubwürdig. So sei die katholische Kirche bisher gewesen und so verspiele sie zusehends Vertrauen. Hart geht Maria 2.0 mit der Institution ins Gericht. Lebensfremd, ein weiteres Stichwort.
Eben dieser Vorwurf dürfte in der katholischen Kirche niemanden mehr überraschen. Egal, ob man konservativ an Werten festhält oder liberal für eine Öffnung plädiert. Das Problem, dass die kirchlichen Auslegungen oft nicht mehr in die Lebenswelt der Gläubigen passen, ist seit Jahrzehnten bekannt. Schon in den 1960er Jahren versuchte die Kirche sich zu reformieren. Modernität und eine „Heute-Werdung“, das waren Ziele des Zweiten Vatikanischen Konzils.
Das Zweite Vatikanische Konzil
Eine Kirche „von heute“. Das ist nicht nur ein Wunschtraum, sondern eines der Stichworte, das auf dem Zweiten Vatikanischen Konzil fiel. Vom 11. Oktober 1962 bis zum 8. Dezember 1965 fand das wohl wichtigste kirchliche Ereignis des 20. Jahrhunderts statt. Knapp 3.000 Menschen nahmen an dem Konzil teil.
„Aggiornamento“, also die Öffnung der Kirche hin zur Welt, leitete umfangreiche Reformen der katholischen Kirche ein. Darunter etwa die Liturgiereform, die muttersprachliche Gottesdienste erlaubte. Außerdem die Anerkennung der Religionsfreiheit. Und die Öffnung zu einem ökumenischen Dialogs sowie des Dialogs mit den nichtchristlichen Religionen.
Ebenfalls lässt sich dort eine Passage zur Gleichberechtigung von Mann und Frau finden.
Gewiß, was die verschiedenen physischen Fähigkeiten und die unterschiedlichen geistigen und sittlichen Kräfte angeht, stehen nicht alle Menschen auf gleicher Stufe. Doch jede Form einer Diskriminierung in den gesellschaftlichen und kulturellen Grundrechten der Person, sei es wegen des Geschlechts oder der Rasse, der Farbe, der gesellschaftlichen Stellung, der Sprache oder der Religion, muß überwunden und beseitigt werden, da sie dem Plan Gottes widerspricht.
Gaudium et spes 29.
Deutlich wird hervorgehoben, dass eine Ungleichbehandlung von Männern und Frauen nicht rechtens ist.
Es ist eine beklagenswerte Tatsache, daß jene Grundrechte der Person noch immer nicht überall unverletzlich gelten; wenn man etwa der Frau das Recht der freien Wahl des Gatten und des Lebensstandes oder die gleiche Stufe der Bildungsmöglichkeit und Kultur, wie sie dem Mann zuerkannt wird, verweigert.
Gaudium et spes 29.
Ist Kirche zukunftsfähig?
Doch was die katholische Kirche im Rahmen des Konzils 1965 forderte, nämlich „die grundlegende Gleichheit aller Menschen“ herzustellen, hält sie selber auch 2021 noch nicht ein. Wenn es diese Gleichheit gäbe, würden Debatten wie um die Frauenordination gar nicht geführt werden.
Theologische Debatte um die Möglichkeiten, Frauen als Priesterinnen einzusetzen oder gleichgeschlechtliche Segnungen zu führen, ist das eine. Aber diese Debatten haben den religiösen Raum längst überschritten, da sie, wie so vieles, was die katholische Kirche angeht, den Lebensraum der Menschen betreffen.
Die katholische Kirche muss sich nun nicht mehr nur fragen, ob sie ihr Verbot theologisch begründen kann. Sondern sie muss sich fragen, wie sie es verantworten kann, ihren Mitgliedern Menschenrechte zu verwehren. Demokratien, die dies tun, werden regelmäßig von Organisationen, Verbänden und anderen Regierungen kritisiert. Da hat die katholische Kirche, nur weil es sich bei ihr um eine Wahlmonarchie handelt, keine Sonderrolle verdient.
Religion und Humanismus liegen so nah beieinander – wenn Kirche weiter einen moralischen Führungsanspruch beanspruchen will, sollte sie dies bedenken. Und Handeln, möglichst bald. Sonst verlassen weiter Menschen ihre Gemeinden und dass vielleicht, obwohl sie für und in Kirche nur das Beste wollen.
Zwei der Frauen, die Maria 2.0 vor zwei Jahren mitgründeten, haben die Kirche nun doch verlassen. Ihr Ärger über die sexuelle Gewalt durch Priester und die anhaltende Vertuschung durch die katholische Kirche waren zu stark. Die Bewegung Maria 2.0 wollen sie dennoch weiter unterstützen. Ihr Glaube, sagen sie, würde durch den Austritt nicht erlöschen. Ich wünsche ihnen, dass sie irgendwann Erfolge ihres Engagements sehen.
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