Ein zufällig zusammengesetzter Zukunftsrat unterstützt die Stadtplanung in Eberswalde
„Meine Stadt der Zukunft“ heißt eine Initiative der brandenburgischen Landesregierung, bei der im Jahr 2021 in 17 Städten Brandenburgs neue Modellprojekte gestartet sind. Diese zielten auf eine verstärkte Einbindung der Stadtgesellschaften bezüglich der Entwicklung innovativer, zukunftsfähiger Planungsvorhaben ab.
Auch Eberswalde wurde ausgewählt. Die Stadt setzte einen Zukunftsrat ein: ein Bürgergremium aus 32 Personen, das zu eigenständig gewählten Schwerpunkten konsensbasierte Empfehlungen für Verwaltung und Kommunalpolitik entwickeln sollte. Besonders beschäftigte die Eberswalder Stadtplanung die Kombination aus steigender Nachfrage nach Wohnraum und fehlenden Entwicklungsflächen. Das Bahnhofsumfeld in Eberswalde ist von Unternutzung und mangelnder Gestaltung geprägt – bietet aber zugleich eine ideale Verkehrsanbindung. Deswegen lädt das Areal förmlich zum gemeinschaftlichen Nachdenken über zukunftsorientierte Nutzungsmöglichkeiten ein.
Zwischen November 2021 und Juni 2022 wurden sieben Sitzungen zu einzelnen Themenfeldern abgehalten – und die Ergebnisse anschließend veröffentlicht. Begleitend wurde die digitale Beteiligungsplattform EW2035 eingerichtet, die eine zusätzliche virtuelle Debatte ermöglichte.
Das Projekt wurde in einer Kooperation des Baudezernats und des Amts für Stadtentwicklung konzipiert und mit professioneller Begleitung durch das Institut nexus und Complan! durchgeführt. Anne Fellner, Baudezernentin und Erste Beigeordnete der Stadt Eberswalde, berichtet im Interview über die Erfahrungen.
Welche Kriterien hatten Sie für die Auswahl der Teilnehmenden am Zukunftsrat aufgestellt?
Der Zukunftsrat sollte eine möglichst authentische Repräsentation der Eberswalder BürgerInnen darstellen. Trotzdem wollten wir eine absolut neutrale Auswahl der Teilnehmenden garantieren. Deswegen wurden 1100 AnwohnerInnen mithilfe eines Zufallsgenerators ausgelost. Das weitere Auswahlverfahren wickelte das Planungsbüro ab.
Die Mitglieder des Zukunftsrat waren also vorrangig Privatpersonen – ohne Fachkenntnisse?
Zwar verfügten einige der TeilnehmerInnen auch über fachliche Expertise – aber das war keine Voraussetzung für die Teilnahme am Zukunftsrat. Uns ging es vorrangig um das Einbringen individueller Erfahrungen (beispielsweise von BerufspendlerInnen, SeniorInnen oder Menschen mit Behinderung) sowie daraus resultierender Visionen für das Leben im Eberswalde der Zukunft.
Die Debatten im Zukunftsrat haben unheimlich gut abgebildet, was wir an diskrepanten Positionen in der Stadtgesellschaft erleben. Weiterhin wurde deutlich, was die Herausforderung an gute Stadtplanung ist: nämlich die Mediation zwischen verschiedenen Nutzungsinteressen bezüglich der (knappen) Ressource Raum.
Und wie kam das Format an?
Alle Beteiligten haben dazugelernt – nicht nur auf fachlichem, sondern auch auf zwischenmenschlichem Niveau. Die Diskussionskultur war von Offenheit, Verständnis und Konsensfindung geprägt. Alle erlebten dies als Bereicherung. Der Zukunftsrat diskutierte intensiv über eigene und fremde Perspektiven auf Stadt. Konsensfähige Entscheidungen wurden in Form der im BürgerInnengutachten enthaltenen Empfehlungen getroffen.
Ein Beispiel ist der Themenkomplex Verkehr und Mobilität, der aufgrund unterschiedlicher Ansprüche an den öffentlichen Raum häufig zum Streitpunkt zwischen FahrradfahrerInnen und auf PKW angewiesenen Personen wird. Für das BürgerInnengutachten wurde nach Konsenspunkten gesucht. Die Empfehlung „Der ÖPNV soll flächendeckend ausgebaut werden“ befanden 100 Prozent der TeilnehmerInnen für gut. Vorschläge, die auch individuelle Einschränkungen – beispielsweise die Reduzierung des motorisierten Individualverkehrs in Eberswalde – beinhalten, fanden deutlich weniger BefürworterInnen, nämlich nur 76 Prozent.
Wieso gab es parallel die digitale Diskussionsplattform?
Mit unseren analogen Beteiligungsformaten interagiert meist eine spezifische Bevölkerungsgruppe. Dass es diese engagierten, beweglichen BürgerInnen gibt, die sich immer wieder einbringen, ist wichtig. Eberswalde hat aber gut 44.000 EinwohnerInnen – und unser Ziel war es, die bislang ungehörten BürgerInnen in unsere Partizipationsformate einzubeziehen. Auch haben analoge Formate schlichtweg den Nachteil, dass sie zeitlich fix sind – und nicht alle Interessierten können Zeit dafür aufbringen. Um Menschen die Möglichkeit zu geben, sich jenseits von festen Terminen zu beteiligen, haben wir die digitale Beteiligungsplattform gestartet – sie fungiert als Ergänzung.
Jetzt musste der Zukunftsrat sich wegen der Pandemie ebenfalls auf digitale Formate umstellen, oder?
Die Umstellung auf digitale Sitzungen sowie die daraus resultierende Vereinzelung der TeilnehmerInnen wurde auf hervorragende Weise durch die projektbegleitenden Büros gelöst. Als Ersatz für den während der analogen Sitzungen üblichen gemeinsamen Imbiss wurden identische Lunchboxen zusammengestellt und den Teilnehmenden per Fahrradkurier zugestellt. Trotz der räumlichen Trennung konnten wir auf diese Weise gemeinsam zu Mittag essen – der Gemeinschaftssinn wurde gefördert und die erzwungene Vereinzelung überwunden.
Wie hat der Zukunftsrat mit der Kommunalpolitik interagiert?
Zuerst gar nicht. Die Entscheidungen des Zukunftsrates sollten nicht durch Perspektiven aus der Kommunalpolitik beeinflusst werden. Außerdem fiel das Projekt in eine unerwartete Bürgermeister-Wahlkampfphase – und ich wollte vermeiden, dass der Zukunftsrat in diesem Kontext instrumentalisiert wird.
Erst die fertigen Ergebnisse des Zukunftsrates wurden der Stadtpolitik vorgestellt und danach als BürgerInnengutachten veröffentlicht. Ebendieses wenden wir weiterhin in unseren täglichen Arbeitsprozessen an.
Und wie schätzen Sie die Qualität der Ergebnisse ein?
Es sind definitiv einige gute neue Impulse entstanden – aber natürlich gibt es auch Detailergebnisse, die nicht mit meiner fachlichen Meinung konform gehen. Trotzdem sind sie relevant: Denn diskrepante Meinungen schaffen einen Rahmen für Planungsvorhaben. Die Empfehlungen des Zukunftsrates ermöglichen uns, konkurrierenden Interessen besser zu begegnen und nutzergerechte Lösungen auszuhandeln. Trotzdem können wir nur Perspektiven berücksichtigen, von denen wir auch Kenntnis haben – diese Problematik ist aber sämtlichen Beteiligungsformaten inhärent.
Klarzustellen ist dabei: Das BürgerInnengutachten fungiert zwar fortan als wichtiges Werkzeug in zukünftigen Abwägungsprozessen, aber nicht als Grundlage all unserer kommenden stadtplanerischen Entscheidungen.
Könnten Sie sich vorstellen, zukünftig für weitere Stadtentwicklungsvorhaben ähnliche Beteiligungsformate durchzuführen?
Prinzipiell war unsere Erfahrung mit dem Ansatz Zukunftsrat durchweg positiv – und einige der methodischen Aspekte werden wir definitiv in weitere Vorhaben einbringen. Momentan thematisieren wir Klimaschutz und -resilienz im städtebaulichen Kontext und integrieren auch in diesem Kontext wieder Partizipationsverfahren in unsere Planung. Beteiligung ermöglicht uns immer auch eine methodische Weiterentwicklung, die wir in weitere Projekte integrieren können. Die Methodik muss allerdings immer auf Thema und AdressatInnen zugeschnitten werden.
Bedauerlich ist, dass uns die finanziellen Mittel für eine verstärkte Einbindung von Partizipation in alltagspolitische Abläufe nicht zur Verfügung stehen, da es sich hier um aufwändige und kostenintensive Verfahren handelt.
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