Der 19. und 20. Spieltag in der 1. und 2. Fußball-Bundesliga standen im Zeichen des Gedenkens an die Opfer des Holocaust. Die Vereine organisierten verschiedene Aktionen unter dem Motto „#WeRemember“. Ein Startelf-Bild mit einem „WeRemember“- Banner und ein Trikot mit identischem Flock gehören an diesen Tagen fast schon zur Normalität. Aber auch darüber hinaus engagieren sich viele Vereine, denn Fußball ist politisch!
Fans setzen Zeichen gegen Faschismus
Eine besonders eindrucksvolle Choreografie gab es am 20. Spieltag in der Südkurve des 1. FC Bayern München. Vor dem Heimspiel gegen Holstein Kiel hielten die Fans Bilder von Vereinsmitgliedern hoch, die im Holocaust verfolgt worden waren. Umrahmt wurde die Choreo von dem Satz: „In Gedenken an verfolgte FC-Bayern-Mitglieder. Nie wieder ist jetzt!“.
Besonders laut wurde es am Millerntor: Die Anhänger des 1. FC St. Pauli stimmen beim Heimspiel gegen den FC Augsburg das Statement-Lied „Alle zusammen gegen den Faschismus“ an. Ein deutliches Zeichen dieser Tage in Blick auf die anstehende Bundestagswahl. Erinnerungsvideos von Zeitzeugen wurden ebenfalls in den Stadien gezeigt, aber auch verschiedene Gedenkfahrten nach Auschwitz oder Gedenkveranstaltungen werden von den Vereinen angeboten.
Erinnern, um nicht zu vergessen – Gedenkveranstaltung in Dortmund
So lud beispielsweise Borussia Dortmund am 23. Januar in das Borusseum-Vereinsmuseum zu einer Gedenkveranstaltung. Bereits zum 14. Mal fand auf diese Weise eine Veranstaltung gegen das Vergessen statt. Bis zum Beginn der Veranstaltung tauschten sich die Anhänger von Schwarz-Gelb über die desaströse Leistung ihrer Mannschaft am Vorabend in Bologna aus. Natürlich stand auch die Frage, wer jetzt neuer Trainer wird, im Raum. Doch als BVB-Präsident Dr. Reinhold Lunow die Veranstaltung mit den Worten „Es war noch nie so wichtig wie jetzt“ eröffnete, verschwanden all diese Gedanken.
Zunächst wurde ein Video gezeigt, in dem Mitglieder und Mitarbeitende des BVB zu sehen waren. Das Video sollte zeigen, dass die NS-Verbrechen nicht irgendwo weit weg geschehen sind, sondern hier in Dortmund. Dies verdeutlichte Lars Ricken, Geschäftsführer des BVB, am Ende des Videos mit den Worten: „Vom Südbahnhof wurden im Jahr 1942 und 1943 fast 2000 Dortmunder Jüdinnen und Juden deportiert. Im März 1943 auch nach Auschwitz. Das waren Menschen aus unserer Stadt“. Dieses bewegende Video wurde auch beim Heimspiel gegen Werder Bremen im Stadion gezeigt. Inzwischen ist es auf den Social-Media-Plattformen des BVB abrufbar.
Im weiteren Verlauf des Abends kamen zudem verschiedene Menschen zu Wort (per Video oder Lesung). Sie haben unter anderem die Deportation von Dortmund nach Auschwitz überlebt. Die Filmbeiträge entstanden über die „Shoah Foundation“ während und nach den Dreharbeiten zu „Schindlers Liste“. Ein Format, das die 125 Besucher der Gedenkveranstaltung ganz anders erreichte, als es ein vorgelesener Text je könnte.
„Das waren Menschen aus unserer Stadt“
Die Biografien bezogen sich nicht nur auf den 27. Januar 1945, den Tag der Befreiung von Auschwitz, sondern begannen viel früher. So erzählte beispielsweise Julius Goldstein von seiner Schulzeit. Er war ein sehr guter Schüler. Jedoch hatte er bereits Jahre vor der Machtergreifung der Nationalsozialisten mit antisemitischen Vorurteilen vieler Menschen zu kämpfen. So wurde er beispielsweise von einem antisemitischen Lehrer, dem Studienrat Zimmermann vom Unterricht ausgeschlossen, dies geschah im Jahre 1924. Trotz der schlimmen Erfahrungen in der Schule sagte Goldstein: „Trotz dieser Gefahr habe ich die ganze Grausamkeit und Ungeheuerlichkeit der Nazi-Verbrechen nicht vorausgesehen.“.
Den Transport nach Auschwitz beschreibt Hans Frankenthal (geb. 1926 in Schmallenberg, NRW). Er war Teil des vierten Transports, der von Dortmund ausging. Am Südbahnhof wurden Gepäck und Personen getrennt, der drittletzte Waggon war der Personenwaggon. Der Zug hielt in Bielefeld und Berlin. In Berlin wurden Waggons mit norwegischen Juden und Jüdinnen angehängt. Am 1. März fuhr der Zug in Dortmund ab und kam am 4. März spät in der Nacht in Auschwitz an. Die Umstände der Fahrt waren katastrophal, 65 bis 70 Menschen in einem Viehwaggon. Es gab bereits einige Tote, auch eine Geburt hatte Frankenthal in diesem Waggon miterlebt.

Vor 80 Jahren wurden die Lager befreit, aber die Geschichte hört damit nicht auf. Ernst Reich überlebte Auschwitz und wagte mit seiner Frau den Neuanfang in Deutschland. Er begann aus Angst, weiterhin verfolgt zu werden, seine tätowierte Nummer zu übermalen und zu überkleben. Nach einer durch das Überdecken entstandenen Infektion musste sie jedoch entfernt werden. Zum Zeitpunkt der Aufnahmen findet Reich das schade, denn er betrachtete die Nummern inzwischen als „Ehrenzeichen“.
Ernst Reich ließ sich in Arnsberg bei Dortmund nieder. Bis ins hohe Alter litt er unter starken Verfolgungsängsten, obwohl niemand in Arnsberg wusste, wer er war.
Schweigeminute im Borusseum
Im Anschluss an die Veranstaltung fand im Borusseum eine Schweigeminute statt, in der man den gezeigten Personen sowie allen weiteren Opfern der nationalsozialistischen Gewalt gedachte. Nach dem Ende der Veranstaltung blieb es still, die Vereinssorgen waren vergessen, denn es gibt so viel Wichtigeres als Fußball!
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