Demokratiegeschichten

Gegen politische Diskriminierung und Verfolgung durch den Staat – Der Initiativkreis gegen die Berufsverbote in Münster

Inwiefern politische Diskriminierung? – Was sind „Die Berufsverbote“? 

In diesem Zusammenhang, d.h. außerhalb des Strafrechts, wird darunter die Anwendung des Beschlusses der Ministerpräsidenten der Länder und des Bundeskanzlers vom 28. 1. 1972 zur „Beschäftigung von rechts- und linksradikalen Personen im öffentlichen Dienst“ verstanden. Vor jeder Einstellung in den öffentlichen Dienst musste vom entsprechenden Landesamt für Verfassungsschutz eine Auskunft eingeholt werden, ob gegen den Bewerber / die Bewerberin entsprechende „Erkenntnisse“ vorlägen. Ziel des Bundeskanzlers Willy Brandt und der Ministerpräsidenten war es dabei, Mitglieder der 1968 neu gegründeten DKP aus dem Staatsdienst fernzuhalten. Damit sollte der CDU-Kampagne gegen die Sozialliberale Koalition (Misstrauensvotum vom April 1972) durch eine hinreichende Dosis Antikommunismus der Wind aus den Segeln genommen und gleichzeitig ein Parteiverbot vermieden werden. Das war aus Rücksicht gegenüber den sozialistischen Staaten nicht möglich, mit denen gerade die „Ostverträge“ abgeschlossen worden waren. 

Nun bestimmt der Gleichheitsgrundsatz des Art. 3 GG ausdrücklich, dass niemand wegen seiner politischen Anschauungen diskriminiert werden darf. In Art. 12 GG wird jedem Bürger und jeder Bürgerin das Recht auf freie Berufswahl und in Art. 33 GG der gleiche Zugang zu einem öffentlichen Amt garantiert und eine Benachteiligung aus weltanschaulichen Gründen ausdrücklich verboten. Das „Parteienprivileg“ des Art. 21 GG garantiert jeder Partei die gleichberechtigte Mitwirkung an der Meinungsbildung der Bürger/innen, solange sie nicht als verfassungswidrig vom Bundesverfassungsgericht verboten wird. Wenn die Mitglieder einer legalen Partei nicht zu Staatsämtern zugelassen werden, kann man wohl kaum von Gleichberechtigung sprechen. Schließlich verstoßen diese Diskriminierungen gegen internationale Verträge, die nach Art. 25 GG „Bestandteil des Bundesrechts“ sind. 

Ziel der Maßnahme war es also, ein grundgesetzlich an sich verbotenes Vorgehen aus politischen Gründen unter Umgehung des GG rechtlich möglich zu machen. 

Wie wirkten sie sich auf Betroffene aus? 

Liegen dem Verfassungsschutz „Erkenntnisse“ vor, wird der Bewerber / die Bewerberin nicht eingestellt, sondern zu einer „Anhörung“ geladen. In einem inquisitions-ähnlichen Verfahren soll er oder sie Fragen zu den vorgeworfenen Aktivitäten und Äußerungen (die ja an sich nicht strafbar sind wie z.B. die Kandidatur zu Wahlen für eine bestimmte Partei oder Meinungsäußerungen in Flugblättern), dann aber auch zu persönlichen Einstellungen und zur politischen Gesinnung beantworten. Er oder sie ist arbeitslos ohne Anspruch auf Arbeitslosengeld und damit in den 70ern Sozialhilfe-Empfänger/in. Wenn er / sie schon Familie hat (Partner/in studiert noch ohne BAFöG-Anspruch) wird es sehr schnell ziemlich eng. Wenn der Ablehnungsbescheid kommt, kann man Widerspruch einlegen, erst nach dem (negativen) Widerspruchsbescheid kann geklagt werden. Bis dahin ist schnell ein halbes Jahr rum.

Sache der Verwaltungsgerichte war es dann, sich solche Verfahrenstricks auszudenken, die eine Umgehung der Verbote des Grundgesetzes ermöglichten. Sie erwiesen sich als sehr einfallsreich und erfinderisch. Das ganze Verfahren bis zum Bundesverwaltungsgericht dauerte im Durchschnitt etwa fünf Jahre – ohne eigenes Einkommen, wohlgemerkt! Um zu überleben, war man auf Aushilfsjobs angewiesen, in denen aber auch schnell eine Kündigung folgen konnte, wenn der wahre Hintergrund herauskam. Dass eine solche Perspektive auf Lehramts-Student/inn/en einschüchternd wirkte, war beabsichtigt und selbstverständlich.

Titelblatt einer Broschüre des Initiativkreises („Übersichtsbroschüre“) mit einer Übersicht über die Fälle und den Stand ihrer Entwicklung bis November 1980; aus dem Besitz von Christoph Sann, mittlerweile im Stadtarchiv Münster lagernd.

Das Ende der Berufsverbote in NRW

Als ab 1977 in NRW Lehrer/innen als Hauptbetroffene nur noch als Angestellte auf Teilzeit eingestellt wurden, verlagerten sich die Verfahren an die Arbeitsgerichte. Dort bekamen die auf Einstellung Klagenden aber sehr oft Recht. Weil die Bezirksregierung Berufung einlegte, wurden sie aber trotzdem nicht eingestellt.

Nachdem die SPD in NRW im Mai 1980 die absolute Mehrheit gewonnen hatte, gab es hier keine weiteren Aussprachen von Berufsverboten mehr. Die Betroffenen wurden, soweit sie das nach bis zu 12 Jahren Berufsverbot noch wollten, zwischen 1982 und 1986 in den Schuldienst eingestellt. Dies verstand die Landesregierung aber als Gnadenakt, nicht als Einlösung eines Rechtsanspruchs, eine Entschuldigung oder Entschädigung gab es nicht. 

In Münster gab es mit insgesamt 40 Fällen die meisten Berufsverbote in einer Stadt in NRW. 

Wie gestaltete sich der Protest? 

Der Protest organisierte sich lokal und landesweit, bundesweit und war von Anfang an auch international vernetzt. Ziel war es, einen derart empfindlichen politischen Druck auf die Landesregierungen, Behörden, Gerichte und gewählten Gremien wie Stadträte und Landesparlamente aufzubauen, dass diese von den Berufsverboten Abstand nehmen mussten. Kern des Protestes waren dabei die lokalen Initiativen. 

Zu sehen ist hier der damals weit verbreitete „Duckmaus-Aufkleber“ , das „Logo“ der Bewegung gegen die Berufsverbote. Duckmaus leitet sich von duckmäuserischem Verhalten ab, das mit den Berufsverboten erreicht werden sollte; aus dem Besitz von Herrn Christoph Sann, mittlerweile im Stadtarchiv Münster lagernd.

Der Initiativkreis gegen die Berufsverbote in Münster (1973 – 1985) 

Der Initiativkreis war ein Zusammenschluss von bis zu 17 Organisationen aus dem Hochschulbereich, der Stadtgesellschaft, Gewerkschaften und Parteien bzw. parteinahen Organisationen. Dazu kamen viele einzelne freiwillige Mitarbeiter/innen: Lehramts-Student/inn/en, Mitglieder verschiedener Gewerkschaften, viele Lehrer/innen und natürlich auch die Betroffenen selbst. Jahrelang (1976-81/82) nahmen mehr als 30 Personen an den wöchentlichen Treffen des IK teil, wobei die Zusammensetzung fluktuierte. Der Initiativkreis identifizierte sich nicht mit den politischen Auffassungen der Betroffenen, wohl aber mit der Aufgabe, sie solidarisch zu unterstützen (auch materiell) und ihre verletzten Grundrechte durchzusetzen.  

Stand des Initiativkreises gegen die Berufsverbote Münster auf dem Kreuzviertelfest in Münster am 15. September 1979; aus dem Besitz von Frau Dr. Astrid Krameyer.

Aktivitäten des Initiativkreises

Der Initiativkreis solidarisierte sich öffentlich mit den Betroffenen, indem er sie mit einer möglichst großen Beteiligung mit Plakaten und Infoständen zu Anhörungen und Gerichtsterminen begleitete. Er besorgte ihnen Rechtsbeistand und anwaltliche Beratung und stellte in jedem Einzelfall „Falldokumentationen“ zusammen. Diese wurden gedruckt und öffentlich verteilt, in vielen Fällen mehrere, wenn das Verfahren höhere Instanzen erreichte. In Anschreiben an mögliche Unterstützer im In- und Ausland wurde jeweils über den Stand des Verfahrens, neue Entwicklungen und anstehende Termine informiert. Die Adressaten wurden aufgefordert, Protestschreiben an die entsprechenden Behörden und Gerichte sowie an die Landesregierung zu richten, die in manchen Fällen regelrecht „geflutet“ wurden.

Aus dem In- und Ausland organisierte man Solidaritätsbekundungen. Zu den Prozessterminen wurden jeweils mehrere Dutzend Prozessbeobachter mobilisiert, in einem Fall waren es 150 Personen. Ausländische Unterstützergruppen aus Frankreich, den Niederlanden oder Belgien schickten Delegationen mit Anschreiben an das Gericht.  Zu besonderen Anlässen wurden Mahnwachen abgehalten, vielbesuchte Kulturveranstaltungen angeboten und örtliche Demonstrationen durchgeführt.

Mahnwache vor der Bezirksregierung Münster anlässlich der Aktionstage „Münster – Stadt der Berufsverbote“, 18. – 20. November 1978; aus dem Besitz von Dr. Astrid Krameyer. 

Und natürlich beteiligte sich der Initiativkreis an den großen landes- oder bundesweiten Demonstrationen gegen die Berufsverbote in Dortmund, Düsseldorf oder Bonn. Die Demonstrationen fanden mindestens einmal im Jahr statt und verzeichneten bis zu 35.000 Teilnehmer/innen. Dabei waren auch die ausländischen Unterstützer mit ihren Organisationen vertreten.

Konflikte in der Politik

Für NRW sind Konflikte u.a. belegt zwischen Landtagsabgeordneten der SPD (die um ihre Wahlkreise fürchteten) und Mitgliedern der Landesregierung (Innenminister Burkhard Hirsch / FDP). Auch zwischen Kultusminister (Girgensohn / SPD) und dem Innenminister, zwischen Kultusminister und Einstellungsbehörden (vor allem den Bezirksregierungen Münster und Düsseldorf). Sowie zu guter Letzt innerhalb der SPD zwischen verschiedenen Organisationsebenen.

Auf der lokalen Ebene arbeiteten viele SPD-Mitglieder als Gewerkschafter daran, entgegen den Beschlüssen ihrer Partei auf Bundes- und Landes- oder Bezirksebene öffentlichen Druck aufzubauen. Die Beobachtung, dass die oben erwähnten Bezirksregierungen Maßnahmen der Landesregierung, speziell des Kultusministers regelmäßig konterkarierten, erweckte an der Parteibasis den schlimmen Eindruck, die Regierung könne sich nicht gegen nachgeordnete Behörden durchsetzen. Dies stellte die Glaubwürdigkeit der Regierung in Zweifel.

Dazu kamen schließlich die vielen für die Landesregierung negativen Urteile der Arbeitsgerichte. Diese erweckten den berechtigten Eindruck, die Regierung würde kontinuierlich rechtswidrig handeln. 

Überörtliche Vernetzung 

Oberhalb der lokalen Ebene des Protestes gab es den landesweiten „Koordinierungsausschuss der Bürgerinitiativen gegen die Berufsverbote“ und den bundesweiten „Arbeitsausschuss ‚Weg mit den Berufsverboten!‘“ in Hamburg. Diese organisierten jährlich landes- bzw. bundesweite Großdemonstrationen und Aktionswochen mit zentral hergestellten und verteilten Materialien. Außerdem luden sie an markanten Jahrestagen zu großen internationalen Kongressen ein, was die internationale Unterstützung des lokalen Widerstandes stärkte.

Im Ausland hatte es schon sehr frühzeitig Initiativen gegen die Berufsverbote in Deutschland gegeben. Gerade die Nachbarstaaten, die im Krieg von Nazi-Deutschland überfallen worden waren, befürchteten einen deutlichen Rechtsruck in Deutschland. Teilweise fühlten sie sich an die Endphase der Weimarer Republik erinnert. Schon in den beiden ersten Fällen ab 1974 gab es außer zahlreichen inländischen auch Solidaritätserklärungen aus Frankreich, Belgien, den Niederlanden, der Schweiz, Großbritannien und Finnland. Später kamen auch Initiativen in Italien, Schweden und Dänemark dazu. Der französische Sozialistenchef und spätere Staatspräsident Mitterand schrieb an die SPD, doch von den Berufsverboten Abstand zu nehmen.

In einigen Ländern gab es in mehreren Städten Initiativen. Diese gaben Broschüren heraus, in denen sie über die Berufsverbote in Deutschland informierten, die einheimische Presse sammelten und dokumentierten und sich jeweils um einzelne Fälle kümmerten. Das 3. Internationale Russell-Tribunal befasste sich 1978 mit der Situation der Menschenrechte in der BRD an Beispiel der Berufsverbote. Der Internationale Gewerkschaftsbund veranlasste eine Untersuchung durch die UNO-Unterorganisation ILO. Diese kam zu dem Schluss, dass die Berufsverbote die eigenen Gesetze der BRD sowie mehrere internationale arbeitsrechtliche Verträge verletze. Und der Europäische Gerichtshof verurteilte die Regierung der Bundesrepublik in einem Falle, eine Lehrerin wieder einzustellen und nennenswert zu entschädigen. 

Bilanz 

Wohl nicht ohne Zutun des Initiativkreises gegen die Berufsverbote Münster konnte erreicht werden, dass es in NRW seit 1980 keine neuen Berufsverbote mehr gab. Das war in CDU/CSU-geführten Bundesländern wie Niedersachsen, Baden-Württemberg und Bayern anders: in Bayern wurde noch 2017 ein Berufsverbot ausgesprochen. Hessen scheint die jahrzehntelang nicht ausgeübte Praxis wieder aufnehmen zu wollen. Angesichts dessen lässt sich die Situation in NRW als Erfolg werten.

Allerdings hat kein/e Betroffene/r bisher für den nicht unbeträchtlichen materiellen Schaden Entschädigung erhalten, der sich bis ins Ruhegehalt hinein sehr massiv auswirkt. Zu einer Entschuldigung für das erlittene staatliche Unrecht hat sich bisher lediglich die neue SPD-Regierung Niedersachsens aufraffen können. In Bremen wurde eine materielle Entschädigung wenigstens anerkannt und teilweise auch geleistet. Die Bilanz ist also durchwachsen und es gibt schon viele Betroffene, die selbst diese Teilerfolge nicht mehr miterleben konnten.


Informationen zum Autor: Otto Gertzen, 75 Jahre, pensionierter Geschichtslehrer. Seit August 1974 an Gesamtschulen tätig, zuletzt (bis Juli 2013) als Oberstufenleiter an der Friedensschule Hamm. Studium im Alter seit WS 2013/14. 

Der Beitrag basiert auf dem Aufsatz des Verfassers: Der Initiativkreis gegen die Berufsverbote Münster – Solidarität mit den Opfern und Protest gegen staatliche Verfolgung. Die Arbeit wurde im Rahmen des Studiums im Alter an der Universität Münster verfasst. Sie wird im Sommer 2024 im Internet als pdf-Datei auf der offiziellen Publikationsplattform der Universität Münster veröffentlicht und hier zu finden sein.

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