Demokratiegeschichten

Friedrich Schorlemmer

Schwerter zu Pflugscharen – das war das Symbol der Friedensbewegung in der DDR. Nun ist einer, der dieses Bibelzitat und die Friedensbewegung mitgetragen hat, verstorben. Friedrich Schorlemmer, Theologe und Bürgerrechtler, starb letzte Woche im Alter von 80 Jahren.

Theologie im Widerspruch zum System

Friedrich Schorlemmer wurde 1944 als Sohn eines evangelischen Pfarrers in Wittenberge geboren. Aufgrund des Berufs seines Vaters durfte er nicht die Oberschule besuchen. Stattdessen holte er sein Abitur an der Volkshochschule nach. Auch den Wehrdienst verweigerte er, stellte sich früh gegen das System der DDR. Von den 1970er-Jahren an war er Mitglied der Friedens-, Menschenrechts- und Umweltbewegung.

In Halle studierte er dann Theologie, kam über mehrere Stationen 1978 als Dozent am Evangelischen Predigerseminar und Prediger an der Schlosskirche nach Wittenberg. In der Lutherstadt bildete sich 1980 um ihn eine oppositionelle Gruppe, der Wittenberger Friedenskreis. Gemeinsam tauschten sie sich in einem der wenigen Freiräume, die es in der DDR gab, aus, eben in der Kirche.

Dabei verteidigte Schorlemmer stets auch Jugendliche, die den Aufnäher „Schwerter zu Pflugscharen“ tragen wollten. 1959 schenkte die Sowjetunion die Skulptur eines Schmiedes der UNO. Seitdem steht sie im Garten des UNO-Hauptgebäudes in New York, erinnern sollte sie an die Friedensziele der UN-Charta. Und sicherlich auch den Anspruch der Sowjetunion als Friedensmacht darstellen. Die nicht-staatliche Friedensbewegung der DDR griff sie auch daher als Symbol und Motto auf: Um den Anspruch des Ostblocks der Realität entgegenzustellen.

In die Öffentlichkeit

Zum Kirchentag in Wittenberg 1983 trat Schorlemmer erstmals in die breite Öffentlichkeit. Am Abend des 24. September 1983 versammelten sich mehrere Hundert Menschen und schauten zu, wie der Kunstschmied Stefan Nau in heißer Kohle ein Schwert zu einer Pflugschar umschmiedete. Die Aktion war konspirativ vorbereitet worden. So hatte beispielsweise der Hausmeister des Predigerseminars das Schwert zuvor in seiner Wohnung im Schlafzimmerschrank versteckt. Zu den Hammerschlägen des Schmiedes spricht Schorlemmer die Worte:

„Ein jeder braucht sein Brot, seinen Wein und Frieden ohne Furcht soll sein. Pflugscharen schmelzt aus Raketen und Kanonen, dass wir in Frieden zusammen wohnen.“

Unter den Hunderten Besucher:innen, die die Aktion verfolgen, war auch der damalige Bürgermeister West-Berlins und spätere Bundespräsident Richard Weizsäcker. Möglicherweise wurde die Aktion auch wegen seiner Anwesenheit nicht von der Stasi unterbrochen.

Thesen aus Wittenberg

Fünf Jahre später, ein Jahr vor dem Mauerfall und der Friedlichen Revolution. Wieder stand ein Kirchentag an, diesmal in Halle. Gemeinsam mit seiner Friedensgruppe legte Schorlemmer die „20 Wittenberger Thesen“ für eine Demokratisierung der DDR vor. Darin enthalten: Freie Wahlen, unabhängige Gerichte, Reisefreiheit und die Forderung, dass „die Kommunisten auf das mit Macht ausgeübte Wahrheitsmonopol und auf den prinzipiellen gesellschaftlichen Überlegenheitsanspruch verzichten“. Größer konnte eine Provokation in dieser Zeit kaum ausfallen.

Im Rahmen des Kirchentags wurden die Thesen veröffentlicht, 1.000 Exemplare gedruckt und ausgelegt. Allerdings ohne offizielle Nennung der Gruppe – ihre Existenz durfte nicht einmal in Kirchenzeitungen bekannt gegeben werden. Genauso wenig kam eine Veröffentlichung in DDR-Zeitungen in Frage. Im Juli 1988 fanden sie ihren Weg immerhin in die „Frankfurter Rundschau“.

Teil der Friedlichen Revolution

Schorlemmer als Redner auf dem Alexanderplatz; Foto: Bundesarchiv, Bild 183-1989-1104-038 / Link, Hubert / CC-BY-SA 3.0, CC BY-SA 3.0 de.

Zum ersten Mal verließ Friedrich Schorlemmer den Schutzraum Kirche im Herbst 1989. Als ein Redner sprach er auf der ersten staatliche genehmigten Demonstration am 4. November 1989 auf dem Alexanderplatz. Veränderung lag in der Luft, wie viele hoffte Schorlemmer auf einen Umbruch der DDR. Nur wenige Wochen zuvor hatte er die Partei „Demokratischer Aufbruch“ mitbegründet. In Ostberlin drückte er diesen Wunsch und die Chance auf Veränderung wie folgt aus:

Lebten wir gestern noch in der stickigen Luft der Stagnation, die atemberaubend war, so erleben wir jetzt Veränderungen, die atemberaubend sind. Der Wehrunterricht wird abgeschafft, der Zivildienst wird eingeführt.

Eine Aufnahme seiner Rede ist auf Youtube zu sehen.

Nur fünf Tage nach seiner Rede und der Demonstration fiel die Mauer. Plötzlich ging es mit dem politischen Umbruch sehr schnell.

Engagement während und nach der Wende

Vielleicht sogar zu schnell.

Schorlemmer war Gegner einer schnellen Wiedervereinigung. Als sich der Demokratische Aufbruch im Zuge der ersten freien Volkskammerwahlen im Frühjahr 1990 der CDU zuwendete, trat er aus und schloss sich der SPD an.

Im Prozess der Wiedervereinigung setzte er sich stets dafür ein, die Belange der ehemaligen DDR-Bewohner:innen anzuerkennen. Er versuchte deutlich zu machen, warum sich diese bisweilen abgehängt oder nicht ernstgenommen fühlten. Für dieses und anderes Engagement erhielt er noch 1989 die Carl-von-Ossietzky-Medaille der Internationalen Liga der Menschenrechte. 1993 folgte der Friedenspreis des Deutschen Buchhandels.

Mit einigen DDR-Oppositionellen und Aktivist:innen überwarf er sich, vertrat oft abweichende Meinungen. So setzte er sich etwa für eine Rehabilitierung der in PDS umbenannten SED ein. Und forderte 1993, einen juristischen Schlussstrich zu ziehen und die Stasi-Akten zu vernichten, was ihm deutliche Kritik anderer Bürgerrechtler:innen einbrachte. 1999 schloss er sich der Forderung nach einer strafrechtlichen Amnestie für die DDR-Verantwortlichen an.

Eine Stimme aus dem Osten

Friedrich Schorlemmer blieb auch nach der Wiedervereinigung eine der bekanntesten Stimmen aus dem Osten. Frieden und soziale Gerechtigkeit waren Themen, die ihn weiter bewegten. Er wurde nicht müde, mangelnde Solidarität und seiner Meinung nach fehlerhafte Politik zu kritisieren. So stellte er sich etwa entschlossen gegen die Einsätze der Bundeswehr in Afghanistan und im Irak.

Gründungsurkunde von Gegen Vergessen – Für Demokratie e.V.

Auch unser Verein „Gegen Vergessen – Für Demokratie e.V.“ hat Friedrich Schorlemmer einiges zu verdanken. 1993 gehörte er zu den Mitbegründern des Vereins und blieb jahrelang Vereinsmitglied. Mit ihm ist einer gegangen, der die Vergangenheit erinnerte ohne zu stark an ihr festzuhalten. Und dabei stets den Blick in die Zukunft gewendet hatte.

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Über uns 
Annalena B. arbeitet bei Gegen Vergessen - Für Demokratie e.V. als Projektkoordinatorin im Bereich Demokratiegeschichte.

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