Seit Jahren genießt die Bundeswehr ein hohes Ansehen. In Befragungen des
Zentrums für Militärgeschichte und Sozialwissenschaften der Bundeswehr (ZMSB) fiel seit 2000 die positive Einstellung nie unter 75 Prozent. Insbesondere in den letzten Jahren stieg dieser Wert auf über 80 Prozent. Das hängt sicherlich auch – aber nicht ausschließlich – mit dem russischen Angriffskrieg in der Ukraine zusammen.
Auch die Notwendigkeit der Bundeswehr wird hoch eingeschätzt. Ebenso die Bereitschaft, die Verteidigungsausgaben und die Anzahl der Soldat:innen zu erhöhen.
Doch eine Frage bleibt: Wer soll den Dienst an der Waffe leisten?
Der Fall Kreil
Bis Anfang 2000 war die Antwort auf diese Frage klar. Männer leisteten Wehrdienst. Für Frauen aber galt:
Sie dürfen auf keinen Fall Dienst mit der Waffe leisten.
Art. 12 a GG alte Fassung.
Doch das änderte sich im Januar 2000. Frauen waren bis zu diesem Zeitpunkt in der Bundeswehr im Sanitäts- und Militärmusikdienst zugelassen. Ein Wechsel oder gar eine Ausbildung in einen Dienst, der mit der Handhabung von Waffen einherging, war aber nicht vorgesehen.
Einstellung und Wechsel von Frauen in die Laufbahn des Truppendienstes, die insbesondere den Dienst mit der Waffe umfassen, werden ausgeschlossen.
§§ 3a, 5 Abs. 3 Satz 1 Soldatenlaufbahnverordnung.
Dagegen klagte allerdings 1996 Tanja Kreil. Die Elektronikerin aus Hannover war ausgebildete Energieelektronikerin und bewarb sich als Waffenelektronikerin bei der Bundeswehr. Ihren Antrag lehnten das zuständige Kreiswehrersatzamt und das Zentrum für Nachwuchsgewinnung Nord mit Hinweis auf den oben zitierten Artikel ab.
Doch damit hatte Tanja Kreil bereits gerechnet. Sie legte Widerspruch gegen die Ablehnung beim Verwaltungsgericht Hannover ein. Unterstützung erhielt sie dabei vom Deutschen BundeswehrVerband (DBwV). Dessen damaliger Vorsitzender hatte Kreils aufgrund von Erfahrungsmangel abgelehnte Bewerbung für den Sanitätsdienst gesehen. Anschließend überzeugte er sie davon, sich für den regulären Truppendienst zu bewerben und im Falle der Ablehnung Widerspruch einzulegen. Insofern handelte es sich bei Tanja Kreil um eine Musterklägerin, die Begründung für den Widerspruch lieferte der DBwV, der auch die Anwalts- und Verfahrenskosten für Kreil stellte.
Vorgehen des DBwV
Für den Wandel in der Bundeswehr setzte sich unter anderem der damalige Bundes- und heutiger Ehrenvorsitzender des DBwV Oberst a.D. Bernhard Gertz ein. In einem Beitrag von 2021 erklärt er, er habe ab Mitte der 1990er Jahre zu zweifeln begonnen, ob „die damalige Fassung des Artikels 12a Abs. 4 S. 2 des Grundgesetzes wirklich […] ein Verbot des freiwilligen Waffendienstes für Frauen enthielt. Sie lautete: ,Sie dürfen auf keinen Fall Dienst mit der Waffe leisten’“ und weiter: „Weil Artikel 12a die Allgemeine Wehrpflicht regelt, hat dieser Satz auch bedeuten können, dass Frauen nur zu einem Pflichtdienst an der Waffe nicht herangezogen werden dürfen.“
In ihrer Klage vor dem Verwaltungsgericht beriefen sich Kreil und der DBwV auch auf die EG-Richtlinie 79/7/EWG vom 19. Dezember 1978. Diese sieht die schrittweise erfolgende Verwirklichung des Grundsatzes der Gleichbehandlung von Männern und Frauen im Bereich der sozialen Sicherheit vor. Für den Fall, mit dieser Argumentation auf dem Verwaltungsrechtsweg zu scheitern, wäre man dann den Weg der Verfassungsbeschwerde gegangen. Dabei hätte man sich wohl auf
Art. 3 Abs. 2 des Grundgesetzes (,Männer und Frauen sind gleichberechtigt’) berufen.
Widerspruch von nationalem und europäischem Recht
Doch das Verwaltungsgericht Hannover erkannte in der deutschen Rechtslage einen möglichen Widerspruch zu der EG-Richtlinie 76/207/EWG (Zweite Gleichbehandlungsrichtlinie)[3] vom 9. Februar 1976. Diese lautet in der Präambel wie folgt:
Die Gleichbehandlung von männlichen und weiblichen Arbeitnehmern stellt eines der Ziele der Gemeinschaft dar, soweit es sich insbesondere darum handelt, auf dem Wege des Fortschritts die Angleichung der Lebens- und Arbeitsverhältnisse der Arbeitskraft zu fördern.
Und weiterhin in Artikel 2:
(1) Der Grundsatz der Gleichbehandlung im Sinne der nachstehenden Bestimmungen beinhaltet, dass keine unmittelbare oder mittelbare Diskriminierung auf Grund des Geschlechts – insbesondere unter Bezugnahme auf Ehe- oder Familienstand – erfolgen darf.
(2) Diese Richtlinie steht nicht der Befugnis der Mitgliedstaaten entgegen, solche beruflichen Tätigkeiten und gegebenenfalls die dazu erforderliche Ausbildung, die für das Geschlecht auf Grund ihrer Art oder der Bedingungen ihrer Ausbildung eine unabdingbare Voraussetzung darstellt, von ihrem Anwendungsbereich auszuschließen.
Mit der Anerkennung des Verwaltungsgerichts ist klar, dass der Fall vor den Europäischen Gerichtshof (EuGH) kommt.
Das Urteil aus Luxemburg und seine Rezeption
Am 11. Januar 2000 entschied der Europäische Gerichtshof, dass auch Frauen zu einem Dienst an der Waffe zuzulassen seien. Der Ausschluss davon würde dem Grundsatz der beruflichen Gleichstellung von Mann und Frau widersprechen. Im Umkehrschluss hieß das, dass von nun auch Frauen Dienst an der Waffe leisten dürfen sollten. Im Gegensatz zu Männern sollten sie aber weiterhin nicht dazu verpflichtet werden.
Das Urteil führte in Deutschland zu heftigen Diskussionen. Kritiker:innen argumentierten beispielsweise, dass nationales Recht über europäischen Recht stehen sollte. Also dass die Frage der inneren Sicherheit eine nationale Entscheidung sein sollte.
Auch die Frauengruppen waren in ihrer Beurteilung gespalten. So standen etwa die Arbeitsgruppen der CDU/CSU- und der FDP-Fraktion einer Öffnung positiv gegenüber. Wohingegen die Arbeitsgemeinschaft in der Öffnung keinen Gewinn für Frauen erkennen kann.
Und dass der DBwV den Antrag eingebracht hatte, hieß noch lange nicht, dass die Bundeswehr dem Urteil allgemein offen gegenüberstand. Die Frage, ob Frauen beim Militärdienst mit Männern mithalten können (oder müssen?) wird auch heute noch ins Feld geführt.
Neue Regelung und neue Zahlen
Die Diskussion änderte jedoch nichts an der rechtlichen Auslegung. Und so wurde am 19. Dezember 2000 das Grundgesetz geändert. Statt Frauen dürfen „auf keinen Fall Dienst an der Waffe leisten“ lautet er seitdem: „Frauen dürfen auf keinen Fall zum Dienst mit der Waffe verpflichtet werden“.
Schon im Februar 2000 gingen die ersten Bewerbungen von Frauen bei der Bundeswehr für den regulären Truppendienst ein. Am 2. Juli traten die ersten Frauen eine Offizierslaufbahn in kämpfenden Einheiten an.
Und heute?
Stand Februar 2020 liegt der Anteil von Frauen im Heer bei 7,4%, in der Luftwaffe bei 9,1%, in der Marina bei 10,6% und im Cyber und Informationsraum bei 10%. Am höchsten ist er im zentralen Sanitätsdienst, der schon länger für Frauen geöffnet ist. Dort sind etwa 41,1% der Dienstleistenden weiblich.
Die Tatsache allein, dass Frauen Dienst an der Waffe leisten dürfen, ist kein Garant für tatsächliche Gleichberechtigung oder einen diskriminierungsfreien Arbeitsplatz im Heer. Aber sie ist eine Voraussetzung dafür, die ohne Tanja Kreil und den DBwV so bald nicht in Kraft getreten wäre.
4 Kommentare
Wolfgang Tegelhütter
29. August 2024 - 18:27Welchen Dienstgrad hatte Tanja Keil?
Annalena B.
3. September 2024 - 9:58Tanja Keil ist letztlich bei ihrem zivilen Arbeitgeber geblieben und nicht in die Bundeswehr eingetreten.
Werner
5. Oktober 2024 - 16:25das urteil ist unerträglich
Annalena B.
14. Oktober 2024 - 9:47Warum?