Der 27. Mai 1832 markierte im Leben des damals 28-jährigen Johann Philipp Abresch einen tiefen Einschnitt. Der junge Kaufmann aus dem pfälzischen Neustadt an der Weinstraße war auserkoren worden, die Hauptfahne jenes Festzugs zu tragen, der vom Neustadter Marktplatz zum Hambacher Schloss führen und das Hambacher Fest einläuten sollte. Bis zu 30.000 Frauen und Männer strömten damals zur Burgruine, um zum einen gegen Zensur und politische Unterdrückung, gegen wirtschaftliche und soziale Not zu protestieren.
Zum anderen setzten sie ein Zeichen für politische Grundrechte und ein geeintes Deutschland innerhalb eines solidarisch verbundenen Europas. In der Hauptfahne sollten jene Forderungen ihren symbolischen Ausdruck finden: Sie hatte drei Querstreifen in den Farben Schwarz, Rot und Gold. Im roten Querstreifen war zudem der Schriftzug „Deutschlands Wiedergeburt“ aufgestickt. Sie gilt heute als die deutsche Ur-Fahne.
Die Fahne des roten Abresch
Johann Philipp Abresch war mit Bedacht als Fahnenträger ausgewählt worden. Er gehörte zu den Unterzeichnern der Einladung zum Hambacher Fest und war zugleich Mitglied des Festkomitees, das die Organisation und Durchführung jener Großveranstaltung zu stemmen hatte. Der „rote Abresch“ (so benannt aufgrund seiner roten Haare) war als Sohn eines Stadtratsmitglieds zudem eine markante, stadtbekannte Person.
Als Träger der Hauptfahne in schwarzer Kleidung mit schwarz-rot-goldener Schärpe stach Abresch aus dem Festzug heraus. Regelrecht zur Ikone geworden ist die letzte Handlung des Fahnenträgers an jenem 27. Mai 1832: Er pflanzte die Hauptfahne auf dem höchsten Punkt der Hambacher Burgruine auf, so dass sie während des gesamten Festes über der Veranstaltung wehte.
Auch wenn Abresch auf dem Hambacher Fest keine Rede gehalten hat, ist er bis zum heutigen Tag als dessen Fahnenträger in Erinnerung geblieben. Er selbst war sich der Bedeutung und Verpflichtung seiner symbolträchtigen Handlung dabei durchaus bewusst. Auf der Rückseite eines Ölportraits von ihm selbst vermerkte Abresch noch im Jahr 1832: „Nur durch standhaft-muthiges Ringen wird unseres Banners Wahlspruch gelingen!“ Tatsächlich waren auf dem Weg zur Erringung der auf dem Hambacher Fest formulierten Forderungen Standhaftigkeit und Mut erforderlich.
Die Angst vor einem Flächenbrand
Unmittelbar nach dem Fest setzte seitens der bayerischen Regierung eine umfassende Verfolgungswelle gegen die Organisatoren und Redner des Hambacher Festes ein. Auch Abresch wurde u.a. wegen „Hochverrath und Verunglimpfung der höchsten Staatsbehörden“ sowie wegen Beamtenbeleidigung angeklagt und zu insgesamt vier Geld- sowie kurzen Gefängnisstrafen verurteilt.
Doch worin bestand aus Sicht der damaligen Obrigkeit nun jener „Hambacher Skandal“, den der österreichische Staatskanzler von Metternich im Hambacher Fest erblickt hatte? Die Gründe hierfür lassen sich zugespitzt wohl unter drei Schlagworten zusammenfassen: europäischer Kontext, Inhalt und Öffentlichkeit.
In Europa kam es in Folge der Französischen Julirevolution von 1830 vielerorts zu Unruhen, Aufständen oder gar Revolutionen. Vielfach verbanden und verstärkten sich politische Unzufriedenheit, nationale Aufbruchstimmung, wirtschaftliche Not und sozialer Protest. Im Deutschen Bund sorgten Aufstände dafür, dass in den Königreichen Hannover und Sachsen, im Herzogtum Braunschweig sowie im Kurfürstentum Hessen liberale Verfassungen mit weitreichenden Grundrechten verabschiedet wurden. In der Folge war die Angst der Obrigkeit vor einem „demokratischen Flächenbrand“ groß.
Die erste deutsche Volksversammlung
Inhaltlich waren sich die Hambacher Festredner zwar keineswegs einig über ihre konkreten politischen Zielvorstellungen oder den Weg, diese zu erreichen. Dennoch ist verständlich, dass die vielfach zu hörenden Rufe nach politischen Grundrechten und Volkssouveränität oder gar vereinzelte Forderungen nach einem notfalls gewaltsam herbeizuführenden Regimewechsel in den Fürstenhäusern des Vormärz die Alarmglocken schrillen ließen.
Schließlich zeigt das Massenereignis des Hambacher Festes, dass die Obrigkeit im damaligen Kampf um die Öffentlichkeit eine empfindliche Niederlage erlitten hat. Vor dem 19. Jahrhundert war sie es gewesen, die über den öffentlichen Raum mitsamt öffentlichen Inszenierungen verfügte. Gleichsam „von unten“ organisierte und politisch aufgeladene Feste stellten eine neuartige soziale Ausdrucksform dar.
Die politische Sprengkraft des Hambacher Festes bestand nun darin, dass bis zu 30.000 Männer und Frauen (!) aus allen gesellschaftlichen Schichten zusammengekommen waren, um ein politisches Zeichen zu setzen. Entsprechend hat Theodor Heuss das Hambacher Fest mit einiger Berechtigung als „erste große Volksversammlung in der deutschen Geschichte“ bezeichnet.
Teil II dieses Beitrags erscheint am 1. Februar und ist dann hier zu finden.
Zum Autor
Kristian Buchna ist wissenschaftlicher Mitarbeiter der Stiftung Hambacher Schloss und dort zuständig für die Bereiche Ausstellung, Forschung, Veranstaltungen und Vermittlung. Seine Forschungsschwerpunkte liegen in der Demokratie- und Liberalismusgeschichte sowie in der politischen Kulturgeschichte.
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