Heute vor genau 100 Jahren, am 11. Februar 1919, wurde der SPD-Vorsitzende Friedrich Ebert zum ersten Reichspräsidenten der frisch ausgerufenen Weimarer Republik gewählt. Nachdem sein Parteigenosse Philipp Scheidemann knapp drei Monate zuvor auf den Trümmern des Kaiserreichs die Republik ausgerufen hatte, war es vor allem Ebert gewesen, der die junge Demokratie stabilisiert hatte; und er sollte es auch sein, der in den Folgejahren deren Werdegang entscheidend prägte.
Der symbolische Startpunkt der ersten deutschen Demokratie
Fünf Tage nach seiner Wahl zum Staatsoberhaupt, am 6. Februar, hielt Friedrich Ebert die Eröffnungsrede in der Weimarer Nationalversammlung. In gewisser Hinsicht war das der symbolische Startpunkt zur ersten deutschen Demokratie. In den Köpfen der Menschen – auf der Straße ebenso wie im Parlament – war der Krieg noch unmittelbar präsent. Und nun sollte auf den Ruinen der alten Ordnung mal eben eine Demokratie entstehen?
Vor diesem Hintergrund fand Ebert gleich zu Beginn seiner Rede folgende drastische Worte:
„Das deutsche Volk ist frei, bleibt frei und regiert in alle Zukunft sich selbst. Das ist der einzige Trost, der dem deutschen Volke geblieben ist, der einzige Halt, an dem es aus dem Blutsumpf des Krieges und der Niederlage sich wieder herausarbeiten kann.“
Die Demokratie – Leiter aus dem „Blutsumpf“
„Trost“ und „Halt“ sind normalerweise keine Begriffe, die häufig im Zusammenhang mit Demokratie fallen. Eher kennt man sie aus der Religion oder der Trauerbewältigung. Es mag einem fast schon abwegig erscheinen, einem rationalen ‚Funktionssystem‘ wie der Demokratie derartige Emotionen entgegenzubringen. Doch darf man nicht vergessen, dass die Geschichte der Demokratie in Deutschland durchzogen ist von den Abgründen des Krieges; sowohl nach dem Ersten Weltkrieg als auch nach dem Zweiten befand man sich im wahrsten Sinne des Wortes in einem „Blutsumpf“.
Gegen die Resignation
In einer solchen Situation kann man leicht in Fatalismus und politische Resignation verfallen. Hat überhaupt noch irgendetwas Sinn, ist nicht alles vergebens? Eberts Antwort: Ja, es gibt noch etwas, wofür einzustehen Sinn hat: für Freiheit und Selbstregierung des Volkes, für Demokratie. Denn das ist jene Blickrichtung, jenes Ideal, das einen auch in dunklen Stunden der Geschichte anleiten und stärken kann. Jene Leiter, an der man sich „herausarbeiten“ kann.
Es ist nicht verwunderlich, dass gerade in Deutschland, diesem Land der Kriegswut und Menschheitsverbrechen, das Bekenntnis zur Demokratie oft von einer besonders starken Emotionalität und Unbedingtheit geprägt ist. Man könnte auch sagen: Man kann in Deutschland kein halber Demokrat sein. Friedrich Ebert steht hierfür exemplarisch als ein Vertreter jener ersten Demokratie, die auf den Trümmern jenes ersten Krieges errichtet wurde. Wo er sich nur irrte: Diese Demokratie würde nicht „in alle Zukunft“ Bestand haben.
Deutschland musste noch einmal in den Abgrund fallen, diesmal in einen noch viel tieferen und schwärzeren, um sich abermals „herauszuarbeiten“. Die Kernaussage aus Eberts Demokratiezitat behielt dabei über alle Zeiten ihre Gültigkeit.
2 Kommentare
Kerstin
12. Februar 2019 - 10:17Lieber Leonhard,
danke für deine Anregungen zur 1. deutschen Demokratie. Ja, das Zitat von Ebert ist emotional …ich empfinde es aber überhaupt nicht so, dass das Verhältnis zur Demokratie in Deutschland von Emotionalität und Unbedingtheit geprägt ist eher von Selbstverständlichkeit, Pragmatismus..Kann es nicht sein, dass gerade das Entstehen der Demokratie in Deutschland in Verbindung mit Niederlage im Krieg, Zusammenbruch, Schuld…dazu geführt hat bei der Mehrheit der Menschen, dass sie mit ganz anderen Dingen beschäftigt waren als mit Demokratie? Es herrschte Armut, Arbeitslosigkeit…da war das ersehnte Ziel ein Wirtschaftswunder.
Leonard J.
13. Februar 2019 - 14:22Liebe Kerstin,
vielen Dank für deine Gedanken und Anregungen! Ich denke, dass es in der deutschen Demokratiegeschichte des 20. Jhd. immer beides gab: Emotionalität und Pragmatismus, Unbedingtheit und Abgeklärtheit. In gewisser Weise hat sich natürlich mit der Zeit eine Tendenz abgezeichnet, die Demokratie für immer selbstverständlicher zu halten, bis hin zur pragmatischen Haltung der Gegenwart. Ich bin aber dennoch der Überzeugung, dass das „emotionale“ Moment historisch eine entscheidende Rolle im Verhältnis der deutschen Gesellschaft zu ihrer Demokratie einnimmt. Mit Emotionalität meine ich hier allerdings nicht Pathos und offen gezeigte Leidenschaft; diese sind – im Gegensatz zu anderen Ländern – in der deutschen Geschichte tatsächlich recht rar gesät. Eberts Begriffe finde ich hier sehr passend: Trost und Halt. Vielleicht könnte man davon sprechen, dass die Haltung der Deutschen zur Demokratie eher von „kalten“ als von „warmen“ Emotionen geprägt ist. Krieg, Niederlage, Schuld (!) und Armut scheinen den Gefühlshaushalt eher gedrückt zu haben – zum Teil ja auch verständlicherweise. Da mag es manchmal so ausgesehen haben, als ob die Mehrheit der Menschen der Demokratie gleichgültig gegenüberstand und vor allem an wirtschaftlicher Verbesserung interessiert war. Unter dieser Fassade lag jedoch – so meine Meinung – häufig der ernste Wunsch, sich „herauszuarbeiten“: hin zu mehr Frieden, Gerechtigkeit und Wohlstand, also zu einer Überwindung der dunklen Vergangenheit.
Auf jeden Fall ein spannendes und hochaktuelles Thema, zu dem man noch viel sagen und streiten könnte! Nochmals vielen Dank für deine sehr berechtigten Nachfragen und Einwände!