Demokratiegeschichten

Der politische Aschermittwoch

Nun ist er vorbei, der Karneval. Allmählich erholen sich auch die letzten Jecken von den Strapazen der letzten Tage. Stattdessen beginnt nun heute mit dem Aschermittwoch im Christentum die Fastenzeit. Für einige Gläubige eine Zeit der Enthaltsamkeit und des Erinnerns an die eigene Vergänglichkeit. Während mancherorts heute bewusst verzichtet und gefastet wird, wird andernorts nochmal so richtig auf den Tisch gehauen. Der politische Aschermittwoch bietet Politiker*innen Gelegenheit, ungestraft andere Parteien und Politiker*innen lächerlich zu machen.

Ursprünge

Der politische Aschermittwoch hat seinen Ursprung in Bayern. Dort trafen sich in Vilshofen vor Hunderten von Jahren Bauern zum Vieh- und Rossmarkt. Gefeilscht wurde nicht nur um Preise, auch aktuelles Geschehen und Themen wurden lebhaft diskutiert.

Vor etwas mehr als 100 Jahren – 1919 – rief der Bayerische Bauernbund erstmals zu einer Kundgebung auf. Deren Ablauf entsprach am ehesten dem, was wir vom heutigen politischen Aschermittwoch kennen.

In der Weimarer Republik diente der politische Aschermittwoch vor allem verschiedenen Bauernparteien als Forum. Regelmäßige Großveranstaltungen fanden allerdings nur vereinzelt und in Bayern statt. Selbst dort dauerte es bis 1932, dass mehrere Parteien zu Veranstaltungen einluden. Nach 1933 und der Errichtung eines Einparteienstaats fanden auch diese nicht mehr statt.

Entwicklung seit 1946

Ab 1946 war die Bayernpartei jahrelang die einzige Partei, die zum politischen Aschermittwoch einlud. Ausrichtungsort war wieder Vilshofen. Erst 1953 schloss sich die CSU unter Vorsitz von Franz Josef Strauß der Tradition an. Dadurch erlangte der politische Aschermittwoch erstmals bundesweit Bekanntheit. In den folgenden Jahren bestimmten Rededuelle zwischen CSU- und Bayernparteipolitiker*innen die Wahrnehmung.


1965 schloss sich die SPD an und veranstaltete ihren ersten politischen Aschermittwoch, ebenfalls in Vilshofen. Immer mehr Parteien entdeckten die Veranstaltung für sich, wodurch allmählich der bäuerliche Fokus verschwand.

Weil immer mehr Zuhörer*innen zu den Kundgebungen kamen, reichte der Platz in Vilshofen nicht mehr aus. 1975 wich die CSU das erste Mal nach Passau aus, seit 2004 finden dort jährlich ihre Aschermittwochstreffen statt. Mit der zunehmenden Bekanntheit wanderte der politische Aschermittwoch auch aus Bayern heraus. Mittlerweile halten die Fraktionen vieler Parteien Veranstaltungen in den jeweiligen Bundesländern ab.

Themen und Publikum

Was die Redner*innen am politischen Aschermittwoch zum Thema machen, bleibt normalerweise ihnen überlassen. Normalerweise gibt es Bezüge zur aktuellen Politik. Grundsatzreden oder politische Manifeste hält niemand. Bei Bier- und Festzelt-Atmosphäre geht es darum, die eigenen Anhänger*innen zu motivieren. Und das gelingt oft am besten, indem man andere Parteien und Politiker*innen schlecht darstellt. Ob Kritik sachlich vorgetragen wird, das interessiert an diesem Tag vermutlich niemanden.

Mittlerweile ist das Interesse am politischen Aschermittwoch so groß, dass einige Veranstaltungen live übertragen werden. Wer also heute keine Gelegenheit hat, vor Ort zu sein, schaue heute Abend Fernsehen oder in die Mediatheken.

Übrigens nutzen nicht nur die Parteien den Aschermittwoch für sich. Auch Demonstrationen und Inszenierungen unterschiedlichster Organisationen begleiten die Kundgebungen. Dieses Medieninteresse hat auch eine neue Funktion des politischen Aschermittwochs kreiert: Der Aschermittwoch hat sich zum „alternativen Politikforum“ entwickelt. Zahlreiche Demonstrationen und politische Inszenierungen begleiten die Aschermittwochskundgebungen der großen Parteien.[15]

Artikel Drucken
Über uns 
Annalena B. arbeitet bei Gegen Vergessen - Für Demokratie e.V. als Projektkoordinatorin im Bereich Demokratiegeschichte.

0 Kommentare

Kommentar schreiben

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert