Demokratiegeschichten

Das Afrikanische Viertel in Berlin im Wandel

Das Stadtviertel im Berliner Stadtteil Wedding befindet sich durch die Umbenennung von Straßennamen im Wandel vom kolonialen Flächendenkmal zu einem Lern und Erinnerungsort an den antikolonialen Widerstand und der Unabhängigkeit afrikanischer Nationen.

Karte von Berlin-Wedding. Das Afrikanische Viertel befindet sich in der Mitte. Foto: Wikimedia, Alexrk2  Creative Commons Attribution-Share Alike 3.0 Unported.

Die Entstehungsgeschichte des Afrikanischen Viertels zeigt, dass der Kolonialismus in der deutschen Öffentlichkeit ein prominenter Gegenstand gewesen war, bevor er in der Nachkriegszeit mehr und mehr verdrängt wurde. In dem vierzigjährigen Entstehungszeitraum von 1899 bis 1939 vom preußischen Kaiserreich über die Weimarer Republik bis hin zum Dritten Reich spiegelt das Viertel die Entwicklungen und die Prominenz des deutschen kolonialen Geistes wider, der in der politisch wechselhaften Zeit ein stetes Element bildete.

Ein Viertel als Ausweis für die Kolonialmetropole Berlin

„Berlin ist der Ort, der dem Kolonialismus als Praxis der Zerstückelung ein Programm bzw. Struktur gegeben hat, da sich hier von November 1884 bis Februar 1885 europäische Mächte trafen, um Afrika im wahrsten Sinne des Wortes unter sich aufzuteilen.“

Dr. Ibou Diop über die Berliner Afrika-Konferenz, GESAMTSTÄDTISCHES ERINNERUNGSKONZEPT DER KOLONIALEN GESCHICHTE BERLINS, S. 46

Der Auftakt für ein solches Viertel, das in der Folge von anderen Städten (unter anderem in München, Köln und Düsseldorf) kopiert werden sollte, erfolgte im Jahre 1899. Im noch wesentlich unbebauten Nordrand der Hauptstadt oberhalb der Seestraße wurden zwei Straßen nach den damaligen deutschen Kolonien Togo und Kamerun in Westafrika benannt.
Über die konkreten Urheber dieses Vorhabens gibt es unter Historiker:innen unterschiedliche Meinungen. Während Ulrich van der Heyden davon spricht, dass jenes auf Geheiß von Kaiser Wilhelm II. persönlich veranlasst wurde, weisen Kopp und Krohn demgegenüber nach, dass die Initiative für die Benennung des Areals vom damaligen Dezernenten für Straßenbenennungen, dem Stadtrat Ernst Friedel ausgeht, der sich für deutsche Kolonien einsetzte.

Manche gehen davon aus, dass der „Tier- und Menschenaussteller“ Carl Hagenbeck, mit den Plänen, den heute angrenzenden Volkspark Rehberge neben einem Zoo mit sogenannten „Völkerschauen“ zu bespielen, das Afrikanische Viertel als solches geprägt habe. Diese Pläne legte Hagenbeck jedoch wesentlich später im Jahre 1912 vor und wurden in Anbetracht des beginnenden Ersten Weltkriegs dort nie verwirklicht.

Kolonialismus im Zeitgeist

Sicher ist, dass im ausgehenden 19. Jahrhundert die Themen Afrika und Kolonialismus in Deutschland stark im Zeitgeist vertreten waren, wie die Kolonialausstellung im Treptower Park im Jahre 1896 beweist.

Ziel des Afrikanischen Viertels war „[…] die Verherrlichung und Verankerung der deutschen Kolonialherrschaft im Bewusstsein der Öffentlichkeit.“

Christian Kopp & Marius Krohn

Nacheinander wurden die Benennungen analog zur Aneignung der deutschen Kolonien vorgenommen. Aber auch nach der Zeit der eigentlichen Kolonialherrschaft führte die populäre kolonialrevisionistische Strömung der Weimarer Republik dazu, dass die Bezeichnungspraktik sogar noch ausgeweitet wurde. Durch den Verlust der Kolonien nach dem Ersten Weltkrieg wurde das Thema noch präsenter in der deutschen Öffentlichkeit.

Den einzigen Zwischenton in der kolonialen Logik der Straßennamen des Viertels bildet die den nördlichen Teil abschließende Ghanastraße. Sie wurde im Jahre 1958 anlässlich des Besuchs des ghanaischen Staatsoberhaupts der erst kürzlich unabhängig gewordenen westafrikanischen Nation gewidmet.

Dekolonisierung des Stadtbilds

Mit Forderung nach „Dekolonisierung“ bemalter Schachtdeckel im Afrikanischen Viertel. Foto: Alina Schulenkorf

Initiativen für eine Umbenennung der besonders problematischen Straßennamen, welche nach Männern benannt waren, die direkt am kolonialen Unrecht beteiligt waren, gab es bereits in der Nachkriegszeit und vermehrt seit den 1980er Jahren.

Vom Nachtigalplatz zum Manga-Bell-Platz

Seit der Jahrtausendwende wurden Proteste von Menschen aus der Schwarzen Community bzw. Menschen afrikanischer Herkunft vermehrt wahrgenommen, die in den kolonialen Straßennamen eine andauernde rassistische Provokation sahen. Nach verschiedenen Anläufen, geeignete Alternativen für die belasteten Straßennamen zu finden, wurde sich 2018 auf politischer Ebene auf antikoloniale Widerstandsgrößen als neue Namenspat:innen geeinigt.

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Portrait von Rudolf Duala Manga Bell – gemeinfrei

Der zentrale Platz im nördlichen Teil des Viertels wurde im Jahre 1910 zu Ehren des 25. Todestages von Gustav Nachtigal (1834-1885) benannt. Dieser gilt als der „Begründer“ der Kolonien Togo und Kamerun. Nachtigal war Reichskommissar für Westafrika und wirkte dort in Geheimmission darauf hin, Gebiete von Kaufleuten unter den vermeintlichen „Schutz“ des Deutschen Reichs zu stellen.


Der Platz erinnert künftig an Emily und Rudolf Duala Manga Bell (1873 – 1914), der sich als Herrscher der Duala im heutigen Kamerun, ausgebildet in Deutschland, aufgrund seiner Kenntnisse der Sprache und des Rechtssystems mit der Obrigkeit der deutschen Kolonisation angelehnt hatte und darauf von jenen wegen „Hochverrats“ hingerichtet wurde.
An der feierlichen Einweihung der neuen Straßenschilder im Dezember 2022 nahm neben dem Botschafter Kameruns auch der amtierende Duala-König Jean-Yves Eboumbou Duala Bell teil.

Lüderitzstraße – heute Cornelius-Fredericks-Straße

Die in der südlichen Hälfte des Viertels parallel zur Müllerstraße verlaufende Straße wurde um das Jahr 1902 als „Lüderitzstraße“ bezeichnet. Nach dem Sohn eines Bremer Tabakhändlers Adolf Lüderitz (1834-1886) benannt, stellt sie zusammen mit der Swakopmunder Straße und der Windhukstraße den Bezug zur Inbesitznahme der flächenmäßig größten deutschen Kolonie her: „Deutsch-Südwestafrika”.

Ein Bild, das Text, draußen, Baum, Beschilderung enthält.

Automatisch generierte Beschreibung
Das neue Straßenschild über der alten Bezeichnung. Quelle: Myrmix – wikimedia
CC BY-SA 4.0

Der Bezirk Mitte beschloss 2018, die Lüderitzstraße in Cornelius-Fredericks-Straße umzubenennen. Dieser war Kapitän der Nama und hat den Widerstandskampf gegen die deutsche Kolonialmacht im heutigen Namibia zeitweise angeführt. Die Volksgruppe der Herero hatte sich 1904 unter Samuel Maharero gegen die deutschen „Schutztruppen“ aufgelehnt. Dieser Aufstand wurde brutal niedergeschlagen und endete in der Vernichtung eines Großteils der Herero-Bevölkerung.

Cornelius Fredericks galt danach in dem über Jahre andauernden Guerillakrieg als gefährlichster Gegner des Kolonialregimes. Er starb schließlich im Jahre 1907 ein Jahr nach dem Ende des Nama-Aufstands an den unmenschlichen Bedingungen der Gefangenschaft im Konzentrationslager an der Lüderitzbucht.

Bei der Einweihung des Straßenschilds im Jahr 2022 fordert der namibische Botschafter eine echte Anerkennung des Völkermords an den Herero und Nama. Dieser gilt als erster Genozid des 20. Jahrhunderts und kostete schätzungsweise bis zu 100.000 Menschen das Leben. Dabei brach er letztlich den Widerstand gegenüber der deutschen Kolonialherrschaft.

Petersallee

Die Petersallee soll nach dem Beschluss der Bezirksverordnetenversammlung-Mitte von 2018 in „Maji-Maji-Allee“ und „Anna-Mungunda-Allee“ benannt werden.

Von Aktivist:innen übermalte Straßenschilder der Petersallee und vom Nachtigalplatz in Berlin-Wedding 2021. Foto: Alina Schulenkorf

Die „Maji-Maji-Allee“ soll künftig an den größten Aufstand gegen die Kolonialherrschaft der Deutschen in Ostafrika erinnern. Im Jahre 1905 erhoben sich Menschen besonders im Süden der Kolonie gegen die „Kaiserliche Schutztruppe für Deutsch-Afrika“. Dies geschah in Reaktion auf die horrende Erhöhung der Kopfsteuer.

Das Wort „maji“ auf Kiswahili bedeutet übersetzt Wasser; jenes wurde mit Mais und Hirse vermischt und in einem Ritual den Kämpfern als Medizin verabreicht. Dies sollte nicht nur die Einheit der Aufständischen stärken, sondern jene auch unverwundbar gegenüber den Kugeln der Kolonisatoren machen.

Als Resultat des Aufstands, in dem die Deutschen Schutztruppen jedoch mithilfe von afrikanischen Söldnern, den sogenannten „Askari”, die Oberhand behielten, fanden weit über 75.000 Menschen den Tod. Die Folgen des Konflikts waren laut dem Historiker Horst Gründer „ähnlich verheerend“ wie der Aufstand der Herero und Nama in „Deutsch-Südwestafrika“.

Anna „Kakurukaze“ Munugunda

Der zweite Teil der Petersallee soll nach Anna „Kakurukaze“ Mungunda (1932-1959) benannt werden. Sie war Angehörige der Herero, eine prominente Kämpferin für die Unabhängigkeit Namibias und wurde mit einem nationalen Ehrengrab in Windhoek bedacht. Als erste Frau beteiligte sie sich an den Protesten gegen die südafrikanische Fremdherrschaft. Sie wurde dort daraufhin von der Polizei erschossen und gilt als Nationalheldin in Namibia.

„Straßennamen sind Ehrungen und Teil der Erinnerungskultur. Daher ist es eine hervorragende und wichtige Aufgabe, Namen aus dem Berliner Straßenbild zu tilgen, die mit Verbrechen des deutschen Kolonialismus im Zusammenhang stehen.“

Bezirksbürgermeisterin Stefanie Remlinger zur Einweihung der neuen Straßenschilder

Die Umbenennungen der Straßennamen sind Resultat des Engagements von zahlreichen Gruppen und Einzelpersonen, wie dem Bündnis Decolonize Berlin oder der Initiative Schwarzer Menschen in Deutschland. Das Gedenken an antikoloniale Widerstandskämpfer:innen ist ein weiterer Schritt für die Dekolonisierung. Und dass nicht nur im Berliner Stadtraum, sondern auch in der Erinnerungskultur in Deutschland.

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Über uns 
Ist Mitarbeiter bei Gegen Vergessen - Für Demokratie e.V. und beschäftigt sich neben seinem Masterstudium "Gender, Intersektionalität und Politik an der Freien Universität Berlin u.a. mit Erinnerungskultur und Dekolonisierung.

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