Bei dem Namen Brentano denkt man heute wohl am ehesten an verschiedene öffentliche Gebäude, Bäder und Schulen, die nach einem Mitglied dieser weitverzweigten Familie benannt sind. Sie brachte über mehrere Jahrhunderte hinweg immer wieder Frauen und Männer hervor, die wesentlichen Einfluss auf das deutsche und europäische Geistesleben nahmen. Für die heutige Bundesrepublik mag aber eine Person den größten Einfluss genommen haben, von der heute die meisten Personen nur noch wenig wissen oder gar nie gehört haben.
So ist Heinrich von Brentano in gleich mehrfacher Hinsicht eine bedeutende Figur der bundesdeutschen Geschichte. Das liegt zuallererst an seiner Arbeit als erster hauptberuflicher Außenminister der Bundesrepublik Deutschland. Und an seiner herausragenden Rolle als einer der Väter des Grundgesetzes. Zugleich steht er mit seiner Familie für eine lange und bedeutende Traditionslinie des Bürgertums sowie des kulturellen und intellektuellen Lebens in Deutschland.
Die Brentanos …
Wenn in diesem Blog Kurzbiographien vorgestellt werden, können die familiären Hintergründe der besprochenen Person aus guten Gründen eher knappgehalten werden, da diese Informationen nicht den Fokus auf die eigentliche Biographie vernebeln sollen. Im vorliegenden Fall ist eine solche Beschränkung aber nur bedingt sinnvoll, weil einer der Schlüssel zur Person Heinrich von Brentanos genau in diesem familiären Hintergrund liegt.
Dieser Teil der Geschichte beginnt in einem kleinen Ort in der Nähe des Comer Sees. Die Brentanos gehörten zu den bedeutenden Familien der Region. Verschiedene ihrer Linien gelangten in den erblichen Hochadel des Heiligen Römischen Reiches deutscher Nation und besetzten hohe Hofämter.
…eine Familie der Poeten, Kaufleute, Politiker…
Ein weiterer Zweig der Familie zog aber bereits Ende des 17. Jahrhunderts nach der Handelsstadt Frankfurt am Main, um von dort aus seine Handelsaktivitäten auszudehnen. Diese Linie führte bereits keinen Adelstitel mehr und hatte Schwierigkeiten, als katholische Familie im protestantischen Frankfurt zu bestehen. Aber sie konnte sich durchsetzen. Schließlich war es ein Brentano, der 1740 als erster Katholik das Frankfurter Bürgerrecht erlangen konnte. In der Folgezeit waren die Brentanos Teil des Frankfurter Großbürgertums und verbreiteten sich auch auf andere Teile Deutschlands.
Zu den Nachkommen dieser Familie gehörten unter anderem zwei der bedeutendsten Vertreter der deutschen Romantik, Clemens Brentano und seine Schwester Bettina von Arnim (geb. Brentano). Letztere wurde zum Beispiel von der Bundesbank in der letzten Banknotenserie der Deutschen Mark mit ihrem Bild auf dem Fünf-Mark-Schein verewigt. Beide waren in den deutschen Intellektuellenkreisen gut vernetzt. Zu ihren besten Freunden gehörten illustre Figuren wie Friedrich Carl von Savigny. Er zählt noch heute zu den bedeutendsten deutschen Rechtswissenschaftlern und Rechtshistorikern.
Weiterhin saß mit Lorenz Brentano 1848 ein Mitglied der Familie als prorepublikanischer Abgeordneter im Frankfurter Paulskirchenparlament. Nach dem Scheitern der Märzrevolution musste Lorenz Brentano fliehen und ließ sich schließlich in den USA nieder. Er unterstützte US-Präsident Abraham Lincoln, wurde Diplomat der USA in verschiedenen europäischen Ländern und beendete seine Karriere als Mitglied des US-Repräsentantenhauses.
… und Intellektuellen
Auch im 20. Jahrhundert brachte die Familie eine Reihe bedeutender Vertreter hervor. So war Lujo Brentano einer der bedeutendsten Wirtschaftswissenschaftler und Sozialreformer des Kaiserreiches. Durch seine Schwester war Lujo auch der Schwager des vorletzten kaiserlichen Reichskanzlers Graf Georg von Hertling, mit dem er in einem regen Briefaustausch über die Politik des Kaiserreiches stand.
Diese Aufzählung könnte noch lange mit weiteren Beispielen fortgeführt werden. Wichtig ist aber vor allem, dass dieses familiäre Erbe für Heinrich von Brentano eine große Rolle in seiner Erziehung und seinem Leben gespielt hat; weniger im Sinne, dass er aus diesem Prestige Nutzen zog, als vielmehr, dass er die Geschichte seiner Familie als große Verantwortung und teils auch als Bürde verstand, wie er einige Male in Briefen andeutete.
Frühe Jahre
Heinrich Joseph Maximilian Johann Maria von Brentano di Tremezzo wurde schließlich 1904 als Sohn von Otto Rudolf von Brentano geboren. Sein Vater hatte im Großherzogtum Hessen die Anerkennung des früheren Adelsstandes erreichen können, sodass seine Nachkommen nun den Namen „von Brentano“ führen konnten. Besondere Bedeutung erlangte Otto Rudolf von Brentano aber erst als Zentrumspolitiker in der Weimarer Zeit, in der er es bis zum Justizminister und stellvertretenden Ministerpräsidenten des Volksstaates Hessen brachte. Neben dem jüngsten Sohn Heinrich erlangten noch zwei weitere Söhne Bekanntheit: Der älteste Sohn Clemens war Berufsdiplomat. Nach der Gründung der Bundesrepublik wurde er zuerst Generalkonsul und schließlich erster Botschafter Deutschlands in Italien. Bernard von Brentano wurde in den späten 30ern bis zu seinem Tod einer der bekannteren Schriftsteller in Deutschland und schrieb politische Kolumnen, die stets weit links der Mitte standen.
Heinrichs Verhältnis zu seinen Eltern schien komplex gewesen zu sein. Zumindest berichtete sein Bruder Bernard von der harten Erziehung durch die Eltern. Das Verhältnis zwischen Heinrich und seiner Mutter war aber überaus eng. Parallel zu seiner Abgeordnetentätigkeit lebte er bei ihr und pflegte sie bis zu ihrem Tod im Jahr 1948. Sein politischer Vertrauter Heinrich Krone berichtete noch in der Zeit um 1960 über Gespräche mit Brentano, in der dieser in vertrauter Runde betroffen vom Tod seiner Mutter sprach.
Die Zeit des Nationalsozialismus
In der Vorkriegszeit schien Heinrich von Brentano aus seiner Familie nicht sonderlich hervorzuragen. Er studierte Jura in München, trat einer katholischen Studentenverbindung bei und promovierte 1927 mit einer Arbeit über die Rolle des Reichstagspräsidenten im Weimarer Verfassungsrecht. Er ließ sich als Rechtsanwalt nieder und blieb gerade in der NS-Zeit sehr unauffällig. Leider gibt es so gut wie keine Hinweise auf sein Wirken zwischen 1933 und 1945, da seine Kanzlei bei einem Luftangriff komplett ausbrannte. Jedoch kann man davon ausgehen, dass er als Sohn einer der führenden Zentrumspolitiker seiner Heimatregion nicht besonders auffallen wollte. Gegen Ende des Krieges wurde er noch als Staatsanwalt zwangsverpflichtet. Jedoch tat er sich auch hier nicht als Freund des Regimes hervor.
Politisch aktiv nach 1945
Seine politische Passivität endete jedoch unmittelbar nach Kriegsende. Heinrich von Brentano arbeitete als Rechtsanwalt und Notar in Darmstadt. Schon im September 1945 gehörte er zu den Autoren der „Frankfurter Leitsätze“. Sie forderten eine christliche Gesellschaft, die ihren Frieden mit dem Sozialismus machen sollte. Er kam schnell mit der entstehenden Christlich-Demokratischen Union in Kontakt und stieg rasch in der Partei auf. In der anfangs weit links stehenden CDU Hessen gehörte von Brentano zum bürgerlichen Flügel. Jedoch konnte er auch mit den Mitgliedern des linken Flügels gut zusammenarbeiten. Im Laufe seiner weiteren Karriere näherte er sich aber immer weiter dem konservativen Flügel der Union an.
Brentano wurde Mitglied im Beratenden Landesausschuss und in dessen Nachfolgeinstitution, dem Verfassungsgebenden Landesausschuss. Hier bewährte er sich als Parlamentarier, der durch seine Kenntnisse im Verfassungsrecht großen Einfluss auf die Entstehung der hessischen Landesverfassung nehmen konnte. Als nach Vollendung der Verfassung weiterhin eine Große Koalition Hessen regierte, wäre er für ein Ministeramt in Frage gekommen. Stattdessen übernahm er den Vorsitz der CDU-Fraktion im Hessischen Landtag und bereitete sich auf neue Aufgaben vor.
Politischer Aufstieg außerhalb Hessens
Zu diesem Zeitpunkt ging das Interesse Brentanos schon über die Grenzen des Bundeslandes hinaus. Er wurde Vorsitzender des Verfassungsausschusses der Arbeitsgemeinschaft der CDU und CSU und wurde neben Erich Köhler, dem Vorsitzenden des Frankfurter Wirtschaftsparlamentes, vom Hessischen Landtag für die CDU in den Parlamentarischen Rat geschickt.
In Bonn zeigte Brentano seine Sachkenntnis und sein Gespür für Detailfragen und erlangte dabei die Anerkennung der eigenen Fraktion und des politischen Gegners. Zeitweise dürfte er außerhalb von Hessen sogar deutlich beliebter gewesen sein als in seinem Heimatbundesland: In der Frage des Regierungssitzes lief es am Ende auf die Wahl zwischen zwei Städten hinaus. Bonn wurde von Konrad Adenauer und den Unionsparteien favorisiert, während die Sozialdemokraten Frankfurt am Main bevorzugten, wo man sich sogar schon auf die Rolle als Regierungssitz vorbereitete. Aufgrund der sehr knappen Stimmverhältnisse war die Entscheidung der beiden hessischen Unionsabgeordneten entscheidend. Viele erwarteten von ihnen, dass sie für die Mainmetropole votieren würden. Adenauer wirkte aber auf Brentano ein, sodass letzterer gemeinsam mit Köhler für Bonn votierte. Somit wurde die Stadt am Rhein zum Regierungssitz gemacht.
Parlamentarier im Bundestag
Bei der Wahl zum ersten Bundestag wurde Brentano für den Wahlkreis Bergstraße direkt ins Parlament gewählt. Konrad Adenauer schätzte Brentano als Sachpolitiker und loyalen Gefolgsmann und setzte seine Wahl zum Fraktionsvorsitzenden durch. Gemeinhin wird Brentano auch als reiner Ausführungsgehilfe des Kanzlers gesehen. Das ist jedoch nur die halbe Wahrheit. In vielen Briefen machte Brentano dem Kanzler immer wieder deutlich, wenn er die Fraktion als Entscheidungsgremium übergangen sah. Den offenen Konflikt mit der Bundesregierung suchte er aber nur selten.
Das hatte auch damit zu tun, dass er immer mehr Gefallen an der Außenpolitik fand. So überließ er die Alltagsarbeit in der Fraktion immer mehr seinem Geschäftsführer Heinrich Krone und brachte sich für den Tag in Stellung, an dem Deutschland wieder einen eigenen Außenminister bekommen sollte. Deutschland hatte in den frühen 50ern nur eine sehr begrenzte außenpolitische Souveränität und Adenauer übernahm den Posten des Außenministers parallel zu seiner Arbeit als Bundeskanzler. Mit der Zeit nahm aber der Druck auf Adenauer zu, dieses zweite Amt abzugeben und einen eigenständigen Außenminister in das Kabinett zu berufen. Hier führte kein Weg an Heinrich von Brentano vorbei, den manche schon als den wahrscheinlichen Nachfolger des Kanzlers sahen.
Der 2. Teil des Beitrags erscheint am Montag, 8. Juni.
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