Am Samstag starb Lore Maria Peschel-Gutzeit. Zu ihren Ehren veröffentlichen wir diesen Blogbeitrag von 2020 erneut.
„Frau H.“ so nennt Lore Maria Peschel-Gutzeit jene Frau in ihrer Autobiographie „Selbstverständlich gleichberechtigt“. Wie sie selbst ist Frau H. Mitte der 1960er Jahre Richterin am Hamburger Landgericht. Eine gute und angesehene Richterin, betont Peschel-Gutzeit. Eine Tages kam die Kollegin auf sie zu: „Frau Peschel, ich verabschiede mich, von nun an werde ich zu Hause bei den Kindern sein.“ Erst kürzlich hatte die Kollegin ihr drittes Kind bekommen. Auf Grund einer Behinderung brauchte es viel Zuwendung. So viel Aufwand für Kinder war jedoch für Richterinnen nicht vorgesehen. Peschel-Gutzeit, selbst bereits Mutter, leuchtete der Wunsch ein, für das Kind da zu sein. Eine Frage aber blieb: Warum gibt die Kollegin ihren Beruf gleich ganz auf?
Hergebrachte Grundsätze des Berufsbeamtentums
Zu den sogenannten hergebrachten Grundsätzen gehörte, dass Beamte hauptberuflich und auf Lebenszeit beschäftigt sind. Kurzum: bekamen Beamtinnen, Richterinnen oder andere Beschäftigte im öffentlichen Dienst Kinder, konnten sie damals keine Beurlaubung beantragen. Auch Teilzeit kam nicht in Frage. Es entsprach nicht den „hergebrachten Grundsätzen des Berufsbeamtentums“. Beamtinnen, die sich um ihre Kinder kümmern wollten, mussten gehen – für immer. Sie hatten keine andere Wahl. Rückkehr war nicht vorgesehen. Auch die Hamburger Richterin Frau H. musste um Entlassung aus dem Staatsdient bitten. Damit stand sie beruflich vor dem Aus.
Der Kampf beginnt
Lore Maria Peschel-Gutzeit war außer sich. Wie konnte es sein, dass der Staat seine menschlichen Ressourcen derart verschwendete? Und sie beschloss, das zu ändern. Die damals Anfang Dreißigjährige nahm den Kampf auf. Sie suchte Mitstreiterinnen, hielt Vorträge und setzte sich mit Kolleginnen zusammen. Innerhalb des Deutschen Juristinnenbundes gründete sie eine Kommission zum Beamtenrecht. Gemeinsam analysierten sie die Lage und suchten nach Auswegen. Das Ziel war die Vereinbarkeit von Staatsdienst und Kinderbetreuung. Im Klartext bedeutet das eine gesetzlich garantierte Möglichkeit der Teilzeitarbeit und des Familienurlaubes für Beamtinnen und andere Beschäftigte im öffentlichen Dienst. Sie stieß auf Widerstand – vor allem von männlichen Kollegen.
„Lex Peschel“
Die junge Richterin ließ sich nicht beirren. Sie erarbeitete einen Gesetzestext. Im Bundestag fand sie Verbündete. Frauen aller Fraktionen (damals CDU/CSU, SPD und FDP) unterstützten die Initiative. Ein fraktionsübergreifender Gruppenantrag aus der „Mitte des Hauses“ wurde im Bundestag eingebracht und 1968 beschlossen. 1969 und 1970 führten nach und nach alle Bundesländer die Teilzeitarbeit sowie den Familienurlaub für Beamtinnen und Richterinnen ein. Und auch Frau H. kehrte später in den Richterberuf zurück.
Das Gesetz § 92 des Bundesbeamtengesetzes, das Lore Maria Peschel-Gutzeit damals durchsetzte, heißt deshalb unter Kollegen „Lex Peschel“. Sie selbst hat es nie in Anspruch genommen, obwohl sie drei Kinder hat.
Lore Maria Peschel-Gutzeit – Rechtsanwältin, Richterin, Rechtswissenschaftlerin und Politikerin
Geboren wurde Lore Maria Peschel-Gutzeit 1932 in Hamburg. Als sie 1951 mit dem Jurastudium beginnt, war das eine ungewöhnlich Entscheidung für eine junge Frau. Aber sie hatte ihre Gründe. Denn mit dem Zusammenbruch des Nationalsozialismus wird ihr vor Augen geführt, in was für einen Regime sie aufgewachsen ist. Sie erfährt, wie die Bevölkerung getäuscht wurde. So eine Täuschung will sie nicht noch einmal mitmachen. Sie beschließt für sich, sie will es genau wissen: Wie kann ich eine Staatsverfassung nachprüfen? Wie kann ich Gesetze prüfen? Nur indem man lernt, mit der Rechtswissenschaft und der Juristerei umzugehen.
Persönlich hat Peschel-Gutzeit vieles erreicht, was für Frauen ihrer Generation eigentlich unerreichbar schien. In den Fünfzigern arbeitete sie in einer der ersten von Frauen geführten Kanzleien Deutschlands. Später wurde sie – damals noch eine kleine Sensation – Richterin in Hamburg. In den siebziger Jahren war sie Vorsitzende des Deutschen Juristinnenbundes. Der großen Öffentlichkeit wurde Peschel-Gutzeit 1991 bekannt als Justizsenatorin in Hamburg, dann in Berlin und später noch einmal in Hamburg. Heute arbeitet sie als Rechtsanwältin in Berlin.
Auch während ihrer Tätigkeit als Justizsenatorin legte Peschel-Gutzeit ihren Schwerpunkt auf die rechtliche Durchsetzung der im Grundgesetz verankerten Gleichberechtigung von Mann und Frau.
Frauen schaffen, was Männer schaffen – die Erfahrung der Zeit
„Ich komme aus einer Familie, die bereits emanzipiert war, als man das Wort noch gar nicht aussprach.“
Interview Lore Maria Peschel-Gutzeit, SWR2, 9.2.2019
Ihre Großmutter leitete jährlich über mehrere Monate die Fabrik, wenn ihr Mann in Übersee war. Auch ihre Mutter und ihre Tante machten Abitur und studierten. Zur damaligen Zeit war das nicht üblich. Peschel-Gutzeits Feminismus ist geprägt von Pflicht und Leistung der Kriegsjahre. Während ihr Vater an der Front war, halfen ihre Mutter, sie und ihre Schwester sich selbst. Der Hunger und die Kälte trieben sie. Von Kohle von fahrenden Zügen stehlen bis zu Steineklopfen nach dem Krieg im zerstörten Hamburg für Lebensmittelkarten.
Die Frauen, die Peschel-Gutzeit beeindruckten, waren Abenteurerinnen. Es waren Frauen wie die Pilotin Elly Beinhorn mit ihren Afrikaflügen in den dreißiger Jahren, oder die Automobilpionierin Bertha Benz. Sie selbst ist in den siebziger Jahren Rallyes gefahren. Zweimal gewann sie.
„Lex Peschel“ damals eine Errungenschaft für Frauen, heute ein ganzer Sieg für die Familie
Bis heute hat die „Lex Peschel“ eine besondere Bedeutung. Denn erst nach ihrer Einführung konnten zum Beispiel auch Lehrerinnen in Familienurlaub oder Teilzeit gehen. Heute eine kaum zu erwähnende Normalität. Später wurde das Gesetz erweitert und ermöglicht heute auch männlichen Beamten das Recht auf Teilzeitarbeit und Familienurlaub. Ebenfalls in Folge des „Lex Peschel“ kam der Anspruch auf Teilzeitarbeit für alle Angestellten, auch in Wirtschaftsunternehmen. Und selbst der gesetzlich gewährte Erziehungsurlaub bzw. die Elternzeit, die das Gesetz jedem Elternteil in Deutschland ermöglicht, steht in Zusammenhang mit der „Lex Peschel“.
Wer noch mehr über Lore Maria Gutzeit-Peschels Leben und ihre Gedanken zur aktuellen Politik wissen möchte, dem sei empfohlen: „So was macht man mit einem Mann nicht“, ein ausführliches Interview mit Lore Maria Peschel-Gutzeit in der Deutschlandfunk-Sendereihe Zeitzeugen im Gespräch vom 27. Februar 2020.
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