Schon seit Anfang der 1980er Jahre trafen sich Leipziger in der zentral gelegenen Nikolaikirche montagabends zum Friedensgebet. Grund war unter anderem das Wettrüsten in Ost und West. Ab 1986 waren auch oppositionelle Gruppen an der Koordination der Gebete beteiligt.
An diesem Montag, dem 4. September 1989, wird etwas anders sein. Es ist der erste Montag nach den Sommerferien in der DDR. Im Sommer hatten tausende Menschen versucht, über Prag und Ungarn die DDR zu verlassen. Die Stimmung in der DDR wird von Tag zu Tag angespannter.
Am 4. September 1989: Vom Gebet zur Demo
Auch in der Nikolaikirche stehen an diesem Abend viele unter dem Eindruck der Massenflucht. Da rufen zwei Leipziger Bürgerrechtlerinnen, die damals 20jährige Katrin Hattenhauer und die 24jährige Gesine Oltmanns, nach dem Friedensgebet zu einer Demonstration auf. Der traditionelle Termin des Friedensgebetes, montags 17.00 Uhr, erweist sich als geschickt. Zum einen können die Menschen nach der Arbeit daran teilnehmen. Zum anderen sind die Geschäfte noch geöffnet, so dass die Teilnehmenden nicht sofort Aufsehen erregen.
Im Anschluss an das Friedensgebt in der Nikolaikirche verteilen Katrin Hattenhauer und Gesine Oltmanns Plakate an alle, die mitdemonstrieren wollen. Vor der Kirche entrollen Sie ihre Plakate: „Für ein offenes Land mit freien Menschen“und „Freiheit!“. Gemeinsam mit 50 anderen Aktivisten und über 200 Ausreisewilligen demonstrieren sie an diesem Abend erstmals vor der Nikolaikirche. Solange, bis Mitarbeiter der Staatssicherheit ihre Transparente herunterreißen. Festgenommen wird an diesem Abend glücklicherweise niemand. Grund dafür sind Westdeutsche Journalisten, die eigentlich wegen der Messe in Leipzig sind. Sie filmen die Demonstration und berichten darüber.
Die Montagsdemonstration geht weiter
Schon in der kommenden Woche wird im Anschluss an das Friedensgebet wieder demonstriert. Nun ohne Aufmerksamkeit der Westpresse. Von Woche zu Woche werden es mehr Teilnehmende. Ende September sind es 8.000 Menschen. Am 9. Oktober 70.000.
Doch bereits am 11. September 1989 schlagen Polizei und Stasi hart zu. Vor allem junge Menschen gehen nach dem Friedensgebet auf die Straße. Katrin Hattenhauer wird neben anderen Demonstranten auf dem Nikolaikirchhof gezielt verhaftet und bis zum 13. Oktober 1989 in der Stasi-Untersuchungshaftanstalt festgesetzt. Gesine Oltmanns hingegen hat Glück. Sie wird nicht verhaftet. Später erinnert sie sich: „Absolut hoffnungsvoll war ich am 18. September. Die Polizeiketten zogen sich zum ersten Mal vom Nikolaikirchhof zurück, Hunderte sangen die Internationale. Mir läuft es heute noch kalt über den Rücken.“
Bis zum November 1989 kam es in Leipzig jeden Montag zu immer größeren Demonstrationen und weiteren Verhaftungen. Immer mehr Menschen in der DDR schlossen sich mit Fürbittgottesdiensten, Mahnwachen und Montagsdemonstrationen den Protesten an. Somit entstanden in vielen großen und kleinen Orten in der DDR Kristallisationspunkte für Proteste. Die demokratische Revolution gewann dadurch an Tempo.
„Montagsdemonstration“. Das Markenzeichen der Friedlichen Revolution
Menschen führen ohne Gewalt das Ende eines Regimes herbei! Diese Tatsache stieß weltweit auf Aufmerksamkeit. Heute wird die Revolution, die das Ende der DDR 1989 bedeutete, als Beispiel für einen gelungenen Umbruch betrachtet. Wesentlicher Bestandteil dieser Revolution waren die Montagsdemonstrationen in vielen Städten der DDR. Sie gelten als Markenzeichen der Friedlichen Revolution.
Auch nach dem Fall der Berliner Mauer am 9. November 1989 gingen die Menschen in der DDR weiter auf die Straße. Neben der Forderung nach demokratischem Wandel stand nun auch der Wunsch nach einer Wiedervereinigung auf den Plakaten. Bis in den März 1990 setzten die Menschen die montäglichen Protestmärsche fort.
Der Begriff „Montagsdemonstration“ geht in den politischen Wortschatz ein
Und auch nach der Wiedervereinigung 1990 war nicht Schluss mit den Montagsdemonstrationen. In den letzten 30 Jahren tauchte der Begriff immer wieder auf. Vor allem dann, wenn regelmäßig Demonstrationen durgeführt werden, um ein konkretes politisches Ziel zu erreichen. Und zwar montags.
So gingen beispielsweise 2004 tausende Menschen in der Bundesrepublik in Montagsdemonstrationen gegen den Sozialabbau auf die Straße; auch als Hartz-IV-Demos bekannt. Seit 2010 wird in Stuttgart regelmäßig in Montagsdemonstrationen gegen das Stuttgarter Bahnhofsprojekt „Stuttgart 21“ protestiert. In Frankfurt am Main startete 2012 das Bürgerbündnis „Initiative gegen Fluglärm Mainz“ montägliche Demonstrationen am Flughafen, die bis heute anhalten. In den letzten Jahren wurde der Begriff Montagdemonstration allerdings auch für fremdenfeindliche Ziele vereinnahmt. So übernahm beispielsweise die Dresdner Pegida 2014 den Begriff zunächst für sogenannte Montagsmahnwachen. Später liefen bundesweite Demos verschiedener Pegida-Gruppen unter anderem gegen die sognannte Islamisierung des Abendlandes unter dem Begriff Montagsdemonstrationen.
3 Kommentare
Stefan Querl
4. September 2019 - 22:01Stets, wenn ich als Sachsen-Besucher auf dem Nikolaikirchhof am Brunnen stehe, der symbolträchtig überläuft, wenn ich in die Kirche gehe oder den Ring entlang zur Runden Ecke laufe, bin ich erneut beeindruckt von der friedfertigen Kraft, die damals die Proteste von Leipzig, aber auch Plauen und anderenorts entfalteten. Was hatten wir tief im Westen Angst vor der blutigen „Chinesischen Lösung“ des DDR-Regimes: Erst im Juni 1989 hatte es schließlich das Massaker auf dem „Platz des Himmlischen Friedens“ gegeben. Dass sich das Blatt anders und zum Guten wendete, halte ich für ein geschichtliches Gottesgeschenk im menschlichen Handeln des Herbstes 1989: Ausgerechnet Deutsche, die fähig sind zu einer Friedlichen Revolution. Alle Achtung!
SEITEN:BLICK
5. September 2019 - 13:54Ja, zurückblicken und den Mut, die Kraft und die Besonnenheit der Menschen würdigen. Dazu haben wir allen Grund.
In der Gegenwart schaue ich auch nach Hongkong. Die Demonstrierenden dort sehen sich in einer engen Verbindung mit den Montagsdemonstrationen in der DDR. In seinem offenen Brief an Kanzlerin Merkel vom Dienstag schreibt Joshua Wong: „Die Deutschen haben im Kampf gegen den Autoritarismus während der 80er-Jahre mutig an vorderster Front gestanden. Wie die gewaltfreien Demonstranten der Montags-Demos bringen wir unser Anliegen in die breite Öffentlichkeit und plädieren für demokratische Prinzipien.“
Hoffen wir auf einen friedlichen Ausgang auch in Hongkong.
Rene Tschierswitz
3. Juli 2020 - 22:31Wann werden die Leute endlich mal verstehen..und es auch endlich mal richtig darstellen…Leipzig war nicht der 1 Ort für die friedliche Revolution… Es ist Plauen gewesen…und nicht Leipzig..In Plauen haben vorher Schon Montags Demos..und nicht in Leipzig..also hört auf überall zu erzählen und zu schreiben..das alles von Leipzig aus gegangen ist..