Demokratiegeschichten

Wir sind das Volk!

Noch 4 Tage bis zur Landtagswahl in Sachsen, Thüringen und Brandenburg. Der Wahlkampf tobt. Fährt man durch Brandburg, ist die Wahlkampfparole der AfD „Hol dir dein Land zurück – Vollende die Wende“ kaum übersehbar. Unter anderem geht die AfD mit einem Slogan an den Start, der ursprünglich als Ruf der Friedlichen Revolution von 1989 in die Geschichtsbücher einging: „Wir sind das Volk!“. Es war der Kampf der Menschen für Demokratie, Freiheit und Offenheit.

Wahlplakat der AfD zur Landtagswahl in Brandenburg 2019. Foto: privat

Nun stehen wir vor der Tatsache, dass der Begriff „Wir sind das Volk!“ von der AfD für mehr oder weniger gegenläufige Forderungen benutzt wird. In einer offenen Erklärung haben darum ostdeutsche Prominente und frühere DDR-Bürgerrechtler der AfD vorgeworfen, die Friedliche Revolution von 1989 für Wahlkampfzwecke zu mißbrauchen. Was genau steckt hinter diesem Slogan?

Woher kommt der Spruch „Wir sind das Volk“ eigentlich?

In Georg Büchners Revolutionsdrama „Dantons Tod“ von 1835 ruft erstmals ein Bürger „Wir sind das Volk“. Ferdinand Freiligrath schrieb 1848 sein Gedicht „Trotz alledem“. In der letzten Strophe des Gedichtes ertönt ebenfalls der Ruf „Wir sind das Volk“. Einen deutschen Nationalstaat und eine demokartische Verfassung gab es zu jener Zeit noch nicht. Wirklich populär wurde die Parole dann durch die Leipziger Montagsdemonstrationen 1989. Und durch die Friedliche Revolution, die 1989 zum Ende der DDR führte.

Was meinten die Menschen 1989 mit „Wir sind das Volk!“

„Wir sind das Volk“ aus dem letzten Briefmarkenjahrgang der DDR (Ausgabetag: 28. Februar 1990). Foto: Wikipedia gemeinfrei

Als die Menschen in der DDR 1989 auf die Straße gingen, lebten sie in einer Diktatur. Das heißt, sie hatten kaum bis gar keine Möglichkeiten mitzubestimmen. Darum forderten sie freie Wahlen. Sie wollten endlich ihre Meinung frei sagen können, ohne dafür ins Gefängnis zu kommen. Sie kämpften dafür, in andere Länder reisen zu dürfen. Sie forderten die Öffnung der Mauer und Weltoffenheit. Sie wollten mit Menschen befreundet sein, die sie sich selber aussuchen. Nicht die der Staat ihnen vorschreibt. Sie forderten eine Freiheit im geistigen und im praktischen Sinne. Für die Menschen in der DDR bedeutete „Volk“, den Staat mit allen Bürgerrechten, demokratisch und in Freiheit mitgestalten zu dürfen. Dafür gingen die Menschen vor dreißig Jahren auf die Straße und riefen „Wir sind das Volk!“. Und sie riskierten viel.

Was meint die AfD heute mit diesem Slogan?

Heute, 30 Jahre später, leben wir in einer Demokratie und in Freiheit. Jede und jeder hat das Recht mitzubestimmen und den Staat mitzugestalten. Jeder darf seine Meinung offen äußern und muss nichts befürchten. Aber was meint die AfD dann mit „Wir sind das Volk!“? Es geht um Abschottung und zwar in vielerlei Hinsicht. Nicht nur Abschottung gegenüber Geflüchteten aus der ganzen Welt, sondern auch gegen geistige Vielfalt. Denn „Volk“ wird von der AfD als eine national eingegrenzte Masse verstanden. Dazu zählen vornehmlich Deutsche. Letztendlich geht es auch gegen die Menschlichkeit. Denn Politiker der AfD sprechen nicht nur davon, die Grenzen wieder zu schließen. Einige AfD-Politiker forderten bereits, dass auf Geflüchtete an der Grenze geschossen werden darf. Auf Nachfrage: Auch auf Frauen und Kinder.

Kurzum: Die AfD ruft heute zum Gegenteil dessen auf, wofür die Menschen 1989 auf die Straße gegangen sind. In der Diktatur haben die Menschen für demokratische Reformen Leib und Leben riskiert. Heut in der freiheitlichen Demokratie riskiert die AfD mit ihren Forderungen nichts. Die Mitglieder sind weder Widerständler noch Opfer in der Bundesrepublik. Vielmehr ist die AfD demokratisch gewählt in den Parlamenten vertreten. Sie nutzt das Recht sich fei äußern zu dürfen. Und dieses Recht wird sogar durch den Staat geschützt.

P.S.: Fraglich bleibt, welche Wende vollendet werden soll? Und welches Land sich die Menschen zurückholen sollen, wenn es Ihnen doch schon längst gehört?

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arbeitet bei Gegen Vergessen - Für Demokratie e.V. Der Begriff SEITEN:BLICK steht für die Blicke, die wir links, rechts und hinter "die Dinge" werfen wollen.

3 Kommentare

  1. janusch

    30. Juli 2020 - 23:13
    Antworten

    In den letzten 5-6 Jahren wurde der Spruch auch schon von der Pegida usw. „missbraucht“ (würde ich sagen). Jedenfalls steht es bei Wikipedia, dass der Spruch dort verwendet wurde. Ob es stimmt, kann ich nicht beurteilen, klingt aber glaubhaft.

    Seit neuestem wird der Spruch bei Anti Corona Demos verwendet, und da hat er meiner Meinung nach wieder eine Berechtigung, weil die Demokratie langsam zur Diktatur wird, und die Meinungsfreiheit ignoriert wird. Es zählt nur noch, was die staatlich beeinflusste Presse schreibt.

    • SEITEN:BLICK

      31. Juli 2020 - 14:30
      Antworten

      Vielen Dank für Ihren Beitrag und den Hinweise auf den Gebrauch des Spruches in rechtspopulistischen Kontexten.
      Darüber hinaus lese in Ihren Zeilen Zweifel an der Demokratie.

      Gerade im Hinblick auf den Umgang mit der weltweiten Corona-Pandemie bin ich wiederum froh und dankbar, in einer Demokratie leben zu dürfen, die für mich auch nach wie vor den Namen verdient. Darüber habe ich auf diesem Blog im April einen Beitrag geschrieben. Vielleicht haben Sie Lust, ihn zu lesen: Macht und Krisen. Krisen in Demokratie und Diktatur

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