Blockbuster, Dokumentationen, Sachbücher, Biographien: In so mancher Form des Films oder des Buchs wird den Beteiligten am Widerstand des 20. Juli gedacht. Anlässlich des 75. Jahrestags des Attentats fügte der be.bra Verlag dieser Liste einen weiteren Beitrag hinzu. Ende Juni erschien dort die Graphic Novel „20 Juli 1944 – Biographie eines Tages“ von Niels Schröder.
Das Format Graphic Novel/Abgrenzung zum Comic
Der Begriff Graphic Novel stammt aus dem Amerikanischen, ein deutsches Pendant hat sich bisher nicht durchgesetzt. Am ehesten träfen die Bezeichnungen Grafik-Novelle oder Grafischer Roman zu. Auch eine strenge Definition der Graphic Novel fehlt, die Bezeichnung wird vor allem benutzt, um sie von anderen Comics, insbesondere Comicheften und -alben abzugrenzen.
Was die Graphic Novel vom Comic unterscheidet, ist die Komplexität der Erzählung. Graphic Novels haben einen höheren Anspruch an ihre Leserschaft und thematisieren oft ernste Themen. Ein bekanntes Beispiel hierfür ist „Maus – Die Geschichte eines Überlebenden“, dass 1992 als erste Graphic Novel mit dem Pulitzer-Preis ausgezeichnet wurde. Der Autor Art Spiegelmann erzählt in Maus wie seine Eltern, polnische Juden, den Holocaust und Auschwitz überlebten. Wahrlich keine leichte Lektüre.
Aus diesem Grund gehören Kinder nicht zur unmittelbaren Zielgruppe, was natürlich nicht bedeutet, dass sie kein Interesse an den Erzählungen haben können. Schließlich gibt es auch andersrum genug Erwachsene, die gerne Comics für vermeintlich Jüngere lesen. Und natürlich gibt es auch Graphic Novels, die weniger ernst sind oder in Fantasiewelten spielen. Doch um sie geht es in diesem Artikel nicht.
Aufbau der Geschichte
Wovon also handelt „20. Juli 1944 – Biographie eines Tages“? Im Prinzip ist der Titel selbsterklärend, im Zentrum der Handlung stehen die Geschehnisse und Akteur*innen des 20. Juli. In sieben Kapiteln führt Schröder durch den Tag: Nachts, morgens, vormittags, mittags, nachmittags, abends und nochmal nachts. Eingebettet sind diese Kapitel in einen Prolog und einen Epilog; in ersterem werden zentrale Figuren eingeführt, in letzterem das Schicksal der Verschwörer*innen nach dem 20. Juli erzählt.
Angesichts des Covers könnte man denken, dass die Handlung wesentlich von Claus Schenk Graf von Stauffenberg getragen wird. Für Teile der Geschichte stimmt dies auch, schließlich führte Stauffenberg das Attentat in der Wolfschanze durch und war nach seiner Rückkehr nach Berlin wesentlich an den Ereignissen, die im Bendlerblock geschahen oder von diesem ausgingen, beteiligt.
Tatsächlich tut die Graphic Novel mehr, als Stauffenberg zu folgen. Sie verdichtet die Ereignisse eines Tages und springt zwischen den Akteur*innen und Handlungsorten hin und her.
Was ist der Lernwert?
Hinter dem 20. Juli standen nicht nur ein paar Offiziere, sondern eine Vielzahl von Personen. Sie alle waren in die Vorbereitung des Attentats einbezogen und riskierten ihr Leben: Während die eine Befehle für die Operation Walküre abtippte, besorgte ein anderer Sprengstoff für die Bombe. Gemessen an der Vielzahl von Personen, die am 20. Juli beteiligt waren, ist die Anzahl der vorgestellten Personen zwar gering. Doch obwohl in „20. Juli 1944“ reduziert wird, schafft Niels Schröder es, einige Streiflichter auf Geschehnisse abseits der Wolfschanze und des Bendlerblocks zu lenken. So schafft er Platz für weitere Geschichten und Schicksale sowie Raum zum eigenen Nach- und Weiterdenken.
Die andere Stärke der Graphic Novel besteht in der Darstellung der vielfältigen Motive der Widerstandskämpfer*innen. Manche handelten, weil sie ein Nichts-Tun nicht länger mit ihrem Gewissen vereinbaren konnten. Überzeugte Christ*innen, Humanist*innen, Antifaschist*innen und Demokrat*innen fanden sich im Widerstand um dem 20. Juli.
Aber zum Widerstand zählten auch jene, die vielleicht weniger aus ideellen und vielmehr aus praktischen Gründen handelten. Beispielsweise, weil sie absehen konnten, dass der Krieg längst verloren und weitere Opfer sinnlos waren. Vereint waren beide Gruppen in dem Wissen, dass das Attentat misslingen könnte. Zweifel war vielleicht der größte Hemmfaktor im Handeln der Widerständigen. Doch setzte sich letztlich die Überzeugung, das Notwendige und Richtige zu tun, bei den meisten Verschwörer*innen durch.
Doch auch eine Reihe von Unentschlossenen, die sich weder zur Unterstützung noch zum Verrat des Widerstands durchringen konnten, lernen wir kennen: Zum Beispiel an höchster Stelle im Bendler-Block etwa Generaloberst Friedrich Fromm, der im direkten Umfeld von Stauffenberg – dieser war sein Stabschef – und anderen Mitverschwörer*innen agierte und wahrscheinlich von ihren Plänen wusste.
Dass auch die überzeugten Nationalsozialist*innen, Keitel, Remer und andere ihren Platz in der Geschichte erhalten, komplettiert die Perspektivenvielfalt und liefert einen Kontrapunkt zur Sicht der Widerstandskämpfer*innen.
Wer sollte „20 Juli 1944“ lesen?
Definitiv Liebhaber*innen von Graphic Novels und Comics, insbesondere diejenigen, die Werke mit historischem Plot mögen. Aber auch Kenner*innen des Widerstands erfahren beim Lesen Neues. Es finden sich hier einige schöne Details, die weniger bekannt sind. Man merkt, dass Schröder die historische Recherche ernst genommen hat. Beraten haben u. a. zwei Mitarbeiterinnen der Gedenkstätte Deutscher Widerstand.
Schröder wollte mit der Graphic Novel auch „neue bildhafte Räume, neue Assoziationsmöglichkeiten und somit einen emotionalen Umgang zum Thema“ schaffen. Ob dies aufgeht und die Graphic Novel auch Personen ansprechen wird, die mit dem Widerstand um den 20. Juli nicht vertraut sind, bleibt abzuwarten. Als Einstiegslektüre ins Thema oder für Comic-Neulinge ist sie meinem Empfinden nach durchaus geeignet. Und über die Einbindung neuer visueller Reize in den Geschichtsunterricht nachzudenken, schadet gewiss auch nicht.
Information zum Buch:
Niels Schröder
20. Juli 1944 – Biographie eines Tages
144 Seiten, 17 x 24 cm, 18€
ISBN 978-3-89809-159-6
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