Gay Pride, auch LGBT-Pride, Pride-Month oder einfach nur Pride. Jedes Jahr im Juni organisiert die LGBTIQ-Community weltweit Aktionen, die Millionen Besucher*innen anziehen. Dabei geht es u. a. darum, sichtbar zu werden und selbstbewusst dazu zu stehen, wer man ist. (Daher auch der Name Pride…) Aber auch die Erinnerung daran, wie Mitglieder der Community für ihre Rechte kämpften – und dies weiter tun – ist fester Teil der Aktionen. Insbesondere, da sich dieses Jahr ein wichtiges Ereignis zum 55. mal jährt, das mittlerweile schon zur Legende geworden ist: Stonewall.
Stonewall, im englischen auch Stonewall-riot, was so viel wie Aufruhr, Unruhe oder Aufstand bedeutet, leitet sich vom Stonewall Inn ab. Denn in dieser Bar in der Christopher Street in Greenwhich City, Manhatten, New York City, nahm der Kampf für Gleichberechtigung der Community eine wichtige Wende. In der Nacht vom 27. auf den 28. Juni 1969 wehrte sich dort eine Gruppe homo- und transsexueller Menschen gewaltsam gegen eine Polizeirazzia.
Hintergründe
Zwar waren „Schwulenbars“ Ende der 1960er Jahre in den USA nicht länger verboten. Doch wurden ihre Besitzer*innen und vor allem ihr Klientel weiter diskriminiert. Tatsächlich galt Homosexualität laut dem Diagnostic and Statistical Manual of Mental Disorders als psychische Erkrankung, und das noch bis 1974. So konnte z. B. allein das Küssen von Personen des gleichen Geschlechts zur Verhaftung wegen Erregung öffentlichen Ärgernisses führen.
Da sie ihre Identität nicht in der Öffentlichkeit zeigen konnten, zogen sich viele Homo- und Transsexuelle an geschlossene Orte zurück. Doch auch in Bars, die Menschen der queeren Szene vorbehalten waren, waren sie vor Anfeindungen nicht sicher. Immer wieder kam es in den 1960er Jahren zu Razzien durch die Polizei. Dabei wurden Personalien festgestellt und Personen verhaftet, die sich nicht ausweisen konnten oder die „falsche“ Kleidung trugen. Ein Bekleidungsgesetz sah vor, dass Personen mindestens drei ihrem zugewiesenen Geschlecht passende Kleidungsstücke tragen mussten. Andernfalls konnten sie sofort verhaftet werden. Personen, die deshalb besonders oft verhaftet wurden, waren etwa Transgender, Dragqueens, aber auch Butches, maskulin gekleidete Frauen.
Beides, Verhaftung sowie Aufnahme der Personalien, konnte weitreichende Konsequenzen für die Betroffenen haben. Insbesondere, wenn die Namen der Gäste am nächsten Tag in der Zeitung erschienen, was mitunter vorkam. Ungefähr einmal im Monat mussten Bars mit einer Polizeirazzia rechnen.
Das Stonewall Inn und seine Kundschaft
Warum die Polizei ausgerechnet am 28. Juni eine Razzia im Stonewall Inn durchführte, lässt sich nicht mehr genau sagen. Im Zuge der anstehenden Bürgermeisterwahlen fanden mehr Razzien als üblich statt. Wahrscheinlich wollte einer der Kandidaten durch das „Schaffen von Ordnung“ in seinem Bezirk Werbung für sich machen.
Klar ist jedoch, dass es eine ganze Reihe von Gründen gab, warum ausgerechnet diese Bar im Visier der Polizei stand: Zum einen befand sie sich im Besitz der Mafia, was für eine Bar mit queerem Klientel nicht ungewöhnlich war. Den Mafiosi war es möglich, Polizeibeamte zu bestechen und so Sicherheit für sich und die Gäste der Bar zu erkaufen. Beispielsweise erfuhren die Besitzer des Stonewall Inn durch Kontakte der Polizei normalerweise schon vorher, dass eine Razzia stattfinden würde.
Entsprechend fanden in der Bar auch illegale Transaktionen statt, unter anderem Drogendeals. Möglicherweise kamen hier auch Sexarbeiter und ihre Freier zusammen. Völlig unhaltbar ist die These, die Polizei habe im Stonewall Inn nach jungen Männern gesucht, die Klienten der Wallstreet erpressten, daher auch nicht.
Ausschlaggebend war auch das Klientel: Latina und Schwarze Dragqueens, männliche Prostituierte, obdachlose Jugendliche, vereinzelt lesbische Frauen. Viele dieser Gruppen wurden mehrfach diskriminiert, beispielsweise die Dragqueens, weil sie nicht-weiß waren und sich zudem als Frauen präsentierten. Bekannte Personen, die sich an den Stonewall Riots beteiligten, waren etwa die Drag Queens und LGBT-Aktivist*innen Sylvia Rivera und Marsha P. Johnson. Beide sollten wichtige Rollen in der sich formierenden LGBT-Bewegung einnehmen.
Die Polizeirazzia
Zwar waren Razzien an sich nichts Außergewöhnliches, aber der Zeitpunkt der Razzia am 28. Juni war es sehr wohl.
Am Tag zuvor war die Schauspielerin Judy Garland, eine Ikone vieler Homosexueller, beerdigt worden. Ob die Kundschaft im Stonewall deshalb besonders aufgewühlt war, bleibt jedoch umstritten. Ungewöhnlich war der tatsächliche Zeitpunkt der Razzia, nämlich um 1.20h morgens. Normalerweise erfolgten die Razzien früher und die Besitzer wurden vorgewarnt, sodass sie Alkohol in Sicherheit bringen und Gäste warnen konnten. Dies war am 27. Juni nicht geschehen, Besitzer und Gäste waren unvorbereitet und überrascht.
Nachdem die acht Beamten, vier in Uniform und vier in Zivil, die Bar betraten, blockierten sie die Ausgänge und begannen mit der Personenkontrolle. Doch statt sich zu identifizieren, verweigerten einige Gäste die Aussage über ihre Personalien. Andere weiblich gekleidete Personen, allen voran die Transsexuellen und Dragqueens, ließen sich nicht wie sonst ohne Gegenwehr abführen. Daraufhin beschloss die Polizei, einige der Gäste sofort festzunehmen und mit aufs nächste Polizeirevier festzunehmen.
Beginn des Aufstands
Was oder wer genau letztlich den Aufstand auslöste, ist unklar. Viele der Beteiligten gaben später an, entscheidend für den Ausbruch von Gewalt sei eine Butch gewesen, die sich dagegen wehrte, in einen Polizeiwagen gesperrt zu werden. Einige meinen, bei der Frau handelte es sich um Stormé DeLarverie gewesen, die Karriere als Sängerin und Drag King machte, aber auch als Türsteherin und Bodyguard arbeitete.
Vor der Bar hatte sich bereits eine Menschenmenge versammelt, die Mehrheit von ihnen war homosexuell und/oder queer. Darunter waren etwa Gäste aus umliegenden Bars, aber auch von der Polizei aus dem Stonewall Inn geworfene Gäste und eine Gruppe obdachloser Jugendlicher, die im nahe gelegenen Park campierten. Diese Versammlung, überwiegend Menschen, die eh schon schlechte Erfahrungen mit der Polizei hatten, soll DeLarverie zur Gegenwehr aufgerufen haben:
„Why don’t you guys do something?“
Die Stimmung kippt
Als dann noch das Gerücht aufkam, die Polizei würde Gäste in der Bar misshandeln, war es mit passivem Zuschauen endgültig vorbei. Hatten die Schaulustigen zuvor „nur“ abgewartet und die Polizei ausgelacht oder beleidigt, fingen sie nun an, Dinge auf die Beamten zu werfen. Münzen, Flaschen, Steine von einer nahen Baustelle flogen der Polizei entgegen. Es kam zu einer Schlägerei, in der weder Polizei noch die Gegenseite Rücksicht nahm. Polizeiwagen, die zur Verstärkung erschienen waren, kehrten bald wieder um. Die übrigen Polizist*innen verbarrikadierten sich mit ein paar Personen, die sie wahllos aus der Menge griffen, im Stonewall Inn. Ein Teil der Menge versuchte schließlich, dieses in Brand zu setzen.
Dave van Ronk, Mentor von Bob Dylan und unter den Verhafteten dieser Nacht, erinnerte sich später so an die Stimmung:
„All kinds of people, all different reasons, but mostly it was total outrage, anger, sorrow, everything combined, and everything just kind of ran its course. It was the police who were doing most of the destruction. We were really trying to get back in and break free. And we felt that we had freedom at last, or freedom to at least show that we demanded freedom.“
Bis ungefähr 4 Uhr morgens hielt die Schlägerei an, erst dann verlief sich die Menge. Als Resultat der Nacht waren 4 Polizisten verletzt, mindestens 2 Protestierende schwer verletzt und 13 Personen verhaftet worden. Diese erste Nacht beim Stonewall Inn war allerdings nur der Auslöser einer größeren Bewegung.
Wie ging es weiter?
Schon am nächsten Tag versammelten sich Protestierende erneut vor der Bar, wieder kam es zu Schlägereien mit der Polizei. Diese Unruhen hielten die folgenden Tage an, immer mehr Menschen versammelten sich in der Christopher Street. Daran, sich zu verstecken, dachte von den Teilnehmenden keiner mehr.
Doch der Stonewall-Aufstand hatte auch eine langfristige Wirkung: Aus einem Moment des Zorns und der Gewalt entwickelte sich eine laute, starke, und friedliche Bewegung, die für mehr Rechte und Teilhabe an der Gesellschaft einstand. Bereits Ende Juli formierte sich die Gay Liberation Front (GLF) in New York. Im Jahr darauf war sie bereits in vielen Städten und Universitäten des Landes vertreten. Außerdem organisierte sie den ersten Gedenkmarsch an den Stonewall-Aufstand: Von Greenwhich Village zum Central Park über die Christopher Street, die seither Namensgeber für die gleichnamige alljährliche Parade ist.
55 Jahren nach den Stonewall riots hat sich für viele Mitglieder der queeren Gemeinschaft ihre Lage verbessert. In einigen Ländern konnten wichtige Schritte zur rechtlichen Gleichstellung gemacht werden. Von Gleichberechtigung, Selbstbestimmtheit und einer diskriminierungsfreien Gesellschaft sind wir aber leider noch – auch in Deutschland – ein gutes Stück entfernt. Und wie andere Minderheiten auch bergen rassistische, oft von rechter Seite erfolgende Ressentiments, auf die Taten folgen, eine Gefahr für queere Menschen. Auch deswegen finden einige CSDs in diesem Jahr unter einem klar politischen, pro-demokratischen und anti-rechtsextremen Motto statt. So etwa in Berlin Nur gemeinsam stark – für Demokratie und Vielfalt und Hamburg 5 vor 12! Du & ich gegen Rechtsdruck.
Schwierige Erinnerung
Auch die Geschichte der LGBTQ+ Community ist nicht nur von Erfolg gekrönt. Diskriminierung und Vorbehalte gibt es auch hier. Jahrelang wurden z. B. Trans*-Personen aus Organisationen ausgeschlossen, weil man sich durch ihren Ausschluss bessere Chancen auf Antidiskriminierungsgesetzte erhoffte. Dies trifft etwa auf Martha P. Johnson und Sylvia Rivera zu, deren Beteiligung an Stonewall deshalb lange unbekannt blieb.
Auch der Aufstand im nahe gelegenen Women’s Hall of Detention ist weitestgehend in Vergessenheit geraten. Dort rebellierten am selben Abend Insassen, die Hälfte der Frauen Lesben, viele von ihnen nicht-weiß. Unter anderem setzten sie ihre wenigen Besitztümer in Brand und riefen „Gay Power!“ (angelehnt an „Black Power!“) aus den Fenstern.
Geteilte Erinnerungen sind für eine Gemeinschaft wichtig, das trifft ohne Zweifel auf Stonewall zu. Über das Erzählen versichern sich Individuen und Gruppen ihrer Identität und Zugehörigkeit. Stonewall wurde so zu dem Symbol für Stolz und aktives Füreinandereinstehen innerhalb der Community schlechthin.
Allerdings ist Identität kein starres Konstrukt, sondern stets im Wandel. Dasselbe trifft auch auf den Erinnerungsprozess zu: Geschichten werden neu entdeckt, erzählt und interpretiert.
55 Jahre Stonewall ist also eine wunderbare Gelegenheit, um zu überlegen, welche Personen bisher zu wenig Aufmerksamkeit bekommen. Aber natürlich auch, um auf gemeinsame Erfolge und Erreichtes zurück zu blicken. Und darauf stolz zu sein.
2 Kommentare
Holperbald
3. August 2024 - 8:10interessant. Wusste ich noch nicht