Demokratiegeschichten

Albert Schweizer: Die Ehrfurcht vor dem Leben

Ethik ist ins Grenzenlose erweiterte Verantwortung gegen alles, was lebt.

Albert Schweitzer zitiert nach der Albert Schweitzer Stiftung

Nehmt euch einen Moment Zeit, über diesen Satz nachzudenken. Lest ihn nochmal, vielleicht sogar laut. Verantwortung gegen alles, was lebt…

Albert Schweitzer war Arzt, Theologe, Forscher, Musiker und Philosoph. Eine explizite politische Theorie hat Schweitzer nie entwickelt. Doch lässt sich in Bezug auf die Demokratie sagen, dass einige seiner Grundprinzipien für das Verständnis und die Ausübung von Demokratie relevant sind. Schweitzer war bekannt für seine ethischen Überlegungen, die er in verschiedenen Bereichen des Lebens anwendete. Insbesondere im Bereich des humanitären Engagements und der Moral prägen diese noch heute.

So ist es nicht verwunderlich, dass 2025 zum Albert Schweitzer Jahr erklärt wurde. Heute vor 150 Jahren, am 14. Januar 1875, kam er in Kaysersberg im Elsass (damals Teil des Deutschen Reichs, heute Frankreich) zur Welt. Als er 90 Jahre später in Lambaréné in Gabun starb, war er Friedensnobelpreisträger.

Wichtige Stationen seines Lebens

Nach Schule und Abitur studierte Schweitzer ab 1893 Theologie und Philosophie an der Universität Straßburg. Nach seinem bestandenen theologischen Examen legte er zudem die philosophische und zusätzlich die theologische Doktorprüfung ab. 1905 promovierte er in Medizin und begab sich nach Afrika, um als Arzt zu arbeiten.

1913 gründete er ein Krankenhaus in Lambaréné. Dieses wurde zu einem Zentrum nicht nur für seine medizinische, sondern auch für seine philosophische Arbeit. In Lambaréné schuf er außerdem seine Ethik des Mitgefühls und des Respekts vor allem Leben. 1952 wurde ihm für sein unermüdliches Engagement für den Frieden und seine humanitären Bemühungen der Friedensnobelpreis verliehen.

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Infotafel in Albert Schweitzers Geburtsort; Foto: Agaath/Wikimedia; CC BY-SA 4.0.

Die Ethik des Respekts vor dem Leben und Demokratie

Vieles weitere ließe sich über Albert Schweitzers Leben erzählen. Doch möchte ich diesen Artikel gezielt seiner Ethik des Respekts vor dem Leben widmen. Und wie diese mit Demokratie zusammenhängt.

Denn Grundlage seiner Ethik ist die Vorstellung, dass alle Lebewesen, unabhängig von ihrer Art oder ihrem Nutzen für den Menschen, in ihrer Würde geachtet werden müssen. Dies bedeutet, dass der Mensch nicht nur gegenüber anderen Menschen eine Verantwortung hat. Sondern auch gegenüber Tieren, Pflanzen und der gesamten Natur.

Diese universelle Verantwortung ist in einer demokratischen Gesellschaft von zentraler Bedeutung. Denn Demokratie schützt nicht nur die Rechte und die Freiheit des Einzelnen. Sie berücksichtigt auch das Wohl der Gemeinschaft als Ganzes. Demokratie ist in dieser Auffassung nicht nur ein politisches System mit Wahlen und anderen demokratischen Funktionen. Vielmehr ist sie auch ein ethisches Gebot zur Förderung des Gemeinwohls und zur Achtung der Natur.

Das Fundament der Gleichheit

Die Ethik des Respekts vor dem Leben und die Demokratie teilen das Fundament der Gleichheit. In einer demokratischen Gesellschaft müssen alle Menschen gleich behandelt werden, unabhängig von ihrer Herkunft, ihrem Status oder ihrer Nationalität. Schweitzers Philosophie geht noch weiter, indem sie das Augenmerk auf das Wohl aller Lebewesen richtet. Die Prinzipien der Demokratie – Freiheit, Gleichheit und Brüderlichkeit – erfordern, dass der Mensch auch Verantwortung für die Natur und das Leben um ihn herum übernimmt.

Dies ist besonders relevant in Bezug auf die ökologische Verantwortung. Denn in einer Welt, die von Umweltschäden und Naturzerstörung betroffen ist, fordert Ehrfurcht vor dem Leben dazu auf, diese Herausforderungen nicht nur als politische oder wirtschaftliche Probleme zu betrachten. Sondern als eine Frage der moralischen Verantwortung gegenüber allem Leben. Die nicht nur den einzelnen Menschen etwas angeht, sondern unsere Gesellschaft in Haftung nimmt.

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Schweitzer bei der Abreise nach Lambaréné um 1923, Foto: gemeinfrei.

Ein weiterer Aspekt, der Schweitzers Ethik mit Demokratie verbindet, ist seine Auffassung von Solidarität und sozialer Verantwortung. Nicht nur die Rechte des Einzelnen, sondern das Wohl der Gemeinschaft sollen gefördert werden. Schweitzer sah es als eine moralische Verpflichtung an, das Leiden der Mitmenschen zu lindern und sich für Frieden und soziale Gerechtigkeit einzusetzen. Dies könnte man auch als Entsprechung des demokratischen Prinzips der Beteiligung sehen. Wenn wir die Möglichkeit haben, uns für das Gemeinwohl einzusetzen, sollten wir es tun. Sei es durch die Ausübung unseres Wahlrechts, freiwilliges Engagement oder die Übernahme von politischer und sozialer Verantwortung.

Schweitzers Engagement für den Frieden

Ein weiterer wichtiger Zusammenhang zwischen Schweitzers Ethik und Demokratie ist seine Haltung zum Frieden. Schweitzer setzte sich sein Leben lang leidenschaftlich für den Frieden und gegen Krieg und Gewalt ein. Seit Beginn des 20. Jahrhunderts war er erklärter Pazifist.

Schweitzer erklärte, dass wahre Demokratie nur in einem Klima des Friedens gedeihen kann. Als der Erste Weltkrieg ausbrach, verurteilte er diesen scharf. Er war entsetzt über die Grausamkeiten, die der Krieg mit sich brachte. Für Schweitzer war es unvorstellbar, dass Menschen, die sich als moralische Wesen betrachteten, durch Kriege das Leben anderer zerstören sollten.

Für ihn war Demokratie eng mit der Förderung von Frieden und internationaler Zusammenarbeit verknüpft. Demokratische Gesellschaften sollten, so Schweitzer, nicht nur in ihren eigenen Grenzen Frieden wahren, sondern auch global Verantwortung übernehmen.

Eine neue Friedensordnung

Schweitzer richtete sich in mehreren seiner Schriften und öffentlichen Reden an die Menschheit und appellierte an das Verantwortungsbewusstsein jedes Einzelnen. Im Zentrum seiner Botschaft stand die Forderung nach einem weltweiten Bewusstsein für den Frieden. Und die Notwendigkeit, Konflikte auf zivilisierte, gewaltfreie Weise zu lösen. Besonders nach dem Zweiten Weltkrieg setzte er sich für eine neue Friedensordnung ein, die auf den Prinzipien der Solidarität, des Verständnisses und des Dialogs basierte.

Albert Schweitzer im Jahr 1852; Foto: Nobel Foundation/gemeinfrei.

Den Pazifismus, oft als Utopie abgestempelt, sah Schweitzer als ein überlebenswichtiges Prinzip. Entgegen der damaligen Situation des „Gleichgewichts des Schreckens“, das auf einem System gegenseitiger Abschreckung basierte, rief Schweitzer zur Abrüstung auf. Im Wettrüsten sah er eine sich selbst erfüllende Prophezeiung, die irgendwann in Krieg enden würde.

1952 erhielt Albert Schweitzer den Friedensnobelpreis für sein Lebenswerk im Bereich der humanitären Hilfe und seiner unermüdlichen Friedensarbeit. In seiner Nobelpreisrede betonte er, dass der Frieden nicht nur durch diplomatische Bemühungen und Verträge gesichert werden könne. Es sei eine tiefere ethische Veränderung notwendig – eine, die den Respekt vor dem Leben und die Verantwortung für das Wohl aller Menschen in den Mittelpunkt stelle. Schweitzer verurteilte die atomare Aufrüstung und den Kalten Krieg und forderte eine neue Haltung der Weltgemeinschaft. Diese solle auf Versöhnung und gemeinsamer Verantwortung beruhen.

Eine Haltung, die wir uns auch heute wieder verinnerlichen sollten.

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Über uns 
Annalena B. arbeitet bei Gegen Vergessen - Für Demokratie e.V. als Projektkoordinatorin im Bereich Demokratiegeschichte.

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