Demokratiegeschichten

„Wähler, wähle!“ – die erste bundesrepublikanische Wahl

Moralisch und physisch liegt Deutschland auch 1949, vier Jahre nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs, immer noch größtenteils in Trümmern. Doch zumindest sind die ersten Grundlagen einer demokratischen Zukunft gelegt. So erarbeitete der Parlamentarische Rat in Bonn zunächst eine republikanische Verfassung. Im Mai 1949 wurde dieses Grundgesetz der Bundesrepublik Deutschland dann verkündet. Die drei westlichen Besatzungszonen werden damit zu einer Demokratie.

Grundsätzliche Richtungsentscheidungen

Der nächste große Schritt ist nun das Zusammenkommen eines Parlaments, das vom Volk in einer demokratischen Wahl bestimmt wird. Als Termin ist der 14. August 1949 angesetzt. Das erste Mal seit den Reichstagswahlen 1932 soll es nun tatsächlich freie demokratische Wahlen im ganzen Land geben. Die Parole „Wähler, wähle!“ in der Wochenschau hofft, die Bevölkerung an die Wahlurnen zu treiben.

CDU-Wahlplakat 1949. Quelle: Konrad-Adenauer-Stiftung, CC BY-SA 3.0 DE

In der sowjetischen Besatzungszone müssen sich die Deutschen wohlgemerkt noch gedulden, bis auch sie für ein nationales Parlament ihre Stimme abgeben dürfen. Mit einer demokratischen Wahl wird dies dann aber nichts mehr zu tun haben.

Der erste bundesrepublikanische Wahlkampf dreht sich vor allem um die Frage, wie die wirtschaftliche und soziale Zukunft Westdeutschlands aussehen soll. Die CDU ist vehemente Verfechterin der sozialen Marktwirtschaft. Die SPD hingegen wünscht sich etwas mehr staatliche Kontrolle, auch unter dem Eindruck der seit der Währungsreform steigenden Arbeitslosigkeit und in die Höhe schnellender Preise. Die KPD wiederum geht wenig überraschend noch weiter und macht Werbung für eine sozialistische Planwirtschaft.

Daneben beschäftigen die Deutschen Arbeitslosigkeit, Wohnungsnot und der Umgang mit den Geflüchteten des Zweiten Weltkriegs. Sehr viele existenzielle Fragen für die erste Wahl in einem sehr jungen Staat …

Ein bisschen Skepsis ist wohl noch da

Die Wahlbeteiligung am 14. August liegt bei 78,5 Prozent. Dies entspricht ca. 24,5 von 31,2 Millionen Wahlberechtigten. Im Vergleich zu heute ist dies nicht besonders schockierend (2021 lag die Beteiligung bei 76,6 Prozent). Mit Blick auf die Wahlen der folgenden drei Jahrzehnte ist es aber doch ein eher geringer Wert (Höhepunkt wird die Wahl 1972 mit 91,1 Prozent sein).

Trotzdem gilt vielen die Wahl 1949 als Zustimmung der Deutschen zum Grundgesetz. So könnte nach zwölf Jahren NS-Diktatur der Wert zugegebenermaßen um ein Vielfaches geringer sein. Allerdings ist es aus heutiger Sicht und dem Wissen, wie viel die Deutschen der Demokratie zu verdanken haben, doch etwas befremdlich, dass der Wert nicht noch höher ist. Ein bisschen fremdeln die frischen Demokrat:innen dann vielleicht doch noch mit dem neuen (alten) System.

Kleine, aber feine Unterschiede

Auch wenn es sich 1949 mit dem Bundestag im Prinzip um dieselbe Institution handelt, die die Deutschen auch heute noch alle vier Jahre wählen, gibt es im Prozedere den einen oder anderen Unterschied. So dürfen damals die Bürger:innen erst ab 21 Jahren wählen, das passive Wahlrecht gibt es sogar erst ab 25. Erst Anfang der 1970er Jahre wird das Wahlalter auf 18 Jahre gesenkt.

SPD-Wahlplakat 1949. Quelle: Theodor-Heuss-Haus Stuttgart, gemeinfrei

Nicht wählen dürfen aber die West-Berliner:innen. Aufgrund des Vier-Mächte-Status der Stadt entsendet der Westteil der Stadt lediglich nicht stimmberechtigte „Berliner Abgeordnete“ in den Bundestag.

Beim Wahlsystem handelt es sich 1949 um ein personalisiertes Verhältniswahlrecht. Das heißt, jede:r hat nur eine Stimme, die gleichzeitig für das Direktmandat im Wahlkreis und die Landesliste zählt. Dabei muss eine Partei auf Landesebene (!) mindestens fünf Prozent erhalten oder einen Wahlkreis direkt gewinnen, um ins Parlament einzuziehen. Das Prinzip der Erst- und Zweitstimme genauso wie eine bundesweite Fünf-Prozent-Hürde wird es erst ab 1953, also bei der nächsten Bundestagswahl, geben.

Ein Wunsch nach Mäßigung?

Insgesamt 19 Parteien stellen sich zur Wahl. Mehr als die Hälfte von ihnen schafft es am Ende tatsächlich ins Parlament:

  • CDU/CSU: 31 Prozent
  • SPD: 29,2 Prozent
  • FDP: 11,9 Prozent
  • KPD: 5,7 Prozent
  • Bayern-Partei (BP): 4,2 Prozent
  • Deutsche Partei (DP): 4,0 Prozent
  • Zentrum (Z): 3,1 Prozent
  • Wirtschaftliche Aufbau-Vereinigung (WAV): 2,9 Prozent
  • Deutsche Konservative Partei/Deutsche Rechtspartei (DKP/DRP): 1,8 Prozent
  • dazu drei Unabhängige und ein Abgeordneter des Südschleswigschen Wählerverbandes (SSV)

Der erste Deutsche Bundestag bildet sich so schließlich aus 402 gewählten Abgeordneten und 8 Vertretern aus West-Berlin. Im Parlament sitzen 28 Frauen (knapp 7 Prozent). Auch wenn es der erste Bundestag ist, haben viele Abgeordnete bereits Parlamentserfahrung. Teilweise geht diese zurück bis zur Weimarer Nationalversammlung – ein nicht zu unterschätzender Grund für die Stabilität der jungen Bundesrepublik.

Quelle: Max96, CC BY-SA 4.0

Radikale Parteien, ob von links oder von rechts, schneiden außerdem recht schlecht ab. Die erste Bundestagswahl ist auch ein Votum für die gemäßigte Mitte. Darüber freuen sich nicht zuletzt die westlichen Alliierten. Nachvollziehbarerweise vertrauen sie der Demokratiefähigkeit der Deutschen zu diesem Zeitpunkt noch nicht hundertprozentig.

1:0 für Adenauer

Weniger als einen Monat nach der Wahl kommen die Abgeordneten dann zur konstituierenden Sitzung am 7. September zusammen. Die Union bildet als Wahlsiegerin schließlich eine Koalition mit der FDP, zu der die beiden noch die DP hinzuziehen, um sich eine Mehrheit im Parlament zu sichern. Die SPD wird entsprechend Oppositionsführerin.

Drei Tage später wählt der Bundestag CDU-Chef Konrad Adenauer zum ersten Bundeskanzler. Mit 202 Stimmen erhält er gerade so die erforderliche Mehrheit. Theodor Heuss von der FDP wird erster Bundespräsident.

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Über uns 
Ulli E. arbeitet bei Gegen Vergessen - Für Demokratie e.V. als Projektkoordinator im Bereich Demokratiegeschichte.

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