Demokratiegeschichten

Buchempfehlung: Wie die Welt und die Demokratie noch zu retten sind

Zunächst eine kleine Warnung vorneweg: Das vor Kurzem erschienene Buch Demokratie und Revolution. Wege aus der selbstverschuldeten ökologischen Unmündigkeit der Historikerin Hedwig Richter und des Journalisten Bernd Ulrich ist ganz sicher keine Gute-Laune-Schrift. Gerade diejenigen Leser:innen, denen es in unserer Gesellschaft ökonomisch gut geht, werden sich (hoffentlich) an entscheidenden Stellen ertappt fühlen.

Der Stil des Buches ist oft ironisch, ohne dabei aber die Ernsthaftigkeit des Themas zu verwässern. Denn wenn nötig formulieren und argumentieren die beiden Autor:innen schmerzlich direkt. Doch zunächst stellen sie sich die grundsätzliche Frage, warum die Demokratie anscheinend nicht in der Lage ist, die gegenwärtige Krise zu überwinden. Wie wohl nicht anders zu erwarten, wirft das Buch hierfür als erstes einen Blick in die Vergangenheit.

Die abnormale Normalität

So ging der industrielle Fortschritt der vergangenen zweihundert Jahre durchaus mit selbstreflexiver Fortschrittskritik einher. Bereits im 19. Jahrhundert richtete sie sich auch gegen die ausbeuterische und rücksichtslose Behandlung der Natur und Umwelt. Weil wir bisher aber immer recht glimpflich davongekommen sind, hat sich bei vielen Menschen der Glaube eingeschlichen, dass es deshalb auch künftig schon irgendwie gut gehen wird.

Und so befindet sich die Menschheit mittlerweile in einem existenzbedrohenden Zyklus der Umwelt- und damit auch Selbstzerstörung. Daran hat auch die eine oder andere klimapolitische Hochphase nicht viel geändert. Zusehends etablierte sich ein Umgang mit ökologischen Herausforderungen, der bis heute als Normalzustand anhält. So reichen beschlossene Maßnahmen nicht aus und dann lässt deren Umsetzung auch noch zu wünschen übrig.

Das Kohlekraftwerk Scholven in Gelsenkirchen. Quelle: Sebastian Schlüter, CC BY-SA 3.0

Hierfür machen Hedwig Richter und Bernd Ulrich gar nicht ausschließlich die aktuelle Politiker:innengeneration verantwortlich. Vielmehr sehen sie diese Herangehensweise als das „logische“ Ergebnis einer jahrzehntelangen verschleppten Klimapolitik. Fest steht für sie aber, dass sich die ökologische Krise des 21. Jahrhundert nicht mit den Problemlösungslogiken des vorherigen Jahrhunderts bewältigen lässt.

Die Kosten des westlichen Handelns

Und damit kommt das Buch in der Gegenwart an. Die bisherige Umweltpolitik, die den Bürger:innen die Folgen ihres Verbrauchsverhaltens in erster Linie vom Leib halten sollte, kommt mittlerweile an ihre Grenzen. So viele Nebenfolgeschäden, nicht nur ökologische, sondern auch politische und ökonomische, haben sich angesammelt, dass ein schlichtes „Ein-Bisschen-Weniger-Als-Zuvor“ nicht mehr reicht. Der vielbeschworene innere Schweinehund hält die Menschen vom Handeln ab und lähmt sie. Die Politik wiederum ist zu feige, ihnen das ehrlich zu sagen und die notwendigen klimapolitischen Maßnahmen zu ergreifen.

„Klimakrise, Artensterben, Corona, Ukraine-Krieg, Krise der Demokratien, geopolitischer Machtverlust, Aufblühen des globalen Antisemitismus und des Neofaschismus – was uns als multiple Krise gegenübertritt, was als eine völlig willkürliche Zusammenballung von Schicksalsschlägen erscheint, was wie ein groß angelegter Angriff auf den Normalzustand wirkt, das sind im Wesentlichen aggregierte Nebenfolgen unseres Tuns. Wir sind in der Echo-Zone der westlichen Lebensweise angekommen.“

Demokratie und Revolution, S. 140

Obwohl viel des hier präsentierten Wissens zum Klimawandel den meisten Leser:innen bekannt sein dürfte, deckt das Buch manche Zusammenhänge auf, die man noch nicht über die Klimakrise wusste oder schon wieder vergessen hatte. Es überfordert dabei aber nicht mit zu tiefgehenden naturwissenschaftlichen Analysen.

Bevor das Buch nun aber den nächsten Schritt in Richtung Zukunft tut und erklärt, wie wir aus dem ganzen Schlamassel wieder herauskommen, heben die beiden Autor:innen noch explizit zwei Perspektiven auf die Geschichte der Demokratie hervor. Es geht um die Aspekte Konsum und Körper sowie um deren Einfluss auf die Entwicklung der Demokratie. Denjenigen Leser:innen, die Richters frühere Arbeiten kennen, wird hier einiges bekannt vorkommen.

Schneller als die Demokratie erlaubt?

Aus der Beschäftigung mit Demokratiegeschichte ziehen Richter und Ulrich schließlich konkrete Schlüsse. Sie wünschen sich mit Blick auf die „Ökologisierung der Demokratie“ eine Revolution im Sinne einer schnellen radikalen Veränderung der gegenwärtigen Umstände – ohne Gewalt, sondern in Form einer friedlichen Transformation. Es geht also eher um eine tiefgehende Reform – aber deswegen nicht weniger revolutionär.

Klimademonstration von Fridays for Future in Berlin (2019). Quelle: Fridays for Future Deutschland, CC BY 2.0

Die Autor:innen fordern die Politik hierbei auf, ihre Rolle als Repräsentantin des Volkes ernst zu nehmen und auch auf den ersten Blick unangenehme und von den Wähler:innen ungewollte klimapolitische Entscheidungen zu treffen. Sie betonen dabei, dass nicht jede demokratische Maßnahme von Anfang an die Unterstützung der Mehrheit braucht. Vielmehr können anfangs auch kleine Teile der Bevölkerung über eine Vorbildfunktion Veränderungen bewirken. Die beiden Autor:innen widersprechend außerdem vehement der üblichen Bewertung von Demokratien als nur zu langsamen und zähen Kompromissen fähig.

„Das irrsinnige Tempo der Zerstörung, das vielen Menschen ein Gefühl der Ohnmacht gibt, kann überführt werden in ein revolutionäres Tempo der Demokratie, das den Bürgerinnen und Bürgern den Stolz der Selbstverwirklichung zurückgibt.“

Demokratie und Revolution, S. 287

Akzeptanz einer unangenehmen Wahrheit

Doch es braucht Einsatz, damit der Weg aus der gegenwärtigen Krise gelingt. Dazu gehört auch die Bereitschaft zu Verzicht und Selbstdisziplinierung. Richter und Ulrich fordern, dass die Abwendung der Klimakrise als Ziel, an dem sich alle beteiligen können und müssen, neu definiert werden muss. Es braucht ein neues Narrativ – und die tatsächliche Umsetzung einer grundsätzlich neuen und ehrlichen Sicht auf die Welt und auf uns selbst.

Im Großen und Ganzen liefert Demokratie und Revolution nachvollziehbare Erklärungen dafür, warum die gegenwärtige Situation so katastrophal ist. Die Autor:innen sind hingegen eher zurückhaltend mit Blick auf konkreten Maßnahmen. In vielerlei Hinsicht geht es ihnen eher um eine Änderung der grundsätzlichen Geisteshaltung.

Die Mühe lohnt sich

Die Autor:innen plädieren dafür an uns alle, die Verantwortung, die das demokratische System seinen Bürger:innen zugesteht, tatsächlich zu übernehmen. Wir müssen notwendige, aber mittlerweile unvermeidbare Abstriche schlicht akzeptieren. Aus dieser (wiederentdeckten) Selbstermächtigung könnte nicht zuletzt eine Wiederbelebung der Demokratie als Ganzes hervorgehen.

Die Hoffnung von Richter und Ulrich: Wenn Menschen als verantwortungsbewusste Erwachsene angesprochen werden, dann sind sie auch zu Einschränkungen und Disziplin bereit. Sie werden erkennen, dass am Ende als Belohnung tatsächlich eine gerechtere, gesündere und menschenwürdigere Welt auf uns wartet.

Titel: Demokratie und Revolution. Wege aus der selbstverschuldeten ökologischen Unmündigkeit

Autor:innen: Hedwig Richter und Bernd Ulrich

Verlag: Kiepenheuer&Witsch

Erscheinungstermin: 11.04.2024

Umfang: 368 Seiten

ISBN: 978-3-462-00643-8

Artikel Drucken
Über uns 
Ulli E. arbeitet bei Gegen Vergessen - Für Demokratie e.V. als Projektkoordinator im Bereich Demokratiegeschichte.

0 Kommentare

Kommentar schreiben

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert