Bevor Sie diesen Beitrag lesen, schlage ich Ihnen vor, zunächst folgendes Lied zu hören. Denn heute beschäftigen wir uns mal ausdrücklich mit dem gesprochenen – und gesungenen – Wort:
Für alle, die keine Fans von Walter Mossmanns Gesang sind, hier die erste Liedstrophe in Textform:
Schau, die Sonne fällt in die Vogesen
Walter Mossmann, „Liebeslied auf 101 Megahertz (Radio Grün)“.
Und die Nebel steigen aus’m Rhein
Es wird Nacht, mein Schatz, nun komm wir lösen
Diesen Tag ein bisschen auf in Wein!
Heute woll’n wir uns was bess’res gönnen
Darauf hab‘ ich mich schon lang gefreut
Komm, wir spitzen unsere Antennen
Denn im Dreyeckland ist Radiozeit!
1977: Radio Verte-Fessenheim geht auf Sendung
Die Frequenz, beziehungsweise das Radio, von dem Mossmann singt, ist heute als Radio Dreyecksland bekannt. Sein Sitz und Empfangsgebiet sind in Freiburg im Breisgau, mittlerweile unter UKW 102,3 MHz. Es ist heute das älteste Freie Radio Deutschlands.
Die erste Ausstrahlung fand am 4. Juni 1977 statt. Sie dauerte nur knapp 12 Minuten. In ihr wurde von der Besetzung eines Strommastes in Heiteren/Elsaß durch elsässische KKW-Gegner berichtet. Trotz geringer Reichweite erhielt die Sendung des Radio Verte-Fessenheim (RVF) große Aufmerksamkeit. Die Mitarbeitenden von RVF konnten eine regelmäßige Ausstrahlung immer samstags ab 19:45 Uhr auf UKW 101 MHz etablieren. Über die deutsche Grenze hinweg sendeten sie auch in Frankreich und der Schweiz in deutsch, französisch und alemannisch.
Das Radio entstand aus der Anti-AKW-Bewegung heraus. Konkret ging es den Mitarbeitenden um den Widerstand gegen die drei Atomkraftwerke Fessenheim, Wyhl und Kaiseraugst. Mit ihrem Radio wollten sie eine „Gegenöffentlichkeit“ etablieren, also sich bewusst in Gegensatz zur „herrschenden“ Öffentlichkeit und öffentlichen Berichterstattung stellen. Diese fiel in den öffentlich-rechtlichen Sendern in Hinblick auf die Anti-AKW-Bewegung negativ aus. Doch bald schon griff der Sender weitere Themen auf, beispielsweise in den 1980ern in Freiburg herrschenden Häuserkampf.
Piraterie und Polizei
RVF war der bekannteste politische Piratensender in Deutschland. Der Begriff „Piratensender“ leitet sich daher ab, dass ohne Lizenz gesendet wurde. Stattdessen nutzte RVF ungefragt freie Sendefrequenzen. Andere Piratensender „kaperten“ auch die Frequenzen legaler Sender und überlagerten sei mir ihrem eigenen Programm.
Der illegale Status des Senders führte dazu, dass es wiederholt zu Polizeidurchsuchungen kam. 1979 konfiszierte die Polizei eine mobile Sendeanlage des Senders, u. a. 1985 und 1986 kam es zu erfolglosen Durchsuchungen der Polizei auf dem Grethergelände in Freiburg.
Allerdings hatte der RVF auch prominente Unterstützer:innen. Zu ihnen gehörte etwa François Mitterand, der eine Petition zur Legalisierung des Senders unterstützte. Als er 1981 französischer Staatspräsident wurde, sorgte er für die Liberalisierung des Hörfunks. Davon profitierte auch der RVF, der von nun an legal in Frankreich und aus Frankreich heraus nach Deutschland senden konnte.
Im selben Jahr benannte sind der Sender in Radio Dreyeckland (RDL) um.
Radio Dreyeckland als Freies Radio
Es dauerte bis 1988, bis Radio Dreyeckland eine Lizenz erhielt. Am 23. Juli sendete RDL erstmals legal auf der Frequenz 102,3. Immerhin vier Stunden Sendezeit am Tag hatte die Lizenzbehörde bewilligt.
RDL ist weiterhin als freies Radio organisiert und das älteste seiner Art in Deutschland. Nach wie vor ist der Sender nicht-kommerziell und finanziert sich durch die Beiträge der Mitglieder des Freundeskreises und aus staatlichen Rundfunkgebühren. Prinzipiell kann dort jede:r Radio machen, die oder der will: Es gibt die Möglichkeit, eine neue Sendung zu entwerfen oder sich einer bestehenden Redaktion auszuschließen. Ausgenommen von der Ausstrahlung sind Beiträge mit rassistischen, sexistischen und nationalistischen Tendenzen.
Das Radio selbst formuliert seinen Auftrag so:
RDL fördert Diskussionsprozesse, Meinungsäußerungen und Informationsvermittlung der Personen und Personengruppen, die zu herkömmlichen Medien keinen oder nur begrenzten Zugang haben. RDL fördert den Austausch zwischen verschiedenen Lebensbereichen und Gruppen, regt damit zu gemeinsamen emanzipatorischem Handeln an und trägt damit zur sozialen, kulturellen und politischen Weiterentwicklung bei.
Redaktionstatut von RDL.
Freie Radios gibt es in Deutschland in zwölf Bundesländern, in drei weiteren Bundesländern senden freie Radioinitiativen in offenen Kanälen, wie im Bürgerfunk. Als unabhängige Sender leisten sie nach wie vor einen wichtigen Beitrag zur (politischen) Meinungsbildung und ergänzen die öffentlich-rechtlichen und kommerziell-privaten Rundfunksender. Wollen wir hoffen, dass sie noch viele weitere Jahre auf Sendung sind!
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