Das und ähnliches konnten die Münsteraner*innen am 29. April 1972 auf Plakaten lesen. Denn dort fand heute vor 51 Jahren Deutschlands erste Schwulendemo statt.
Warum in Münster?
Ausgerechnet in der westfälischen Provinzstadt, könnte man sagen. Bistumssitz der katholischen Kirche, bürgerlich-konservativ geprägt.
Doch das ist nur ein Teil der Stadt: Damals wie heute ist Münster geprägt durch seine Universität, eine der größten des Landes. Immer wieder gehen von den Studierenden neue Impulse aus, ihre Ideen prägen die liberale und alternative Szene Münsters.
Und so gründete sich hier am 29. April 1971 die HSM – Homophile Studenten Münster. Nach der Bochumer HAG war sie die zweite deutsche studentische Emanzipationsgruppe, weitere folgten in den nächsten zwei Jahren. Einer ihrer Mitbegründer, Rainer Plein, organisierte zum 1. Jahrestag der HSM die Demo mit Start vor dem Münsteraner Schloss (Sitz der Uni). 200 Menschen, überwiegend junge Männer, aber auch Frauen, schlossen sich dem Protestzug an.
Was waren Themen?
An Themen mangelte es den Demonstrierenden wahrlich nicht. Berufsausübungsverbote für homosexuelle Lehrkräfte, Bildungspläne zur Sexualerziehung, Diskriminierung auf Schulhöfen. Manche der Themen konnten uns auch heute noch bekannt vor.
Andere, wie der §175, der homosexuelle Handlungen unter Strafe stellte, betreffen uns heute juristisch zum Glück nicht mehr. (Die Rehabilitierung der Verurteilen sehr wohl.) Aber 1972 war §175 Thema, da er zwar 1969 in der BRD entschärft, aber nicht abgeschafft wurde.
Gleichzeitig solidarisierten sich die Demonstrierenden auch mit anderen Gruppen, wie etwa Gewerkschaften. Auch radikal linke Parolen fanden ihren Ausdruck, so etwa auf diesem Banner:
Brüder & Schwestern, warm oder nicht, Kapitalismus bekämpfen
ist unsere Pflicht!
Unabhängig von den politischen Forderungen war die Teilnahme für viele der Demonstrierenden eine persönliche Herausforderung. Im Prinzip kam die Teilnahme einem öffentlichen Coming Out gleich. Und dies in einer Gesellschaft, wo sie bis vor kurzem gesetzlich und polizeilich verfolgt und weiterhin gesellschaftlich geächtet wurden. Den Mut, den die Teilnehmenden aufbringen mussten, kann ich heute nur erahnen.
29. April 1972 und danach
Die Veranstaltung im April 1972 verlief friedlich. Neugierig, mitunter womöglich auch empört, verfolgten die Münsteraner*innen die Demo. Unbehelligt zogen die Demonstrierenden vom Schlossplatz durch die Innenstadt und über die Promenade.
Die erste deutsche Schwulendemo in Münster hatte Folgen auch für den weiteren Kampf gegen den § 175. Von Münster aus organisierte die HSM den Informationsaustausch und die Vernetzung der Gruppen untereinander. Am 26. April 1973 startete bundesweit eine Kampagne aller schwulen Emanzipationsgruppen zum Thema „Weg mit § 175“. Auch wenn diese nicht zur Abschaffung von §175 führte, gilt sie doch als ein wichtiger Meilenstein der Schwulenbewegung.
Bereits 1974 löste sich die HSM wieder auf. Zu unterschiedlich waren die politischen und persönlichen Ansichten der einzelnen Mitglieder. Einige von ihnen engagierten sich nach der Auflösung weiter für die Rechte Homosexueller.
So auch Rainer Plein: Neben überregionalen und internationalen Aktivitäten klagte er gegen die Verweigerung seiner Beförderung zum Oberstleutnant der Reserve aufgrund seiner Homosexualität. Den Prozess verlor Plein, auch die Wiederaufnahme des Studiums gelang ihm nicht. Am 22. November 1976, im Alter von 28 Jahren, nahm sich der Organisator der ersten Schwulendemo Deutschlands das Leben.
Nach ihm und nach Anne Henscheid, die ebenfalls kurzzeitig in der HSM aktiv war und die erste Lesbengruppe in Westdeutschland gründete, sind seit ein paar Jahren in Münster Straßen benannt.
3 Kommentare
Hasso Müller-Kittnau
29. April 2019 - 12:49Hallo, es waren zwar in der ganz großen Mehrheit Schwule, die damals demonstriert haben, aber auch Frauen waren dabei, wie das verwendete Foto belegt. Wichtiger zum Verständnis. Die Demo war Teil der ersten bundesweiten Tagung der damals bestehenden Aktionsgruppen in Deutschland. Das erklärt die für 1974 große Teilnehmer*innen Zahl. Sie kamen aus ca. 20 Städten und nicht nur aus Münster. Es war auch leichter in einer anderen Stadt als „warmer Bruder“ auf der Straße zu demonstrieren.
Annalena B.
29. April 2019 - 13:22Tatsächlich waren wir uns bzgl. der Teilnahme von Frauen an der Demo nicht sicher und sind froh, dass sich dies geklärt hat (der Artikel ist nun dahingehend überarbeitet). Vielen Dank auch für die Einordnung der Demo in die bundesweite Aktion, das ist eine wichtige Ergänzung zu dem Artikel.
Hasso Müller-Kittnau
30. April 2019 - 13:011974 war ein Schreibfehler. 1972 — jedenfalls verdammt lang her