Demokratiegeschichten

Eine Initiative mit klarer Forderung: Die Gründung von „Demokratie jetzt“

Die Wendezeit 1989/90 in der DDR ist geprägt von vielen verschiedenen Akteur:innen, Gruppen und Bewegungen. Sie alle hatten unterschiedliche Vorstellungen davon, wie es mit ihrem Staat weitergehen sollte. Eine dieser Initiativen trägt ihre wichtigste Forderung unverkennbar im Namen: Demokratie Jetzt.

Mehr Demokratie in Ost und West

Die Initiative Demokratie Jetzt (DJ), gegründet am 12. September 1989, ist eine der einflussreichsten von mehreren Bürgerrechtsbewegungen, die sich im Sommer und Herbst 1989 zusammenschließen. Die Gründung von DJ ist allerdings keine fixe Idee, sondern steht zu diesem Zeitpunkt schon länger im Raum. So hatte bereits im August der Physiker und Synodale Hans-Jürgen Fischbeck bei einer Diskussionsrunde die Gründung einer oppositionellen Sammlungsbewegung gefordert. Ihr Ziel solle die demokratische Erneuerung der DDR sein.

In der Folge entsteht Demokratie Jetzt aus einem Arbeitskreis der Evangelischen Bartholomäus-Gemeinde in Berlin-Friedrichshain heraus. Entsprechend kommen die Anhänger:innen der Initiative vor allem aus dem kirchlichen Umfeld. Im Gründungsaufruf fordern die Aktivist:innen mehr Solidarität in der Gesellschaft, die Achtung der Menschen- und Bürgerrechte, Pluralismus und eine Ökonomie, die nicht zu Lasten der Umwelt funktioniert. Übergeordnetes Ziel ist die demokratische und friedliche Umgestaltung der DDR – aber auch Reformen in der Bundesrepublik im Westen.

Demonstrierende mit verschiedenen Plakaten am 4. November 1989 in Berlin, Quelle:
Bundesarchiv, Bild 183-1989-1104-437 / Settnik, Bernd / CC-BY-SA 3.0

Eine Bewegung, keine Partei

Diesen über allem stehenden Zielen folgen aber auch konkrete politische Forderungen, etwa mit Blick auf die Trennung von Staat und Gesellschaft und die Deutsche Einheit. Beides will Demokratie Jetzt voranbringen. Im Gründungsaufruf, der sich an „Freunde, Mitbürgerinnen, Mitbürger und Mitbetroffene“ richtet, stellen die DJ-Aktivist:innen fest, „daß die Ära des Staatssozialismus zu Ende“ gehe. Entsprechend müsse darüber diskutiert werden, wie es mit der DDR in Zukunft weitergehe – ihrer Meinung nach nur demokratisch.

Das Dokument trägt zwölf Unterschriften. Beteiligt sind unter anderem Hans-Jürgen Fischbeck, die Mitgründerin von Frauen für den Frieden Ulrike Poppe, der Kirchenhistoriker Wolfgang Ullmann und der Regisseur Konrad Weiß. Die Initiative will sich explizit nicht als Partei verstanden wissen, mit festen Strukturen und Mitgliedschaften, sondern als Bürgerbewegung, an der alle so viel oder so wenig teilnehmen und sich mit Ideen und Taten einbringen können, wie sie es für richtig halten.

Ein Schweigemarsch im Zuge der Montagsdemonstrationen in Leipzig am 18. Dezember 1989, Quelle: Bundesarchiv, Bild 183-1989-1218-037 / CC-BY-SA 3.0

Mitgestaltung in Zeiten des Umbruchs

Dann, Ende Oktober 1989 ruft Demokratie Jetzt zu einem „Volksentscheid 1990“ auf, mit dem über den bisher nahezu unangefochtenen Herrscheranspruch der SED abgestimmt werden soll. Bis November kann die Initiative 75.000 Unterschriften hierfür sammeln. Und das Engagement zeigt Wirkung. Im Dezember 1989 sitzen zwei DJ-Vertreter mit am Runden Tisch, an dem Abgesandte der SED, der Blockparteien und Mitglieder aus Kirche und Bürgerrechtsbewegungen beteiligt sind. Letztlich geht sogar dieses Format an sich auf eine Idee von Demokratie Jetzt eines „Vierseitigen Tisches“ zurück.

Bei den Volkskammerwahlen im März 1990 erreicht das Wahlbündnis, an dem DJ beteiligt ist, 2,9%. Damit stellt es zwölf Abgeordnete, in einem Parlament mit 400 Sitzen. Es wird deutlich, dass politischer Einfluss, der sich am Ende auch in tatsächlicher Mitwirkung niederschlägt, nur mit Mehrheiten möglich ist. Im September 1991 vereinigt sich die Bewegung deshalb mit Teilen des Neuen Forums, der Initiative Frieden und Menschenrechte zum Bündnis 90. Dieses schließt sich wiederum im Mai 1993 mit den westdeutschen Grünen zur Partei Bündnis 90/Die Grünen zusammenschließen.

Artikel Drucken
Über uns 
Ulli E. arbeitet bei Gegen Vergessen - Für Demokratie e.V. als Projektkoordinator im Bereich Demokratiegeschichte.

2 Kommentare

  1. Micky Maus

    29. Dezember 2022 - 22:04
    Antworten

    Ich würde gerne eine Partei wählen, die Frieden und Abrüstung als wichtigstes Ziel in ihre Agenda schreibt. Eine europäische Sicherheitsarchitektur anstrebt und mit den anderen Staaten der EU, auch unter Einbeziehung Russlands, unter den Bedingungen des gegenseitigen Respekts und der Berücksichtigung beiderseitiger Sicherheitsbedürfnisse, durchsetzt.
    Die sich ernsthaft für die Lösung der sozialen Frage einsetzt. Auf der ganzen Welt! Die Macht der Rüstungskonzerne bekämpft und sich für die Erhaltung der Natur einsetzt. Den Kampf gegen den Klimawandel ernst nimmt und sich gegen die Massentierhaltung einsetzt. Die entfesselten Finanzmärkte in die Schranken weist und den Neoliberalismus sowie den Linksliberalismus ablehnt und sich absolut für eine gerechte Welt stark macht, gegen die Gier des Kapitalismus!!!
    Bisher habe ich seit Jahren die „Linke“ gewählt.
    Ich bin Christin und fühle mich von dieser Partei nicht mehr vertreten.

  2. Andreas Brendel

    4. Februar 2024 - 18:00
    Antworten

    Deinem Wunsch kann ich mich nur anschließen.

Kommentar schreiben

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert