„Der Fall Kähne vor dem Kammergericht.
In der Angelegenheit des Herrn von Kähne auf Petzow ist noch keine Entscheidung darüber getroffen worden, ob gegen ihn Anklage erhoben wird. Die Potsdamer Staatsanwaltschaft hatte nach beendeter Voruntersuchung die Erhebung weiterer Beweise beantragt, was abgelehnt wurde. […] Bis zur Erledigung des Verfahrens gegen Herrn v. Kähne ruhen die von ihm angestrengten zahlreichen Beleidigungsklagen wegen der über ihn erschienenen Artikel.“
Dies berichtet die „Deutsche Allgemeine Zeitung“ am 10. Mai 1922. In dem Verfahren geht es um den Rittergutsbesitzer von Kähne, dessen Familie seit Jahrhunderten im westlich von Potsdam gelegenen Dorf Petzow lebt, als Ziegeleiunternehmer sind die Kähnes reich und mächtig geworden.
Zur Vorgeschichte
Schon vor dem Ersten Weltkrieg machten sie von sich reden, weil sie auf Spaziergänger, Wassersportler und Pilzsammler schossen, die sich vermeintlich oder tatsächlich auf ihrem weitläufigen Anwesen befanden. Im Juli 1920 hatte Karl von Kähne jr. auf das Auto von Ausflüglern geschossen, die sich verfahren hatten und war mit einer Geldstrafe davongekommen.
Gegensätze prallen auf einander
Am 13. Februar 1922 traf es Karl Nietert, einen Arbeiter aus dem nahe gelegenen Dorf Glindow: Er hatte in der Nähe von Schloss Petzow aus Not Holz stehlen wollen, als ihn Karl von Kähne Senior überraschte, aus nächster Nähe auf ihn schoss und ihn anschließend im Wald zurückließ. Der schwer verletzte Mann gelangte gerade noch rechtzeitig ins Krankenhaus, durch eine Notoperation konnte er gerettet werden. Den Wert der Fichte, die er hatte stehlen wollen, beziffert die sozialdemokratische Presse auf weniger als 20 Reichsmark.
Menschen aus den umliegenden Dörfern protestieren gegen den schießwütigen Adeligen: Auch dieses Mal scheint der Täter nicht belangt zu werden. Nicht einmal die zahlreichen Waffen, die sich im Besitz der Familie befinden, werden zunächst beschlagnahmt. Die Zeitung der Unabhängigen Sozialdemokraten, „Die Freiheit“, berichtet am 18. Februar 1922:
Vom Recht des Stärkeren …
„Unerhört ist das Verhalten des Oberstaatsanwalts von Potsdam. Er hat es bisher nicht für nötig erachtet, sich an den Tatort zu begeben und den Mordgesellen von Kähne in Haft zu setzen. Seine einzige Anordnung bestand darin, daß er das Krankenhaus in Glindow, wo der angeschossene Arbeiter sterbenskrank darniederliegt, telephonisch anwies, die Leiche zu beschlagnahmen, falls der Mann sterben sollte. Wir halten einen Oberstaatsanwalt, der sein Amt so leichtfertig verwaltet, für ungeeignet, in irgendeiner Frage die Rechte des Staates zu vertreten. […] Da der Oberstaatsanwalt bisher die Verhaftung nicht angeordnet hat, muß das Justizministerium ernsthaft die Frage prüfen, ob hier nicht ein Akt der Begünstigung vorliegt. Die sofortige Amtsentsetzung des Oberstaatsanwalts und die Einleitung eines Disziplinarverfahrens ist auf alle Fälle dringend geboten.“
… den Armen gegenüber
Der Literat Kurt Tucholsky verpackt sein Entsetzen über den „Raubritter“ im März 1922 in ein ironisches Gedicht:
„Du dämlicher Hund liegst blutend im Wald.
Ein preußischer Adliger machte dich kalt.
Zitternd stand dein Junge dabei –
Mensch, du warst Nummer 103!
Wälz dich im Dreck – aber mach keine Szene.
Auf dich schoß nicht schlecht
waidgerecht
Kähne.Das treibt er seit fünfzehn Jahren so.
Die braven Sonntagsausflügler sind froh,
wenn sie an seinem Anstand vorbei.
Einen Schritt zu weit – Schuß, Fall, Geschrei.
Der schießt aus Notwehr den Fraun in die Beene.
Weil er bedroht wär.
Immer in Notwehr.
Kähne.“
Rittergutsbesitzer von Kähne behauptet, er habe in Notwehr gehandelt, und die gerichtliche Voruntersuchung kommt zum selben Ergebnis. Kähne wird nur wegen unerlaubten Waffenbesitzes belangt. Statt seiner gerät das Opfer ins Visier der Staatsanwaltschaft: Angeblich habe Karl Nietert den Gutsbesitzer mit einer Axt angegriffen – so lautet auch die Version, die die rechte Presse verbreitet.
Verkehrte Welt?
Von Kähne verklagt eine Reihe von Zeitungen wegen Beleidigung, weil diese ihn als schießwütig dargestellt haben. Ende 1923 wird dieser Klage stattgegeben. So muss das „Berliner Tageblatt“ nicht nur eine Geldstrafe zahlen, sondern auch eine Gegendarstellung abdrucken. Das konservative „Jeversche Wochenblatt“ vom 23. Dezember 1923 schreibt dazu:
„Das Gericht stellte sich auf den Standpunkt, daß die Artikel nur aus Sensationslust verfaßt worden seien. Man habe aber nichts unternommen, um sich von der Wahrheit der eingegangenen Berichte zu überzeugen, obgleich es eine Kleinigkeit gewesen wäre, sich beim Amtsgericht nach dem Sachverhalt zu erkundigen, wie es andere Zeitungen getan hätten.“
Dennoch: Selbst Reise- und Wanderführer warnen davor, die ausgedehnten Ländereien von Kähnes zu betreten, da auf „Unbefugte“ ohne weiteres geschossen werde.
Karl von Kähne Senior äußert öffentlich:
„Auf anständige Menschen schieße ich nicht – aber auf Halunken schieße ich!“
Von Kähne bleibt gefährlich
Der Schuss auf den Arbeiter Nietert bleibt nicht die letzte Gewalttat der von Kähnes. Immer wieder werden Passanten mit dem Stock verprügelt oder schlicht zusammengeschlagen. Zudem werden gleich mehrere Leichen mit Schussverletzungen unweit von Schloss Petzow gefunden. Die gegen die von Kähnes verhängten Urteile bleiben mild.
Karl von Kähne Senior stirbt 1937. Von Kähne Junior tötet 1943 unter ungeklärten Umständen einen unbewaffneten Mann und wird ein weiteres Mal nicht belangt. 1945 wird er von der Roten Armee verhaftet und durch die sowjetische Besatzungsmacht enteignet. Karl von Kähne Junior stirbt im selben Jahr im „Speziallager Nr. 7“, dem ehemaligen Konzentrationslager Sachsenhausen.
Deutschlandfunk Kultur sendet in Kooperation mit dem Leibniz-Zentrum für Zeithistorische Forschung (Potsdam) ab dem 25. August 2021 jeweils mittwochs gegen 19:25 Uhr die Reihe „100 Jahre politischer Mord in Deutschland“ .
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