„An den Gräbern von Karl und Rosa.
Die inmitten der anderen Revolutionsopfer liegenden Gräber von Karl Liebknecht und Rosa Luxemburg waren zur Erinnerung an das vor drei Jahren an diesen unersetzlichen Führern des Proletariats begangene Verbrechen der im Solde der kapitalistischen Gegenrevolution stehenden Soldateska festlich geschmückt. […]
Karl und Rosa sind tot, aber unsere Jugend lebt und in ihr der Geist, der die großen Toten beseelte. In diesem Geiste wird sie siegen!
Mit solchem Pathos erinnert die in Berlin erscheinende „Freiheit“ der Unabhängigen Sozialdemokraten am 16. Januar 1922 an den dritten Jahrestag der Ermordung von Karl Liebknecht und Rosa Luxemburg. Sie lässt keinen Zweifel daran, dass deren revolutionäre Arbeit von der USPD fortgesetzt werde.
Streit um das politische Erbe von „Karl und Rosa“
Aber die USPD ist nicht die einzige Partei, die sich als legitime Erbin von „Karl und Rosa“ betrachtet. Bereits ein Jahr zuvor hatte die „Rote Fahne“, die Zeitung der Kommunistischen Partei, ihren Anspruch deutlich gemacht. Am 15. Januar 1921, unter der Schlagzeile „Das Blutzeugnis“:
„Rosa Luxemburgs und Karl Liebknechts Märtyrertod, sie sind das Blutzeugnis des Kommunismus, das Zeugnis seiner Treue zur Sache des Proletariats, das an der Schwelle der kommunistischen Bewegung Deutschlands, ja der kommunistischen Bewegung der Welt liegt, als ob eine weit sichtbare Grenze zwischen der sozialdemokratischen Epoche der Arbeiterbewegung und zwischen der kommunistischen gezogen werden soll.
In dem Tode Luxemburgs, in dem Tode Liebknechts liegt nichts Zufälliges […].
Karl Liebknecht und Rosa Luxemburg fielen auf dem Kampfposten. Sie fielen, damit die Arbeitermasse sehe, daß der Kommunismus keine Theorie, kein Spiel mit Worten, kein Traum ist, sondern der ernsteste Kampf, den man kämpfen kann, der Kampf, wo jeder Kämpfer bereit sein muß, für die Sache sein Leben zu lassen. Weil Scheidemann, weil Ebert, weil Haase verriet, weil sie den Glauben in der Arbeitermasse an die sozialistische Treue, an das sozialistische Wort erschüttert haben, mußte Rosa Luxemburg, mußte Karl Liebknecht sterben.“
Die Ermordeten als Märtyrer
Luxemburg und Liebknecht waren nach dem sogenannten Spartakus-Aufstand am 15. Januar 1919 von Freikorps-Soldaten umgebracht worden – politische Morde noch vor der Gründung der Weimarer Republik. Von der radikalen Linken wurden sie dann zu Märtyrern gemacht – Opfer der Sozialdemokraten Friedrich Ebert und Philipp Scheidemann. Die SPD habe sich mit den schon im Kaiserreich herrschenden Schichten zusammengetan und proletarische Interessen verraten. Und die Unabhängigen Sozialdemokraten, obwohl die sich links der SPD organisiert hatten, seien zu feige gewesen, kämpferisch für den Sozialismus einzutreten. So fordere die USPD nur ein stilles Gedenken an die Ermordeten, wo doch einzig der „Kampf des Proletariats“ angemessen sei. Die Mehrheits-SPD hingegen weine „Krokodilstränen“, obwohl sie den Mord zu verantworten habe.
„Denn wer hat die Stimmung für den Mord Karl Liebknechts und Rosa Luxemburgs vorbereitet, wenn nicht der ‚Vorwärts‘? Wer hat die viehische Soldateska bewaffnet und auf die Arbeiterschaft losgelassen, wenn nicht die regierenden Parteigenossen des ‚Vorwärts‘?“
In den Zwanzigerjahren verhärten sich die Fronten noch weiter. Die KPD begibt sich auf stalinistischen Kurs und betrachtet die als „Sozialfaschisten“ diffamierten Sozialdemokraten als ihre schlimmsten Feinde. Die Partei, die 1920 nur etwa zwei Prozent der Wählerinnen und Wähler auf sich vereinte, kann sich bald auf über zehn Prozent Zustimmung in der Bevölkerung stützen. Solche Wahlergebnisse sieht sie als beste Ehrung für Liebknecht und Luxemburg. Die USPD hingegen versinkt in der Bedeutungslosigkeit.
Ehrung durch die SPD
Den Kampf um die Vorherrschaft in der Linken tragen SPD und KPD aus. Der sozialdemokratische „Vorwärts“ kontert die Angriffe der kommunistischen Presse am 15. Januar 1929 so:
„Rosa Luxemburg und Karl Liebknecht waren unsere Gegner, als sie ermordet wurden. Dennoch sind wir berechtigt, sie in Schutz zu nehmen gegen die sonderbare Art von ‚Ehrung‘, die ihnen durch die KPD geworden ist. An Gräbern lügen, ist so ziemlich die größte Gemeinheit, die ein Mensch mit Worten begehen kann. Wenn die Kommunisten an den Gräbern ihrer Führer – denen sie vor zehn Jahre nicht gefolgt sind – die schmutzige Lüge wiederholen, die Sozialdemokratie oder einzelne Sozialdemokraten hätten die Ermordung Rosa Luxemburgs und Karl Liebknechts gewollt, so ist das keine Totenehrung, sondern eine Grabschändung. […]
Vor denen, die für ihre Ueberzeugung gefallen sind, senken wir unsere Fahnen. Wir erheben sie aber zum Kampf gegen diejenigen, die von der Lüge leben! Rosa Luxemburg und Karl Liebknecht waren, als sie fielen, auf falschem Wege; sie hätten das, wenn sie noch lebten, längst selbst erkannt an dem elenden Haufen, der von jener Zeit übrig geblieben ist und der sich ‚Kommunistische Partei‘ nennt!“
1919, im selben Jahr, in dem Liebknecht und Luxemburg ermordet wurden, war auch ein anderer führender Politiker der Linken an den Folgen eines Attentats gestorben: Hugo Haase.
Er war als USPD-Vertreter neben Ebert der linke Co-Chef der Revolutionsregierung 1918 gewesen. Ein wahrscheinlich schizophrener Arbeiter hatte ihn im Oktober 1919 niedergeschossen. Haase, der auf Rationalität und Vernunft in der Politik setzte, stand zwischen den Fronten der Linken, geriet in Vergessenheit, aber auch er war ein Opfer des Gewalt-Klimas, das in der Weimarer Republik von Anfang an herrschte.
Deutschlandfunk Kultur sendet in Kooperation mit dem Leibniz-Zentrum für Zeithistorische Forschung (Potsdam) ab dem 25. August 2021 jeweils mittwochs gegen 19:25 Uhr die Reihe „100 Jahre politischer Mord in Deutschland“ .
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