Demokratiegeschichten

100 Jahre politischer Mord in Deutschland: Fememorde

“ Der Prozeß um den ermordeten Wachtmeister Buchholz hat mit dem Freispruch der Angeklagten geendet. Dieser Freispruch beweist nur, daß den Angeklagten Erren und Meyer ihre Täterschaft nicht mit voller Sicherheit nachgewiesen werden konnte. Er widerlegt nicht, daß Buchholz ermordet worden ist, er widerlegt nicht, daß der Mord in den Reihen der Hundertschaft vorbereitet und von ihren Angehörigen ausgeführt worden ist.“

Der Mord an Johannes Buchholz und die Femejustiz

Das berichtet der sozialdemokratische „Vorwärts“ am 3. Dezember 1921. Am 13. Juni 1921 war der Polizeiwachtmeister Johannes Buchholz in einer Polizeikaserne ermordet worden, durch einen Schuss in den Hinterkopf. Buchholz war Angehöriger einer Polizei-Hundertschaft zur besonderen Verwendung. Deren Aufgabe sollte eigentlich der Schutz der Regierung sein. Stattdessen schlug sie sich während des Kapp-Putsches im März 1920 auf die Seite der Putschisten, die die Reichsregierung in Berlin stürzen wollten. Walther Stennes, der Leiter der Polizeieinheit, ließ danach heimlich Waffenlager anlegen und baute aus der Kasse der Hundertschaft ein Spitzelsystem auf. Anfang Juni 1921 drohte Kassenwart Buchholz, sein Wissen über diese Machenschaften zu verraten. Wenig später, am 13. Juni 1921, ist er tot, hinterrücks erschossen. Die Täter können zwar nicht ermittelt werden, aber die Tatzusammenhänge deuten auf einen „Fememord“ hin.

Porträt Walther Stennes in Uniform als SA-Oberführer mit Orden und Auszeichnungen, 1928/31, Bundesarchiv Bild 119-2608, Foto: o. Angabe.

„Feme“, eine mittelalterliche Strafjustiz, wird in der Weimarer Republik zu einem Instrument rechtsradikaler Geheimverbände wie der berüchtigten „Organisation Consul“. Nicht nur Verräter und Abtrünnige müssen mit einem „Feme“-Mord rechnen, sondern auch alle, die mit den alliierten Kontrollbehörden zusammenarbeiten. Besonders exzessiv üben die Verbände des „Oberschlesischen Selbstschutzes“ und die Freikorpsverbände in Oberschlesien im Sommer 1921 Selbstjustiz. Vielfach genügt der Verdacht, mit den Polen gemeinsame Sache zu machen, für ein Todesurteil. Wie viele Menschen Opfer dieses nationalistischen Terrors wurden, konnte nie ermittelt werden: Die Rede ist meist von Hunderten Menschen. Die meisten Opfer sind schlicht „verschwunden“. Im Juni 1922 wird sogar eine allgemeine Amnestie für Verbrechen ausgesprochen, die bei den oberschlesischen Unruhen verübt wurden.

Amnestie für die Täter?

In ganz Deutschland werden nur wenige Fememörder ermittelt und bestraft. Für deren Freilassung setzt sich am 15. Juni 1928 der deutschnationale Abgeordnete Friedrich Everling im Reichstag ein. Er verteidigt die Lynchjustiz:

„ [Es ist] festgestellt worden, daß man sich gegen die Verräter – die ja in einer so großen Zahl, daß uns Zorn und Scham und Kummer packen muß, im deutschen Vaterlande zu jener Zeit vertreten waren –, daß man sich gegen diese Lumpen nicht anders schützen konnte, als durch diesen Schutz. Ein staatlicher Schutz wurde nicht gewährt. Die Schuld an solchen Vorgängen, die gewiß bedauerlich sind, trifft die Verräter. […]

Sie, die Femeverurteilten, haben in nationaler Notwehr gehandelt. Das müssen wir immer und immer wieder feststellen, weil wir davon überzeugt sind, und weil wir diese nationale Notwehr dem System der Femehetze entgegenstellen wollen. Auch aus der nationalen Notwehr heraus hätte nach unserer Rechtsauffassung ein Freispruch erfolgen müssen.“

Werbeplakat zur Befreiung der verurteilten Fememörder, 1928, Quelle: Bundesarchiv Bild Plak 002-032-006

Nach dieser Logik handelten die Mörder des Polizisten Buchholz in Notwehr, als dieser ihre illegalen Machenschaften aufdecken wollte. Die wenigen Feme-Mörder, die verhaftet und verurteilt worden sind, bleiben nicht lange in Haft – sie werden spätestens durch die vom Reichstag Ende 1930 beschlossene Amnestie entlassen. Der Mord an Johannes Buchholz blieb ungesühnt.

Deutschlandfunk Kultur sendet in Kooperation mit dem Leibniz-Zentrum für Zeithistorische Forschung (Potsdam) ab dem 25. August 2021 jeweils mittwochs gegen 19:25 Uhr die Reihe 100 Jahre politischer Mord in Deutschland

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Über uns 
Historikerin, Autorin, Kuratorin Mitarbeiterin im Projekt "Gewalt gegen Weimar" am Leibniz-Zentrum für Zeithistorische Forschung Potsdam

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