Fast täglich fahre ich an einem 15 Meter hohen Koloss aus Bronze vorbei. Aus dem Fenster der Tram sehen die Menschen am Fuße der monumentalen Büste winzig aus. Der hier verewigte Mann hebt seine geballte rechte Faust neben seine vor Stolz geschwollene Brust, gerade so auf Schulterhöhe. Sein Kopf ist hoch erhoben und nach rechts gedreht. Sein Blick ist starr in die Ferne gerichtet, selbstbewusst und siegessicher. Er steht vor einer Wand aus Bronze, die sich erst bei genauerem Hinsehen als ein Fahne entpuppt. Grobe Falten deuten Stoff an. Es scheint so, als stelle er sich tapfer gegen den Wind. Folgt man seiner Blickachse, so entdeckt man auf der Spitze der Fahnenstange Hammer und Sichel.
Wer ist es?
Hast du schon erraten, um wen es geht? Es ist das Abbild Ernst Thälmanns an der Greifswalder Straße, das in den 1980er Jahren entstand. Der ehemalige Vorsitzende der KPD hebt vor der stilisierten Arbeiterfahne seine rechte Faust zum Gruß des Rotfrontkämpferbundes und wird durch den sowjetischen Bildhauer Lew Kerbel zum Symbol der kommunistischen Revolution. Thälmann wurde im KZ Buchenwald ermordet und sein bronzenes Abbild zu seinem 100. Geburtstag im Jahre 1986 durch Erich Honecker der Öffentlichkeit übergeben.
Die Debatte um Erhalt oder Abriss des Denkmals dauert seit der Wende bis heute an. Die propagandistischen Texttafeln wurden entfernt, aber die Plastik blieb. Der Verfall schreitet voran und der hohe Sockel aus Granit ist seit langem eine beliebte Leinwand von Graffiti-„Künstlern“. Doch seit letztem Jahr steht der Beschluss: Mit einer Investition von rund 150.000€ startet die Sanierung des Denkmals ab 2020.
Wem gefällt’s?
Mit 4,2 Sternen ist das Ernst-Thälmann-Denkmal auf Google überwiegend positiv bewertet, doch auch hier wird in den Kommentaren diskutiert. Ein Denkmal zwischen DDR-Nostalgie und Gigantismus, das durch seinen fast heroischen Ausdruck wie ein ironischer Kommentar zum Niedergang der DDR wirkt. Aber es ist auch ein Stück Geschichte, das vor allem jungen Menschen und Touristen ein kleines Fenster in die Vergangenheit öffnet. Ein Google-Nutzer kommt zu der versöhnlichen Einschätzung: „Denkmäler sind halt Geschmackssache“. Und worin sich die meisten einig sind: Die Plastik und der Vorplatz haben eine Reinigung dringend nötig.
Hat das Denkmal eines Mannes, der gewaltsame Putschversuche gegen die Weimarer Republik unterstützte, der Sozialdemokraten als Feinde ansah und in der DDR als Märtyrer verehrt wurde, heute noch eine Daseinsberechtigung? Wie seht ihr das?
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