Demokratiegeschichten

30 Jahre Zivil- und Freiwilligendienst

In unserer Themenreihe “Stets zu Diensten” veröffentlichen wir die Berichte von (ehemaligen) Zivildienstleistenden, Freiwilligen und Menschen, die einen Wehrersatzdienst geleistet haben.

Michael Bross ist Referatsleiter für Freiwilligendienste bei der Caritas der Erzdiözese Freiburg. Der folgende Beitrag ist die Abschrift eines Interviews.

Beratung von Kriegsdienstverweigerern

Zivildienst hat meine Biografie wesentlich mitbestimmt. Begonnen hat es mit meiner Kriegsdienstverweigerung Ende der 1970er-Jahre, dann folgte die Absolvierung des Zivildienstes 1981-83 in einer Kirchengemeinde. Im Anschluss war ich während meines Studiums der Theologie und Pädagogik in Tübingen ehrenamtlich in der Beratung für Kriegsdienstverweigerer tätig. Diese Arbeit habe ich konsequent bis zur Abschaffung des Wehrdienstes, erst in Ludwigsburg, dann in Tübingen, dann in Freiburg durchgeführt.

File:Bundesarchiv Bild 183-1990-1117-016, Berlin, Protest der Wehrdienstgegner.jpg
Am 17.11.1990-Berlin protestieren Wehrdienstgegner*innen in Berlin unter den Linden; Foto: Bundesarchiv, Bild 183-1990-1117-016 / Lehmann, Thomas / CC-BY-SA 3.0.

In Freiburg hatten wir einen Kreis von KDV-Beratern, die alle 14 Tage im katholischen Jugendbüro eine Beratung für Kriegsdienstverweigerer angeboten haben, zu der man ohne Termin kommen konnte. Viele kamen zunächst nur wegen einer ersten Beratung, aber es gab auch einige, die wir bis ins Verfahren begleitet haben.

Arbeit als Zivildienstreferent

Die Kriegsdienstverweigerung hat mich also bis zum Ende der Wehrpflicht beschäftigt. Auch das Thema Zivildienst hat mich lange begleitet: Schon während des Studiums war ich als Honorarkraft bei fachlichen Einführungslehrgängen der Zivis mit dabei. Als ich 1991 mein Studium abschloss, wurde just zu dem Zeitpunkt beim Diözesan-Caritasverband die Stelle des Zivildienstreferenten frei. Ich habe diese Stelle bekommen und habe dann über 20 Jahre – bis zum Aussetzen des Zivildienstes 2011 – die Zivildienstleistenden in der Diözese begleitet. Zu diesen Aufgaben gehörte die Organisation von Einführungslehrgängen, die Begleitung der Dienststellen, etc.

Auch der Bereich Freiwilligendienste hat mich beschäftigt. Schon in den 90er-Jahren überlegte unser Kreis der Zivildienstreferenten, eine flexiblere Form des Freiwilligendienstes einzuführen. Das FSJ, das es damals als einzige Form eines gesetzlich geregelten Dienstag gab, war relativ starr auf 12 Monate festgelegt, begann immer im September und war auch sonst nicht so flexibel. Menschen, die im September nicht beginnen konnten, weil sie beispielsweise im Oktober ihr Studium kurzfristig beendet hatten oder doch nicht ihren Studienplatz bekommen hatten, hatten daher keine Chance, einen Freiwilligendienst zu machen.

2001 begannen wir daher im Verband mit engagiertplus einen Kurzzeitfreiwilligendienst zu erproben, der flexibel begonnen werden konnte. Mindestdauer war vier Monate, weil eine Zeit darunter sich für alle Beteiligten kaum gelohnt hätte. Damit machten wir bald gute Erfahrungen, es gab viele Interessierte.

2005/06 gab es dann ein Projekt vom Bundesministerium für generationsübergreifende Freiwilligendienste, an dem wir uns beteiligten. Zielgruppe waren über 27-Jährige und das spannende daran war, dass wir nie gedacht hatten, dieses Projekt in einem gesetzlich verankerten Freiwilligendienst fortführen zu können. Wir dachten, wir würden es durch Projekte weiterführen müssen.

Entwicklung des Freiwilligendienstes bei der Caritas

Doch dann fiel 2011 die Wehpflicht. Da musste ich erst einmal schlucken, denn dadurch entfiel ein großer Teil meiner hauptberuflichen Tätigkeit und mein Ehrenamt. Dann war aber relativ schnell klar, dass wir die Freiwilligendienste in der Diözese im Inland neu aufsetzen würden und die Zuständigkeit des FSJ kam vom Seelsorgeamt zu uns in den Diözesan-Caritasverband.

Dann haben wir ein neues Konzept entwickelt. Denn wenn man Bundesfreiwilligendienst und FSJ nebeneinander anbietet, dann sind die Leute erstmal irritiert und fragen, warum es zwei Angebote gibt und worin diese sich unterscheiden. Also haben wir den Freiwilligendienst der Caritas aufgebaut, in dem Bundesfreiwilligendienst und FSJ enthalten sind, bei dem es für die Absolvierenden aber keinen Unterschied macht, was sie tun. Einheitliches Taschengeld, gleiches Einsatzfeld, fast die gleiche pädagogische Begleitung.

Drei Formate haben wir entwickelt: Den klassischen Freiwilligendienst, der vorher das FSJ war. Dauer ist 12 Monate, Beginn September-Oktober. Dann den flexiblen FD, den man jederzeit beginnen kann und der 6-18 Monate dauert; je nachdem, was man mit der Dienststelle vereinbart. Und dann 27plus für die Älteren, der mit dem BFD dazugekommen ist. Den Bereich leite ich seit 10 Jahren, wir haben nun also auch ein Jubiläum. Und für mich sind es 30 Jahre, die ich beim Verband, mit Zivildienstleistenden und Freiwilligen arbeite.

Tickten die Zivis früher anders als die, die heute Freiwillige sind?

Ich würde sogar noch einen Schritt in meine eigene Zivildienstzeit zurück gehen. In der Zeit, in der ich Zivildienst gemacht habe, wollten die jungen Männer den Kriegsdienst verweigern. Auch mir war es wichtig, den Dienst an der Waffe zu verweigern und als Konsequenz daraus musste ich dann den Zivildienst leisten.

Als ich in den 90er-Jahren zu arbeiten begann und bis zu dem Zeitpunkt, an dem der Wehrdienst abgeschafft wurde, hat sich die Situation gewendet. Die jungen Männer wollten den Zivildienst machen und um da hereinzukommen, mussten sie den Kriegsdienst verweigern. Es ging ihnen um soziale Gründe und darum, Gesellschaft mitzugestalten. Daher denke ich, dass die Zivildienstleistenden der 90er-Jahre gar nicht so viel anders denken als die Freiwilligen von heute.

Auch in den Begründungen derjenigen, die in unsere Beratung kamen, hat sich dies gezeigt. Gerade in späteren Jahren, als es das Internet gab und man Begründungen online finden konnte, wurde viel abgeschrieben. Und das haben wir natürlich gemerkt, wobei ich immer gesagt habe: „Mir müsst ihr nichts beweisen, ich bin nur der Berater.“

Und wahrscheinlich wären die meisten auch mit den Schreiben durchgekommen, trotzdem haben wir oft den Impuls gegeben, das KDV-Verfahren auch als Chance zu sehen, sich mit diesen Fragen auseinanderzusetzen. Es ging uns nicht nur darum, dass die jungen Leute möglichst einfach durch das Verfahren kamen, sondern wir haben uns immer auch als Beratungsstelle verstanden, um mit uns über Fragen, z.B. über Krieg und Frieden sowie über grundlegende Wertefragen, zu diskutieren.

Wie liefen Beratungsgespräche ab?

Es gab im Prinzip zwei Formen von Beratungsgesprächen. Die einen kamen mit einem Musterungsbescheid und hatten vor allem formale Fragen zum Verfahren und Ablauf. Damals hatte ich den Vorteil, dass ich direkt auch schon zum Zivildienst Fragen beantworten konnte, da ich diesen selber absolviert hatte und ab 1991 auch hauptamtlich dort gearbeitet hatte.

Und dann gab es die anderen, die etwa nach Musterbegründungen fragten. Denen haben wir vermittelt, dass es ihre eigene Aufgabe war, diese Begründungen zu formulieren und natürlich haben wir auch Hinweise gegeben, wo sie Anregungen finden konnten. Aber unser Beratungsansatz war, dass wir eine persönliche Auseinandersetzung wichtig fanden. Deshalb war unser Vorschlag an die jungen Männer, erstmal etwas zu schreiben und dann mit dem Text wiederzukommen, um diesen nochmal zu besprechen. Das haben viele in Anspruch genommen und sind daher zu zwei Gesprächen gekommen.

Natürlich habe ich dann die Schreiben durchgeschaut, ob darin Gründe waren, die schlüssig sind. Und natürlich gab es dann “gewisse Gründe”, wie etwa „Ich will nicht von zu Hause weg, weil ich meine Familie vermissen würde.“ Aber das waren noch keine “Gewissensgründe” und so etwas haben wir dann intensiv bearbeitet.

Haben Sie Ihren eigenen Zivildienst als Zwang erlebt?

Ja, ich habe den auch als Zwang erlebt. Ich machte viele gute Erfahrungen und konnte mir meine Stelle selbst aussuchen. Sicherlich war das für meine Entscheidung, Theologie zu studieren, eine prägende Erfahrung.

Aber ich kann mich gut daran erinnern, dass es immer wieder Phasen gab, in denen ich damit gehadert habe, dass der Staat mir diesen Dienst abverlangt und dass ich mich nicht freiwillig dazu entschieden hatte. Wahrscheinlich hätte ich, wenn es den Zivildienst nicht gegeben hätte, ein FSJ absolviert oder etwas ähnliches in der kirchlichen Jugendarbeit. Aber ich musste diesen Dienst machen und mir war es wichtig, ein politisches Zeichen durch die Anerkennung als Kriegsdienstverweigerer zu setzen. Im Freundeskreis, aber auch im Jugendbereich haben wir uns intensiv mit dem Thema auseinandergesetzt. Auch viele Rüstungs- und Friedensfragen haben wir diskutiert. Damals waren das sehr wichtige Fragen, aber das hat sich im Laufe der Jahre verändert.

Das habe ich auch bei den späteren Zivildienstleistenden gemerkt, wenn diese auf den Einführungslehrgang kamen. Es gab eine Übung, “Mein Weg zum Zivildienst”, bei der sie diesen erläuterten und die Kriegsdienstverweigerung spielte bei vielen kaum oder keine Rolle mehr.

Als 2011 die Wehrpflicht wegfiel, hatten wir schon etwas Sorge, die jungen Männer zu verlieren. Im FSJ waren 90-95% junge Frauen und wir dachten, vielleicht sind die Einsätze im sozialen Bereich für junge Männer nicht so spannend. Es hat sich aber gezeigt, dass 1/3 der Freiwilligen – und das konstant über die letzten 10 Jahre – junge Männer sind. Es ist also nicht 50/50, aber dafür, dass der soziale Bereich insgesamt sehr Frauen-dominiert ist, ist das eine gute Quote. Ich kriege zum Beispiel auch von den Fachschulen für Sozialpädagogik die Rückmeldung, dass seitdem unser Freiwilligenprogramm auch von jungen Männern angenommen wird, diese viel mehr männliche Bewerber als früher haben. 

Kriegen sie Rückmeldung von ehemaligen Zivis oder Freiwilligen, dass deren Dienst Auswirkung auf ihren Lebenslauf hatte?

Bei der Caritas laufen mir immer mal wieder Kollegen über den Weg, die ich im Einführungslehrgang des Zivildienstes sitzen hatte. Der Zivildienst hat also schon ein viele junge Männer in den sozialen Bereich gebracht.

Ähnliches erleben wir heute auch im Freiwilligenbereich: Wir fragen die jungen Leute, wo sie sich nach ihrem Freiwilligendienst hinbewegen wollen und 60% der Freiwilligen sagen, dass sie in den sozialen Bereich wollen. Wir selber haben in der Verwaltung zwei junge Kolleginnen, die hier einen Freiwilligendienst gemacht haben und auch unter den Referentinnen haben wir einige Kolleginnen, die über ihren eigenen Freiwilligendienst, dann als Honorarkräfte und nun hauptberuflich für uns unterwegs sind.  

Natürlich hoffen wir, durch das Programm auch Menschen für den sozialen Bereich zu gewinnen. Aber auch Leute, die danach in andere Bereiche gehen, haben diese Erfahrungen gemacht und sind von diesen geprägt. Ich kenne niemanden, der unverändert aus so einer Dienstzeit herausgeht. So ein Freiwilligendienst hat Auswirkungen und in der Regel positive Auswirkungen auf die Persönlichkeitsentwicklung. Gerade nach der Schule ist das eine sehr prägende Phase.

Was halten Sie von Überlegungen zum “Sozialen Pflichtjahr”?

Diese Frage begleitet mit seit 1995. Damals hat der Sozialminister von Baden-Württemberg, Herr Repnik (Friedhelm Repnik war von 1988-2006 Abgeordneter im Landtag und von 1998-2004 Sozialminister des Landes Baden-Württemberg. Anm. d. Red.) diese Idee eingebracht. Die Argumente haben sich im Grunde seit dieser Zeit nicht verändert. Schönerweise kommt die Debatte immer in den Sommerlöchern hoch, das ist ein klassisches Juli-August-Thema, wenn die Presse nichts zu berichten hat. Der letzte Impuls kam von Frau Kamp-Karrenbauer vor zwei Jahren.

Es ist verfassungsrechtlich nicht möglich. Zudem wäre es viel zu teuer, weil man erst einmal die entsprechende Infrastruktur schaffen müsste, wenn auf einmal alle Menschen diesen Dienst absolvieren müssten. Taschengeld und Sozialversicherung müsste man finanzieren und würde sich im zweistelligen Milliardenbereich bewegen.

Im Bereich der Freiwilligendienste denken wir außerdem, dass wir unsere Möglichkeiten noch gar nicht ausgeschöpft haben. Man könnte die Rahmenbedingungen noch attraktiver gestalten, z. B. durch Freifahrkarten für den ÖPNV. Dann hätte man sicherlich noch mehr Interessierte.

Was das Argument der sozialeren Gesellschaft betrifft: Ich schlage dann vor, einmal durchzudenken, was wäre, wenn alle Menschen dieses Pflichtjahr machen müssen, ein Jahr bevor sie in Rente gehen. Warum sollen das die Jungen machen? Bei den Älteren hätte man den Vorteil, dass man viel mehr Menschen hätte, die man verpflichten könnte. Außerdem sind sie qualifiziert.

Ich glaube, die Debatte würde sich sofort verändern, wenn diejenigen, die diese Idee einbringen merken würden, dass sie selbst noch zu der Gruppe gehören würden, die das Pflichtjahr absolvieren muss. Wenn auf der Straße Interviews geführt und Leute gefragt werden, was sie vom Sozialen Pflichtjahr halten, dann sind immer die Älteren diejenigen, die sagen: „Soziales Pflichtjahr für junge Leute, das finden wir gut.“ Wenn die Frage wäre, Soziales Pflichtjahr für alle und ihr seid die ersten, die dran wären, dann würden die Antworten ganz anders ausfallen.

Haben Sie etwas aus Ihrer Zeit im Zivildienst etwas mitnehmen können?

Sehr viel. Ich bin bewusst von daheim weg gegangen und bin eigenständiger geworden.

In der Kirchengemeinde war ich ein wenig das Mädchen für alles, vom Hecke schneiden Räume streichen, Büroarbeit, Jugendarbeit, Kinderchor etc. Es war das Komplettprogramm. Und ich habe damals die Erfahrung gemacht, dass es wenig gab, was ich nicht konnte. Das Ausprobieren und das Vertrauen von anderen zu bekommen war für mich sehr prägend.

In welche Einrichtungen schicken Sie Ihre Freiwilligen?

Nicht nur Caritas, sondern auch andere Träger, die nicht im kirchlichen Bereich sind. Wir haben 1.800 Träger. Wir haben eine enorme Entwicklung, weil das niedrigschwellige und serviceorientierte Programm viele Menschen anspricht. Deswegen haben wir mittlerweile ein breites Portfolio. Darin finden sich die klassischen Felder Alten-, Gesundheits- oder Behindertenhilfe. Ein Großteil unserer Freiwilligen ist in katholischen Kindergärten. Wir haben auch exotischere Bereiche, wie etwa pastorale Einsatzstellen und kirchliche Jugendarbeit. Im Kulturbereich, im weiteren Sinne, wären etwa die Jugendzentren.

Und es müssen nicht pädagogische oder soziale Tätigkeitsfelder sein. Auch in der Hausverwaltung oder Technik gibt es Möglichkeiten, eingesetzt zu werden. Wir fragen die Interessierten nach ihren Bedürfnissen und Wünschen und schauen, wie wir das umsetzen können.

Ein Rat für zukünftige Freiwillige

Eher eine Empfehlung: Die Erfahrungen, die man im Freiwilligendienst machen kann, und das altersunabhängig, sind wirksam und wertvoll. Ich wünsche es allen, dass sie einen Zugang finden. Deshalb versuchen wir bei uns, den Freiwilligendienst so inklusiv und niedrigschwellig wie möglich anzubieten.

Auch wenn jemand einen Dienst im sozialen Bereich macht und sich dann bewusst dagegen entscheidet, weil es nicht passt, ist das ein Gewinn. Denn das ist viel besser, als eine drei- oder vierjährige Ausbildung oder ein Studium zu machen und dann zu merken, dass es das Falsche war.

Wenn ihr auch noch eine Geschichte zu erzählen habt, kommentiert unter den Beiträgen oder schreibt eine Mail an info@gegen-vergessen.de.

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