„Das W.T.B. meldet: Der Reichspräsident hat Herrn Dr. Walther Rathenau zum Reichsminister des Aeußern ernannt.
Die Erwägung, von der sich der Reichskanzler dabei offenbar leiten ließ, war, daß der Mann, der in inoffizieller Eigenschaft jene Fäden angeknüpft hat, die über London und Paris nach Cannes führten, an leitender und verantwortlicher Stelle den von ihm mitangebahnten Kurs der auswärtigen Politik des Deutschen Reiches fortführen solle und am geeignetsten sei, die Vorbereitungen für die Konferenz von Genua zu treffen.“
Das meldet die „Vossische Zeitung“ am 1. Februar 1922. Mehrere Monate lang hat Reichskanzler Joseph Wirth neben dem Reichskanzleramt auch das Auswärtige Amt in Personalunion geleitet – eine Notlösung. Nun steht in Genua die erste große Wirtschafts- und Finanzkonferenz nach dem Ersten Weltkrieg an. Deutschland ist mit den Reparationszahlungen überfordert und benötigt Erleichterungen, deshalb braucht die Regierung einen fähigen Außenminister, der die Interessen seines Landes vertreten kann.
Die Suche nach einem fähigen Außenpolitiker
Zwischen Reichskanzler Wirth von der Zentrumspartei und Rathenau von der liberalen Deutschen Demokratischen Partei gibt es ein ausgeprägtes Vertrauensverhältnis. Rathenau ist einer der führenden Industriellen in Deutschland, zugleich ein Intellektueller von Format. Warum er auch die Qualifikation zum Außenminister hat, begründet die „Berliner Volkszeitung“ am 1. Februar 1922 so:
„Der Hauptteil der künftigen Außenpolitik ist Reparationspolitik. Darum war Rathenau der gegebene Mann für das Auswärtige Amt. Daß er auch für die wichtigen Fragen des Ostens einen sicheren und dabei doch realpolitischen Blick hat, hat er wiederholt bewiesen.“
Die „Volkszeitung“ weist aber auch darauf hin, dass der politische Neueinsteiger in seiner Behörde, im Auswärtigen Amt, einiges zu tun habe: Dort herrsche noch der Geist des Kaiserreichs. Dennoch fällt die Einschätzung der Zeitung fast euphorisch aus:
„Daß aber das Schlimmste überwunden zu sein scheint, daß Deutschland hoffen darf, am Abgrund vorbei und wieder aufwärts zu kommen, das wird der Sinn der Rathenauschen Politik sein, und vielleicht erst spätere Generationen werden diese politische Leistung und das persönliche Verdienst Rathenaus daran richtig einzuschätzen wissen.“
Proteste gegen die Ernennung
Proteste kommen von der liberal-konservativen „Deutschen Volkspartei“, die sich innerhalb der Regierungskoalition ein Mitspracherecht bei den anstehenden Personalentscheidungen ausbedungen hat und die sich jetzt übergangen fühlt. Strikte Ablehnung erfährt Rathenau von ganz rechts. So schreibt die konservative „Kreuzzeitung“ am 1. Februar 1922:
„Dr. Rathenau hat im Laufe der Zeit die Farbe gewechselt wie Chamäleon. Als das Londoner Ultimatum überreicht wurde, stand Dr. Rathenau in der Reihe derer, die es als unerfüllbar bezeichneten. Schnell hat er seine Meinung gewechselt und kann heute als ausgesprochener Vertreter der Wirthschen Erfüllungspolitik gelten, die an praktischen Beispielen der Unmöglichkeit dieser Politik dem deutschen Volke und dem Feindbunde vor Augen führen will. In seiner selbstgefälligen Art und Weise hat Dr. Rathenau es verstanden, seine angeblichen Erfolge in London, Paris und Cannes in das rechte Licht zu setzen und sich so für den Posten des Außenministers zu qualifizieren.“
Antisemitische Angriffe
Während diese deutschnationale Ablehnung Rathenaus noch politisch begründet wird, kommen aus dem rechtsradikalen Milieu Reaktionen, bei denen etwas ganz anderes eine Rolle spielt. In einem Brief an den Reichskanzler bezeichnet der Deutschvölkische Schutz- und Trutzbund Württemberg am 15. Februar 1922 die Berufung Rathenaus als „Provokation“ und führt aus:
„Dr. Rathenau kann schon deshalb nicht die Belange des deutschen Volkes vertreten, weil er ja gar kein Deutscher, sondern ein Jude ist. […] Wir fordern daher den sofortigen Rücktritt Dr. Rathenaus und die Berufung eines deutschblütigen Mannes auf diesem Posten.“
Aus der Sicht der Antisemiten ist Rathenaus Herkunft entscheidend, sie disqualifiziert ihn für das Amt des Außenministers. Im völkischen Spektrum geht es nicht um politische Differenzen – hier wird Todfeindschaft erkennbar.
Deutschlandfunk Kultur sendet in Kooperation mit dem Leibniz-Zentrum für Zeithistorische Forschung (Potsdam) ab dem 25. August 2021 jeweils mittwochs gegen 19:25 Uhr die Reihe „100 Jahre politischer Mord in Deutschland“ .
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