Demokratiegeschichten

100 Jahre politischer Mord in Deutschland: Der antisemitische Verschwörungsmythos „Protokolle der Weisen von Zion“

„Wer dieses Beweismaterial zu Gesicht bekommen hat, kann nicht mehr daran zweifeln, daß ein großer Teil dieser sogenannten ‚Protokolle‘ die Wiedergabe einer Agitationsschrift darstellt.“

Die sogenannten „Protokolle der Weisen von Zion“ sind eine der wirkungsmächtigsten antisemitischen Schriften des 20. Jahrhunderts. Am 21. Januar 1921 bekräftigt der „Düsseldorfer Beobachter“, dass es sich dabei zweifellos um eine Fälschung handele. Die Zeitung bezieht sich auf eine Veröffentlichung in der Londoner „Times“, nach der das antisemitische Pamphlet erkennbar im zaristischen Russland verfasst worden sei, um angesichts der Unzufriedenheit über die Zustände im Land eine politische Botschaft zu verbreiten:

„Jedenfalls hat der Verfasser der Protokolle oder vielmehr sein Auftraggeber den Zweck verfolgt, in Rußland und insbesondere den ‚Hofkreisen‘ den Eindruck zu erwecken, daß der vornehmste Grund für die Unzufriedenheit nicht in der reaktionären Haltung der Bürokratie zu suchen sei, sondern auf eine weltumspannende jüdische Verschwörung zurückgeführt werden müsse. Sie sollten eine Waffe gegen die russischen Liberalen bilden, die dem Zaren schon einige Konzessionen an die freisinnige Intelligenz abgenötigt hatten.“

Inhalt der angeblichen „Protokolle“

Die sogenannten „Protokolle“ handeln von einer angeblichen jüdischen Weltverschwörung und wenden sich gegen Liberalismus, Demokratie, Freiheit und Gleichheit der Menschen.

Der alte jüdische Friedhof in Prag war nach Ansicht der antisemitischen Propagandisten der Treffpunkt der angeblichen jüdischen Verschwörer, Quelle: gemeinfrei,
Knackstedt & Näther Stereoskopie 0782 Oesterreich, Judenkirchhof in Prag,Bildseite koloriert Jewish cemetery Prague-Josefov

In Deutschland benutzt vor allem der völkisch-antisemitische Schutz-und Trutzbund die „Protokolle“, um auf die angeblichen Hintermänner der deutschen Niederlage im Krieg und der Revolution 1918 zu verweisen. Schon während des Weltkrieges hatte Ernst von Reventlow in der „Deutschen Tageszeitung“ das Gerücht von einer Verschwörung von „roter“ und „goldener Internationale“ gegen das Deutsche Reich verbreitet. „Alljuda“ wolle Deutschland vernichten.

Rechte Propagandisten

In den von Louis Müller alias Gottfried zur Beek 1919 in Deutschland veröffentlichten „Protokollen“ wird daraus eine lang angelegte Strategie von Juden aus aller Welt. Die detailliert geschilderten Methoden – bis hin zum Bau von U-Bahnen, deren Tunnelsysteme mit Sprengstoff gefüllt würden, um die Metropolen im Bedarfsfall zu zerstören – scheinen aus einem Schauerroman abgeguckt. Die „Freiheit“, die Zeitung der USPD, vermutet, dass nicht einmal die rechten Propagandisten selbst die „Protokolle“ für echt halten würden. Im Mai 1920 ist in der „Freiheit“ zu lesen:

Einer der einflussreichsten rechten Propagandisten: Der Publizist Ernst Graf zu Reventlow, 1917, Quelle: public domain, Bain – Library of Congress

„Diese ganze Geschichte glaubt Graf Reventlow, oder nein: wir tun ihm Unrecht, ein so großer Idiot ist er nicht. Er will sie nur den Minderbegabten glauben machen, aus denen sich die Anhängerschaft der Deutschnationalen Volkspartei rekrutiert. Natürlich unterschlägt er ihnen den vom Verein zur Abwehr des Antisemitismus schon vor einiger Zeit gebrachten Nachweis, daß große Teile der Dokumente einfach aus einem im Jahre 1860 erschienenen antisemitischen Schundroman des ‚Kreuzzeitungs‘-Redakteurs Goedsche übernommen sind […].“

Verbreitung und Wirkung

Trotzdem glauben viele Menschen in Deutschland und anderswo an die Echtheit der „Protokolle“. Und sie leiten aus ihnen die Rechtfertigung zum Mord ab. So glaubt etwa einer der am Attentat auf Außenminister Walther Rathenau Beteiligten, Hans Werner Techow, Rathenau sei einer der „Weisen von Zion“ gewesen.

Der sozialdemokratische „Vorwärts“ schreibt 1926:

„[…] ein Buch, das eine der dümmsten Fälschungen darstellt, die die Weltgeschichte kennt, das aber gerade deshalb zur Bibel der völkischen Antisemiten wurde.

Je dümmer einer dieser völkischen Erretter Deutschlands ist, desto fester schwört er auf das ‚Protokoll‘.“

Obwohl auch mehrere Gerichtsprozesse die „Protokolle“ eindeutig als antisemitisches Pamphlet entlarven: Sie entfalten weiter ihre Wirkung – nicht nur in der Weimarer Republik, sondern bis heute.

Deutschlandfunk Kultur sendet in Kooperation mit dem Leibniz-Zentrum für Zeithistorische Forschung (Potsdam) ab dem 25. August 2021 jeweils mittwochs gegen 19:25 Uhr die Reihe 100 Jahre politischer Mord in Deutschland.  

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Über uns 
Historikerin, Autorin, Kuratorin Mitarbeiterin im Projekt "Gewalt gegen Weimar" am Leibniz-Zentrum für Zeithistorische Forschung Potsdam

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