„Jeder Blinde sieht, daß es sich hier um eine großzügige Streikbrecherorganisation handelt.“
So urteilt die „Freiheit“ am 4. Oktober 1919 über eine scheinbar unpolitische Institution: die „Technische Nothilfe“. Tatsächlich ist sie eine aus Freikorps zusammengestellte Einrichtung, die von einem Reichswehrleutnant während der Unruhen im Januar 1919 gegründet worden ist. Im November 1919 wird sie formell dem Innenministerium unterstellt. Ihren militärischen Charakter jedoch behält sie bei.
Einsatzgebiete der „TeNo“
So wird diese Institution mit dem unverdächtigen Namen zu einem Instrument, das bei innenpolitischen Kämpfen eingesetzt werden kann – wie etwa bei Arbeitsniederlegungen. Da darf sie nur auf behördliche Anordnung eingesetzt werden und auch nur dann, wenn „lebenswichtige“ Bereiche gefährdet sind. Faktisch aber kommen die Nothelfer viel öfter zum Einsatz – selbst in Brauereien oder auf den ostelbischen Höfen, wo die Gutsbesitzer zugleich Behörde sind.
Viele der Nothelfer sind Gegner der Republik. Das zeigt sich beim Kapp-Putsch 1920, als die demokratischen Parteien und Gewerkschaften zum Generalstreik gegen den Militärputsch aufrufen. Die Putschisten statten die Nothelfer gegen die Streikenden mit Schusswaffen aus. Das verhindert letztlich zwar nicht das Scheitern des Putsches. Aber in dieser Situation hat sich gezeigt, dass die „Technische Nothilfe“ gegen die Verteidiger der Demokratie in Stellung gebracht worden ist. Dennoch will die gewählte Regierung nicht auf die Nothilfe verzichten.
Der große Eisenbahnerstreik und die „Nothilfe“
Anfang Februar 1922 kommt sie zum Einsatz, als die Reichsgewerkschaft Deutscher Eisenbahnbeamter und Anwärter zum Streik aufruft, um Lohnanhebungen für die unteren Gehaltsgruppen durchzusetzen und den Achtstundentag zu verteidigen. Die „Aplerbecker Zeitung“ berichtet am 4. Februar 1922:
„Essen. Wie die Eisenbahndirektion Essen mitteilt, ist der gesamte Zugverkehr in den Eisenbahndirektionen Essen, Elberfeld und Münster kurz nach Mitternacht eingestellt worden. […]
Erfurt. In Thüringen sind infolge des Eisenbahnerstreiks große Stockungen eingetreten. […]
Frankfurt a. M. Im Frankfurter Bezirk ist fast der gesamte Eisenbahnverkehr lahmgelegt. […]
Osnabrück. Seit Mitternacht ist der gesamte Fernverkehr eingestellt. […]
Hamburg. In Hamburg und Altona konnten keine Züge abgelassen werden. Auch der Vorortverkehr ruht vollständig.“
Betroffen sind Personen- und Güterkehr, es werden gravierende Folgen für die Versorgung der Bevölkerung befürchtet. Reichspräsident Friedrich Ebert (SPD) stellt die Teilnahme am Streik mit einer Ausnahmeverordnung unter Strafe. Die Reichsbahn als Behörde ordnet den Einsatz der „Technischen Nothilfe“ gegen ihre streikenden Beamten an.
Wie immer werden die Nothelfer von Polizei und Reichswehr begleitet. Sie sind kein vollwertiger Ersatz für die streikenden Arbeiter, aber wirksam im Kampf gegen Streiks; die „Freiheit“ berichtet am 9. Februar 1922, nach dem Streikende:
„Die Technische Nothilfe, die bis vor kurzer Zeit noch aus einem hilflosen Häuflein von Pfuschern bestand, ist durch diesen Streik endgültig auf die Beine gestellt worden. Sie hat sich in den Augen weiter Kreise der Bevölkerung als brauchbar erwiesen.
Wir haben die Technische Nothilfe seit dem ersten Tage ihrer Existenz auf das heftigste bekämpft. Wir werden auch jetzt nicht unterlassen, sie als eine organisierte Garde von Arbeitswilligen zu betrachten und entsprechend zu behandeln. Aber wir dürfen uns auch nicht darüber täuschen, daß durch die jüngste Leistung dieser Organisation der gesamten Berliner Arbeiterbewegung ein außerordentlich schwerer Schaden zugefügt worden ist.“
Die „TeNo“ als Instrument rechter Politik
Die „Technische Nothilfe“ etabliert sich als Organisation, die bei Arbeitskämpfen gerufen werden kann und das republikfeindliche Lager stärkt. Die Mittel werden weiter aufgestockt. Mitte der 1920er Jahre ist sie auf fast 500.000 Mitglieder angewachsen, nicht einmal zehn Prozent von ihnen sind Arbeiter. Wiederholt fallen Nothelfer durch republikfeindliche Gesänge auf, viele tragen das Hakenkreuzabzeichen, und mitunter finden gemeinsame Manöver mit völkischen Verbänden statt.
Ende 1928 debattiert der Reichstag über die Auflösung der Nothilfe. Die bürgerlichen Parteien verhindern dies. Ihr Etat aber wird halbiert. Als Streikbrecher kommen die Nothelfer in Deutschland kaum noch zum Einsatz. Nach 1933 bedient sich das NS-Regime dieser Organisation. Beim Einmarsch in die Tschechoslowakei 1939 erhält die „Technische Nothilfe“ die Aufgabe, „Sabotageakte“ gegen den Anschluss an das Deutsche Reich zu verhindern. Die Nachfolgeorganisation in der Bundesrepublik ist das „Technische Hilfswerk“ – THW.
Deutschlandfunk Kultur sendet in Kooperation mit dem Leibniz-Zentrum für Zeithistorische Forschung (Potsdam) ab dem 25. August 2021 jeweils mittwochs gegen 19:25 Uhr die Reihe „100 Jahre politischer Mord in Deutschland“ .
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