Freitag, der 13., für Abergläubische nicht gerade ein Glückstag. Aber der 13. Dezember vor 100 Jahren war kein Freitag, sondern ein Samstag. Und von heute aus betrachtet ein echter Glückstag. Denn damals wurde die Arbeiterwohlfahrt, kurz AWO, gegründet.
Keine glückliche Zeit
So richtig glücklich war damals wahrscheinlich kaum jemand in Deutschland. Die junge Weimarer Republik hatte ein schweres Erbe angetreten. Die Folgen des verlorenen Weltkrieges spürte nun fast jeder am eigenen Leib, besonders in der Arbeiterschaft. Wohnungsnot, Arbeitslosigkeit, Kohleknappheit, Unter- und Mangelernährung, Epidemien, hohe Kindersterblichkeit. Die sozialen Probleme schrien förmlich nach praktischen Lösungen. Die christlichen Kirchen hatten bereits Wohlfahrtsorganisationen gegründet, die sich um Arme und Bedürftige kümmerten. Auch in der Arbeiterbewegung gab es auf lokaler Ebene Hilfsstellen und Beratungseinrichtungen für Notleidende. Aber was fehlte, war eine eigene sozialdemokratische Wohlfahrtseinrichtung.
Die Geburtsstunde
Bis zu jenem Samstag vor hundert Jahren, als der SPD-Parteiausschuss in Berlin tagt. Er war das Bindeglied zwischen SPD-Vorstand und Parteitagen. Neben Otto Wels, den viele durch seine Rede am 23. März 1933 gegen das „Ermächtigungsgesetz“ kennen, sitzt dort auch Marie Juchacz. Sie hatte schon während des Ersten Weltkrieges in Köln Erfahrungen in der Armenfürsorge gesammelt. Seit 1917 ist Juchacz im Parteivorstand für Frauenfragen zuständig, seit Anfang 1919 ist sie Reichstagsabgeordnete. Sie bringt am 13. Dezember 1919 folgenden Vorschlag in die Sitzung des Parteiausschusses ein:
„Nun geht mein Vorschlag mit Billigung des Parteivorstandes dahin, daß wir innerhalb der Parteiorganisation eine sozialdemokratische Wohlfahrtspflege konstituieren. Ich schlage vor , daß wir zunächst eine Zentralinstanz schaffen, einen Ausschuß, und daß wir dann im Rahmen unserer Bezirke Landes- und örtliche Organisationen, Wohlfahrtsauschüsse bilden…“
Diesem Vorschlag wird zugestimmt und er wird in die Tat umgesetzt. Die Arbeiterwohlfahrt entsteht und Marie Juchacz wird ihre erste Vorsitzende. Sie bleibt es die ganze Weimarer Republik über, bis zum Verbot der AWO 1933 durch die Nationalsozialisten.
Demokratisierung der Wohlfahrtspflege
Warum aber ist dieser Samstag, der 13. Dezember 1919, ein Glückstag, zumindest für Demokrat*innen? Weil er eine Revolution in der Wohlfahrtspflege bedeutete. Denn anders als in der christlichen und bürgerlichen Armutsfürsorge setzt die AWO von Beginn ihrer Arbeit auf das Prinzip „Hilfe zur Selbsthilfe“, nicht auf ein System der „Für-Sorge“ von oben herab. Aber die AWO nahm den Staat in die Pflicht. Hilfe für Bedürftige sollte nicht mehr als freiwillige Gewährung von Almosen, sondern als einklagbares Recht auf Sozialleistungen organisiert werden.
Die AWO in der Weimarer Zeit steht politisch für eine Demokratisierung der Wohlfahrtspflege. Sie war schon bei ihrer Gründung den Werten Freiheit, Gleichheit und Gerechtigkeit verpflichtet. Dazu gehört, dass sich die Organisation immer wieder für gesellschaftlich an den Rand gedrängte Menschen einsetzt und auf ihre rechtliche Gleichstellung und ihre Teilhabe an der Gesellschaft pocht.
Daran knüpft die AWO auch bei ihrer Neugründung nach dem Zweiten Weltkrieg an, bei der auch Marie Juchacz als Ehrenvorsitzende noch einmal eine Rolle spielt.
Glücklich feiern am 13. Dezember
Es gibt also viele Gründe, dieses Jahr am Freitag, dem 13., das 100jährige Bestehen der Arbeiterwohlfahrt zu feiern. Schön ist auch, dass zum Jubiläum das Buch „Geschichte der Arbeiterwohlfahrt“ von Philipp Kufferath und Jürgen Mittag erschienen ist. Darin findet sich nicht nur auf S. 26 das Zitat von Marie Juchacz, sondern viele weitere Beispiele gelebter Demokratie.
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