Demokratiegeschichten

Die EGKS – Ein Grundstein der europäischen Demokratie

Am 18. April 1951 wurde in Paris ein Vertrag unterzeichnet, der Europa nachhaltig veränderte. Die Europäische Gemeinschaft für Kohle und Stahl (EGKS) legte den Grundstein für eine neue Form der Zusammenarbeit zwischen Staaten. Sie war nicht nur ein wirtschaftliches Projekt, sondern ein entscheidender Schritt für die Demokratie in Europa.

Die Idee war simpel, aber revolutionär: Die Produktion von Kohle und Stahl – den Schlüsselressourcen für Krieg – sollte gemeinsam verwaltet werden. Kein Land sollte mehr alleine darüber bestimmen können. Statt Nationalismus und Konfrontation setzte man auf Kooperation und demokratische Entscheidungsprozesse.

Doch warum war dieser Vertrag so wichtig für die Demokratie?

Europa nach dem Krieg: Auf der Suche nach Frieden und Stabilität

Nach zwei verheerenden Weltkriegen lag Europa in Trümmern. Millionen Menschen hatten ihr Leben verloren, ganze Städte waren zerstört. Besonders zwischen Frankreich und Deutschland war das Misstrauen tief. Die beiden Länder hatten sich über Jahrzehnte als Erzfeinde betrachtet und immer wieder Kriege geführt.

Doch mit dem Krieg kam die Erkenntnis: Frieden in Europa konnte es nur geben, wenn die Staaten enger zusammenarbeiteten. Besonders die Kontrolle über Kohle und Stahl, die wichtigsten Rohstoffe für die Rüstungsindustrie, spielte dabei eine zentrale Rolle.

Die Lösung kam von Robert Schuman, dem französischen Außenminister. Er schlug vor, die Kohle- und Stahlproduktion nicht mehr von den einzelnen Ländern kontrollieren zu lassen. Stattdessen sollte eine unabhängige, gemeinsame Behörde diese wichtigen Industrien verwalten.

Die Idee war kühn – und sie wurde Realität. Am 18. April 1951 unterzeichneten sechs Länder den Vertrag über die Europäische Gemeinschaft für Kohle und Stahl:

  • Frankreich
  • Deutschland
  • Italien
  • Belgien
  • Niederlande
  • Luxemburg

Diese Staaten verpflichteten sich, ihre Kohle- und Stahlproduktion unter eine gemeinsame supranationale Verwaltung zu stellen. Es war der erste Schritt in Richtung einer demokratischen europäischen Zusammenarbeit.

Demokratie auf neuer Ebene: Die EGKS als Modell für Europa

Mit der EGKS entstand eine völlig neue Form der politischen Zusammenarbeit. Erstmals gaben Staaten freiwillig einen Teil ihrer Souveränität ab, um gemeinsame Entscheidungen zu treffen.

Konkret bedeutete das:

  • Eine unabhängige Behörde entschied über Kohle und Stahl, nicht einzelne Regierungen.
  • Streitfragen wurden nicht mit Waffen, sondern durch Verhandlungen gelöst.
  • Alle Mitgliedstaaten hatten Mitspracherecht, unabhängig von ihrer Größe.

Diese Prinzipien waren bahnbrechend. Sie zeigten, dass gemeinsame Institutionen nationale Egoismen überwinden können – ein fundamentales Prinzip der Demokratie.

Die EGKS führte zudem ein demokratisches Entscheidungssystem ein, das später Vorbild für die Europäische Union wurde:

  • Die Hohe Behörde – eine unabhängige Institution, die die Regeln für Kohle und Stahl festlegte.
  • Ein Ministerrat – mit Vertretern der Mitgliedstaaten, die gemeinsame Beschlüsse fassten.
  • Eine Versammlung – als Vorläufer des heutigen Europäischen Parlaments.

Zum ersten Mal arbeiteten europäische Staaten nicht nur diplomatisch zusammen, sondern teilten echte politische Verantwortung.

Wirtschaftliche Zusammenarbeit als Basis für Demokratie

Die EGKS war nicht nur ein politisches Experiment, sondern auch ein wirtschaftlicher Erfolg. Durch die enge Kooperation wuchsen die Wirtschaften der Mitgliedstaaten zusammen.

Der Handel wurde erleichtert, weil Zölle und Handelsbarrieren fielen. Arbeitsplätze wurden geschaffen, da Unternehmen sicherer investieren konnten. Der Wohlstand stieg, weil politische Stabilität die Wirtschaft stärkte.

Diese wirtschaftliche Sicherheit war entscheidend für die Stabilisierung der jungen Demokratien in Europa. Besonders in Westdeutschland half die EGKS, die Demokratie nach dem Zweiten Weltkrieg zu festigen. Ein starkes, in Europa integriertes Deutschland sollte nie wieder eine Bedrohung für den Frieden sein.

Das Ende der Rivalität zwischen Deutschland und Frankreich

Ein besonders wichtiger Effekt der EGKS war das Ende der traditionellen Feindschaft zwischen Deutschland und Frankreich. Jahrhunderte lang hatten die beiden Länder um Gebiete, Macht und wirtschaftliche Ressourcen gestritten.

Mit der EGKS wurde dieser Konflikt durch Zusammenarbeit ersetzt. Beide Länder saßen nun an einem Tisch und trafen gemeinsame Entscheidungen. Das war ein echter Paradigmenwechsel – und ein Meilenstein für die europäische Demokratie.

Dieser Geist der Kooperation setzte sich später fort und führte zur Gründung der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft (EWG, 1957) und schließlich zur Europäischen Union (EU, 1993).

Von der EGKS zur EU: Ein Vermächtnis für die Demokratie

Die EGKS existierte bis 2002, doch ihre Prinzipien leben weiter. Sie legte den Grundstein für eine europäische Gemeinschaft, die auf Demokratie, Rechtsstaatlichkeit und Zusammenarbeit basiert.

Heute profitieren über 400 Millionen Menschen von der Idee, die 1951 begann:

  • Freiheit und Demokratie statt Nationalismus und Konflikte
  • Gemeinsame Gesetze statt Alleingänge der Staaten
  • Europäische Mitbestimmung durch das Europäische Parlament

Fazit: Ein mutiger Schritt für die Demokratie

Der Vertrag über die Europäische Gemeinschaft für Kohle und Stahl war mehr als eine wirtschaftliche Vereinbarung. Er war ein politisches Signal für eine neue Zeit. Durch ihn wurde bewiesen, dass Zusammenarbeit statt Krieg möglich ist. Außerdem zeigte er, dass Demokratien auch auf internationaler Ebene funktionieren können. Und schuf somit ein Modell für die spätere Europäische Union.

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Über uns 
Annalena B. arbeitet bei Gegen Vergessen - Für Demokratie e.V. als Projektkoordinatorin im Bereich Demokratiegeschichte.

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